Kleine Läden gegen Internetkonkurrenz Du musst ein Eichhörnchen sein

Buy-Local-Logo: Einkaufen im Zeichen des Eichhörnchens
Foto: BUY LOCALAnfang September beginnt in Leer, Ostfriesland, die Schule. Bernd Nonnenmacher merkt das jetzt schon. Ganz hinten in seinem Laden ist die Schulranzenabteilung. Großeltern und Eltern wuseln zwischen den Regalen herum, holen Schulranzen raus, kramen darin herum. Unter den Augen der Mütter setzen die Kinder den Ranzen auf, zurren Träger fest und spazieren auf und ab.
Eine Familie betritt den Laden. Nonnenmacher grüßt freundlich - und lässt Eltern und Kind Zeit, sich erst mal zu orientieren. Aber schon kurz darauf winkt Nonnenmacher eine seiner Verkäuferinnen herbei. "Kümmern Sie sich mal bitte."
Nonnenmachers Konkurrenz verkauft online, wirbt mit Rabatten und erforscht mit Algorithmen das Kaufverhalten und die Seele der Kunden. Nonnenmacher betreibt in der Fußgängerzone im ostfriesischen Leer das Lederwarengeschäft Enno Hinrichs.
Doch auch Nonnenmacher hat einen Trumpf: Eltern und Kinder wollen Schulranzen vorm Kauf auch mal aufsetzen und anfassen. Sie wollen beraten werden. Und sie wollen vor Ort, hier in Leer, einkaufen.
So wie Nonnenmacher ticken viele Einzelhändler. Sie sind vor Ort, sie kennen ihre Produkte. Um dieses Know-how zu pflegen und zu bewerben, haben sie sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen: Buy Local.
"Kaufe vor Ort, weil es den Ort erhält"
Erst vor wenigen Monaten stieß Nonnenmacher zu dem Netzwerk. Das sei kein Verbund von dahinsiechenden Händlern, betont er. Sondern selbstbewusste Geschäftsleute, die auch Verantwortung für ihre Stadt oder ihr Viertel übernehmen. "Kaufe vor Ort, weil es den Ort erhält", fasst Nonnenmacher die Botschaft von Buy Local zusammen. Das Netzwerk will Lobby für den lokalen Einzelhandel sein. Nur wer mit Qualität, Service und Einfallsreichtum überzeuge, werde aufgenommen, betont die Buy-Local-Führung.

Ladeninhaber Nonnenmacher: Wie sieht der typische Lederwarenhändler aus?
Foto: Buy-LocalFür Nonnenmacher ist es wichtig, dass seine Kunden nicht nur zum Schauen kommen - und dann doch bei Amazon oder Zalando kaufen. Deshalb fragt er sich ständig: Habe ich die richtigen Marke parat? Was sind die Kunden bereit zu zahlen?
"Das ist Fluch und Segen zugleich", sagt Nonnenmacher über die Preisfindung im Internetzeitalter. Denn natürlich orientiert er sich an den Onlinepreisen. "Aber von Rabatten kann keiner leben", sagt er. Nonnenmacher versucht, sich das Internet auf seine Weise zunutze zu machen. Via Facebook bewirbt er Schulranzen und schaltet Anzeigen. Etwa 10.000 Menschen habe er so schon erreicht, sagt er.
Der Händler deutet über die Regale. "Alles, was hier steht, ist bezahlt und gekauft." Umso wichtiger, dass er den Geschmack der Kunden trifft, wenn er mit seiner Frau oder einer Mitarbeiterin losfährt, um die künftige Ware anzuschauen und zu bestellen. "Wenn ich hier die falschen Sachen reinstelle, dann bin ich in zwei Jahren weg", sagt er. "Daran würde auch Buy Local nichts ändern."
"Mitte 50, Lederweste und Mercedes-Diesel-Fahrer. So stellen sich Deutsche den typischen Lederwarenhändler vor", sagt Nonnenmacher: Er selbst ist 43 Jahre alt, trägt ein Karohemd und Pep-Guardiola-Frisur. Vor dreieinhalb Jahren krempelte er seinen Laden komplett um.
Enno Hinrichs ist in Leer eine Institution. 1878 wurde das Unternehmen gegründet. 120 Jahre wurde es von der Familie Hinrichs geführt. Nach 45 Jahren in dem Laden übergab der damalige Besitzer Enno Hinrichs das Traditionsgeschäft 1998 an Nonnenmacher. Der war damals 26 Jahre alt. Der Vertreter einer Schulranzen-Marke brachte Enno Hinrichs und Nonnenmacher in Kontakt. Dessen Eltern hatten auch einen Laden mit Lederwaren im gut 50 Kilometer entfernten Friesoythe. Doch Nonnenmacher entschloss sich, Enno Hinrichs zu übernehmen. "Ich wollte eine Herausforderung, etwas Neues entwickeln", sagt er. Und die Stadt Leer gefiel ihm. Zunächst führte er den Laden am alten Standort weiter, in einem typischen ostfriesischen Klinkerhaus. Nonnenmacher zeigt Fotos: Der Laden war mit Teppichboden ausgelegt, Herrenschirme als Deko aufgespannt.

Hafen in Leer: Handel prägte die Stadt in Ostfriesland
Foto: SPIEGEL ONLINEVor dreieinhalb Jahren wurde der alte Standort abgerissen. Nonnenmacher nutzte das für den Neuanfang. Er zog ein paar Häuser weiter in einen komplett renovierten Laden. Eine große Fensterfront und transparente Regale sorgen für Helligkeit. Nonnenmacher verpasste dem Laden ein neues Markenzeichen: Aus "Lederwaren, Reisegepäck" wurde "Enno Hinrichs. Taschen, Koffer, Accessoires".
Weg vom alten Standort, das Sortiment neu ausrichten. Natürlich sei der Neuanfang ein Risiko gewesen, sagt Nonnenmacher. "Aber aus Mitleid kauft kein Kunde mehr." Ältere Damen finden in einem der Regale weiterhin schlichte, nachtblaue Handtaschen für den sonntäglichen Kirchgang. Doch weiter vorne im Laden stehen bunte große Ledershopper eines italienischen In-Labels. Das führe in der näheren Umgebung nur sein Geschäft, sagt Nonnenmacher. In dem neuen Laden verkaufe er mehr hochwertige, teurere Artikel.
Im Vorbeigehen entdeckt er bei einer Abendtasche einen kleinen Kratzer. Umgehend nimmt der Chef sie aus dem Regal. Die Präsentation ist wichtig. Eine Kundin nimmt eine Tasche, öffnet die Fächer, probiert sie an, stellt sie wieder zurück. Kurz darauf wandelt eine Mitarbeiterin am Regal vorbei - diskret wird die Tasche wieder perfekt platziert.
Service sei wichtig, sagt Nonnenmacher. Vor Kurzem habe ein Kunde ein Foto geschickt. Bei seinem 20 Jahre alten Koffer war etwas kaputt gegangen. Nonnenmacher besorgte ein passendes Ersatzteil. Neben den Einheimischen sind Touristen und Tagesgäste aus den nahen Niederlanden wichtige Kunden. Nonnenmachers Frau lernt extra Niederländisch, seine Auszubildende hat dank eines Austauschprogramms der Berufsschule einige Zeit in einem Laden im Nachbarland gearbeitet.
Die Stadt Leer und ihre Traditionsgeschäfte - für Nonnenmacher gehört das zusammen. "Die Menschen hier achten ihre Stadt schon", sagte er. "Aber vielleicht können wir sie noch mehr zum Nachdenken bringen." Nonnenmacher läuft durch die Fußgängerzone. Alle paar Meter trifft er Bekannte, die meisten grüßt er mit Namen. Er läuft vorbei an H&M, Douglas und Deichmann. Neben seinem Laden gibt es in der Fußgängerzone nur noch zwei inhabergeführte Fachgeschäfte, berichtet er.

Altstadt von Leer: Ein großes Sanierungsprogramm stoppte den Verfall
Foto: SPIEGEL ONLINEIn der nahen Altstadt hat auch die Weinhandlung Wolff ihren Sitz - in einem mehr als 400 Jahre alten kunstvoll verzierten Haus. Dort wird gerade renoviert, eigentlich ist geschlossen. Nonnenmacher zückt sein Handy, ruft den Chef der Weinhandlung an. Man kennt sich. Ein paar Minuten später wird Nonnenmacher die Tür geöffnet. Die oberen Stockwerke des alten Hauses sind ein Panoptikum ostfriesischer Wohntradition - eine Küche, eine Wohnstube, altes Geschirr. Gesammelt von der Familie Wolff. Sie führt die Weinhandlung in der siebten Generation. Inzwischen vertreibt sie Weine aus aller Welt - auch online.
Diese Mischung aus Tradition und Expansion, aus Altem und Neuem, fasziniert Nonnenmacher. Er stammt nicht aus Leer, aber die Stadt ist für ihn, seine Frau und ihre drei Kinder zur Heimat geworden.
"Was hinter Buy Local steht, habe ich eigentlich schon immer gemacht", sagt Nonnenmacher. Er ist bei einer Bank vor Ort Kunde, er lässt Rabattschilder für seinen Laden in Leer drucken. Neun Leute haben dort durch seinen Laden einen Job.
Über das Internet sagt Nonnenmacher lakonisch: "Es macht es uns nicht leichter, aber es geht nicht mehr weg." Die kleinen Läden seien allerdings längst nicht tot. "Wir können was. Uns geht's gut", sagt der Ladenbesitzer. Dass er zusätzlich noch einen Onlinehandel eröffnet? Das kann er sich nicht vorstellen. Das sei erstens zu teuer und zweitens möge er den persönlichen Kontakt zu den Kunden.
Ob die Familie Nonnenmacher auch in der nächsten Generation das Traditionsgeschäft Enno Hinrichs erhält? Das müsse man sehen, sagt der Geschäftsmann mit den drei Kindern. Denn einen Nachteil habe sein Beruf: Es bleibt kaum Zeit für die Familie. Wochenende hat er nur am Sonntag.