Umsatzsteuerbetrug Batman vor Gericht
Gegen Ende der ersten Dekade dieses Jahrtausends ließ es eine Gruppe britischer Staatsbürger indischer und pakistanischer Abstammung in den Arabischen Emiraten so richtig krachen. Sie feierten am Rande von Formel-1-Rennen in Abu Dhabi, charterten die Luxusjacht "Moonlight" mit eigenem Hubschrauberlandedeck für rauschende Feste und ließen in den teuersten Klubs Dubais die Champagnerkorken knallen. Doch statt wie üblich den Namen des Spenders auf der Leinwand über der Bar laufen zu lassen, stand dort "Thanks to carbon credits" - Danke Emissionszertifikate.
"Es gehört in Dubai zum Allgemeinwissen, dass mit Umsatzsteuerhinterziehung in Europa eine Menge Geld zu verdienen ist", sagt ein Gast dieser Partys später bei einer Vernehmung aus. Es war die Zeit, als Betrüger die EU um Hunderte Millionen Euro prellten, in dem sie sich Umsatzsteuer erstatten ließen, die sie nie entrichtet hatten.
Der Handel mit Emissionszertifikaten ist dafür bestens geeignet. Die Verschmutzungsrechte sind leicht verkäuflich, blitzschnell über Computer handelbar, Lager- oder Transportkosten fallen gar nicht erst an.
In jener Zeit in Dubai genoss ein Mann den Ruf, sich mit dem Handel von Emissionszertifikaten besonders gut auszukennen: Peter Virdee Singh, genannt Batman. Ein Brite indischer Abstammung, der Wert darauf legt, nur rechtmäßige Geschäfte gemacht zu haben, der es zu großem Reichtum gebracht hat, und das auch zeigt. Sein Markenzeichen sind extravagante Maßanzüge und ein Turban, ein religiöses Symbol der Sikhs. Gern posiert er vor einem Rolls Royce Phantom mit dem Kennzeichen 51NGH, das seinem Namen Singh ähnelt, und protzt damit, in einem Bugatti Veyron, einem der teuersten Autos der Welt, die 400-Stundenkilometermarke durchbrochen zu haben.
Vor Fotografen schüttelt Virdee schon mal der Queen die Hand, plaudert locker mit Prinzgemahl Philipp oder lässt sich mit Hollywoodstar Al Pacino und Popstar Rihanna ablichten. Er bezeichnet sich gern als Entrepreneur, der ein milliardenschweres Immobilienvermögen verwaltet. All das sei das Ergebnis seiner harten Arbeit, lässt er Besucher seiner Internetseite wissen.
Drahtzieher eines Umsatzsteuerkarussells
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt indes glaubt, dass zumindest ein Teil seines Reichtums aus einem Umsatzsteuerbetrug stammt. Die Fahndungsplakate waren frisch gedruckt, als er am 10. Januar am Flughafen London Heathrow festgenommen wurde. Er kam aus Abu Dhabi und wollte offenbar in seine Firma im Londoner Nobelstadtteil Mayfair oder die nahe gelegene Wohnung. Gegen eine Kaution von 150.000 Pfund kam er zunächst auf freien Fuß, am Freitag nun könnte der Westminster Magistrates Court über seine Auslieferung nach Deutschland entscheiden, wo ihm eine lange Freiheitsstrafe droht.
Virdee soll der Drahtzieher eines Umsatzsteuerkarussells sein, mit dem 125 Millionen Euro nie entrichteter Steuern kassiert wurden. Das Modell funktionierte so: Eine Truppe von Geschäftsleuten importierte CO2-Zertifikate steuerfrei aus einem EU-Land nach Deutschland, schleuste sie durch zahlreiche Scheinfirmen und führte sie über die Deutsche Bank wieder aus Deutschland aus. Der Trick bestand darin, sich bei der Ausfuhr vom Fiskus 19 Prozent Umsatzsteuer erstatten zu lassen, die in Wahrheit nie entrichtet worden war.
Mehrere Mitglieder der Bande sind dafür bereits vom Frankfurter Landgericht zu langen Freiheitsstrafen verurteilt worden, darunter auch Mitarbeiter der Deutschen Bank, ohne deren Hilfe der Betrug wohl kaum möglich gewesen wäre. Die Urteile gegen die Banker sind noch nicht rechtskräftig.
Kopf oder Teil der Bande?
Ist Virdee Kopf oder Teil dieser Bande? Bislang hat er alle Vorwürfe weit von sich gewiesen. Doch die deutschen Ermittler wollen zahlreiche Beweise und Aussagen gesammelt haben, die ihn belasten. Virdee sei Kapitalgeber und Chef der Umsatzsteuerkarusselle gewesen, sagte ein bereits Verurteilter aus, das "gesamte Kapital für den betrügerischen Emissionshandel wurde von ihm zur Verfügung gestellt". Er habe Virdee im Jahr 2000 in London kennengelernt, und schon damals "war er, soweit ich weiß, in den Emissionshandel involviert". Allerdings: "Aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung und seiner hohen Selbsteinschätzung spricht Herr Peter Virdee Singh nicht mit jedem."
Ein weiterer Verurteilter sagte aus, er habe im Auftrag von Peter Virdee betrügerisch erworbene Gelder innerhalb der Handelskette zu verteilen gehabt. Auch Bestechungsgelder sollen geflossen sein. Für seine Telefonate, so ein Zeuge, habe er stets ein Blackberry-Handy benutzt, das aber nicht auf seinen Namen zugelassen war. Blackberrys galten lange als besonders sicher. Virdee, sagte ein andere Verdächtiger bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt aus, besitze einen falschen Pass, "damit er Großbritannien verlassen kann, wenn er dort gesucht wird".
Der Gewinn betrug immer 19 Prozent
Welche enormen Verdienstmöglichkeiten solche Deals boten, erläutert ein ehemaliger Händler. Der Gewinn auf das eingesetzte Kapital betrug immer 19 Prozent, nämlich die Höhe der Umsatzsteuer. Davon gingen nach Aussagen des Zeugen drei Prozent an die Bank, vier Prozent blieben als Provisionen in den betrügerischen Lieferketten, ein weiteres Prozent an Bankgebühren hängen. Die restlichen elf Prozent waren Reingewinn.
So fiel es leicht, Investoren zu finden, die üblicherweise drei Prozent Zinsen für jeden Deal bekamen. Gerade mal eine Woche habe es meist gedauert, bis eine Tranche Emissionszertifikate nach Deutschland exportiert, dort über diverse Firmen geschleust und über die Deutsche Bank wieder ausgeführt wurde; macht 12 Prozent im Monat, 144 Prozent im Jahr.
Als besonders förderlich, sagen mehrere Zeugen aus, hätten sich Virdees Beziehungen zur Deutschen Bank erwiesen. Die Rolle der Bank war es, die Zertifikate von verschiedenen Scheinfirmen aufzukaufen, auszuführen und wieder in den Kreislauf einzuschleusen. Sie stellte den betrügerischen Firmen die Konten zur Verfügung und sorgte dafür, dass es keine Anzeigen wegen des Verdachts der Geldwäsche gab. Die Deutsche Bank verlieh dem Handel einen seriösen Anstrich.
Virdees Firmen hätten zudem ein besonderes Programm der Deutschen Bank benutzt, das superschnelle Überweisungen ermöglichte. In nur wenigen Minuten seien die Transaktionen über mehrere Konten gelaufen. Damit konnte sich das Karussell schneller drehen und noch mehr Gewinn abwerfen. Virdee, sagte ein Zeuge, habe mitunter nicht einmal eigenes Geld investieren müssen, weil er "bereits am Vortag wusste, wie viele Zertifikate benötigt wurden" und sie auf Kredit bekommen habe.
Eine Gesetzesänderung hat diesen Handel heute nahezu unmöglich gemacht. Schon vorher, berichtet ein Zeuge, habe die Truppe deshalb in Dubai eine Research-Abteilung unterhalten. "Da liefen Recherchen in Richtung Gas und Strom, die zum Gegenstand künftiger Umsatzsteuerbetrugsketten gemacht werden sollten."
Doch Peter Virdee ist vorerst aus dem Spiel. Nun entscheidet sich, ob er selbst bald über die Grenze nach Deutschland muss.