CO2-Preise Unser Steuersystem - blind fürs Klima

Eine neue Steuer? Für einen Finanzminister könnte das Grund zur Freude sein. Immerhin ist der Kassenwart der Nation darauf angewiesen, sich Einnahmequellen zu sichern.
In der Debatte über eine CO2-Steuer aber hält Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sich bislang zurück. Eigene Pläne von Umweltministerin und Parteifreundin Svenja Schulze (SPD) bremste er noch kürzlich mit dem Hinweis, es gebe "viele Vorschläge, aber noch keinen, der überzeugt".
Tatsächlich liegen Konzepte für einen klimafreundlichen Umbau des Steuersystems längst vor. Ihre Umsetzung aber dürfte Scholz' Beamten einiges an Arbeit bescheren. Denn um zu einem einheitlichen und umfassenden CO2-Preis zu gelangen, müssten viele Steuern angeglichen werden. "Unser Energiesteuersystem ist überhaupt nicht auf CO2 ausgerichtet", sagt Sonja Peterson, die am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zum Thema forscht.
Zwei grundsätzliche Probleme gibt es. Zum einen ist der durchschnittliche Preis auf CO2-Emissionen nach Meinung von Experten auch in Deutschland noch viel zu gering. Das Umweltbundesamt beziffert den Schaden, den eine Tonne CO2 verursacht, auf 180 Euro. So hoch müsse also bald der Preis liegen, den die Verursacher bezahlen, fordert die Schülerbewegung "Fridays for Future".

Von Kohle bis zu Flüssiggas: Bislang sind die Energiesteuern nicht auf CO2-Emissionen ausgerichtet
Foto: imago images/BildFunkMV/blickwinkelEinen Einstiegspreis in dieser Höhe lehnte jedoch auch Schulze mit Verweis auf die damit verbundenen Preissprünge ab und nannte einen möglichen Startpreis von 20 Euro. Den fordern in einem Eckpunktepapier Christoph Schmidt, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI, und Ottmar Edenhofer , Chef des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung. Doch selbst von dieser Größenordnung ist Deutschland noch weit entfernt.
Die Industrieländerorganisation OECD schätzt die Umweltkosten auf mindestens 30 Euro pro Tonne - einen Preis, den Deutschland bislang erst knapp zur Hälfte erreicht hat. Zu diesem Ergebnis kommt die OECD anhand der Analyse bisheriger Steuern und handelbarer Emissionsrechte, über die in der EU der CO2-Ausstoß von Unternehmen reguliert wird. Im Schnitt sind die Industrieländer sogar noch knapp 77 von der 30-Euro-Marke entfernt. Doch es gibt auch Länder, die deutlich besser abschneiden - an erster Stelle die Schweiz, die schon länger eine CO2-Abgabe erhebt.
Noch größer ist aus Sicht von Scholz das zweite Problem: Bislang wird CO2-Ausstoß sehr unterschiedlich bepreist. Der frühere Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) kritisierte deshalb gerade die "Klimablindheit" des Steuersystems.
Die Energiesteuersätze unterlägen "bisher keiner klimapolitischen Logik", heißt es in einem Reformkonzept , welches das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FOES) im Jahr 2017 vorstellte. "Im Gegenteil bevorzugen sie, umgerechnet auf die CO2-Emissionen, häufig ausgerechnet klimaschädlichere Energieträger." So wird beispielsweise Heizöl geringer besteuert als das klimafreundlichere Erdgas.
Für eine einheitliche Bepreisung müssten diese Sätze angeglichen werden. So schlägt das FOES-Konzept vor, dass künftig alle Energiesteuern eine CO2-Komponente enthalten, die zunächst einem Tonnenpreis von 30 Euro entspricht. Ähnliches fordern Schmidt und Edenhofer. Demnach sollen "Deutschland, Frankreich und andere Staaten die Besteuerung für alle Sektoren und Energieträger am CO2-Gehalt der Energieträger orientieren".
Parallel zu Steuerreformen sehen die Konzepte einen Mindestpreis für den europäischen Emissionshandel vor, in dem Unternehmen bislang ebenfalls nur niedrige CO2-Preise zahlen. Die Bundesregierung aber will sich bislang noch nicht festlegen, ob es überhaupt zu eigenen CO2-Steuern kommt - oder ob man stattdessen versucht, den bestehenden Emissionshandel auszuweiten.
Das Finanzministerium verweist auf das sogenannte Klimakabinett aus fünf Fachministern. Mithilfe weiterer Gutachten soll es ab Juli über Reformen beraten, bis September soll es seine Entscheidung geben. Vorher wolle man sich "nicht festlegen, in welche Richtung das aus Sicht des Bundesfinanzministeriums gehen wird", so eine Sprecherin. Auch Umweltministerin Svenja Schulze verwies im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE auf diesen Zeitplan.
Aus Sicht von IfW-Ökonomin Peterson wäre ein Ausbau des europäischen Emissionshandels zwar die beste Variante. Wegen der vielen Beteiligten könnte dieser jedoch lange dauern. "Bei einer reinen Konzentration auf die Ausweitung des Zertifikatehandels sehe ich die Gefahr, dass man wichtige Zeit verliert", so Peterson. "Nach dem Emissionshandel sehe ich eine CO2-Besteuerung als nächstbeste Lösung an." Denkbar sei dabei auch, eine Steuer nur übergangsweise einzuführen und dann auslaufen zu lassen.
Will Olaf Scholz das Steuersystem aber wirklich klimafreundlich machen, so müsste er noch an weiteren Schrauben drehen. Denn bislang werden manche Energieträger gar nicht besteuert, etwa der Flugzeugtreibstoff Kerosin. Dessen Befreiung beruht zwar zum Teil auf internationalen Luftverkehrsabkommen. Doch zumindest für Inlandsflüge wäre laut einem Gutachten für das Umweltbundesamt eine Besteuerung möglich. "Man müsse "ran an die Kerosinsteuer", fordert SPD-Ministerin Schulze, Teile der Union sehen das ähnlich.
Dabei geht es um viel Geld. Allein die Begünstigung von Kerosin macht laut dem letzten Subventionsbericht des IfW jährlich 570 Millionen Euro aus. Im Milliardenbereich bewegen sich diverse Steuerermäßigungen für die Industrie wie der sogenannte Spitzenausgleich oder die Begünstigung von Diesel gegenüber Benzin. Das IfW empfiehlt, die meisten dieser Subventionen zu streichen. Sie förderten Produktionsverfahren, mit denen die größte Reduzierung von Emissionen erreicht werden könnte und führten letztlich "die gesamte betriebene Energie- und Umweltpolitik ad absurdum".
Entlastung an anderer Stelle?
Mit der Streichung von Subventionen und steigenden Steuern hat sich allerdings noch kein Minister beliebt gemacht - das erklärt auch die Zurückhaltung von Olaf Scholz. Der Sozialdemokrat warnt schon seit einer Weile, dass auch in Deutschland eine Gelbwesten-Bewegung denkbar sei. Für die Proteste in Frankreich war die Erhöhung eines Klimazuschlags durch Präsident Emmanuel Macron einer der Auslöser für die heftigen Proteste gewesen.
Allerdings sehen die meisten Konzepte für eine CO2-Steuer ausdrücklich vor, dass diese aufkommensneutral sein soll: Die Steuer soll klimaschädliches Verhalten ändern, dem Staat aber keine zusätzlichen Einnahmen bescheren. Vielmehr würden die Bürger an anderer Stelle entlastet.
So fordert der Verein CO2-Abgabe , im Gegenzug für einen nationalen Preis andere Abgaben wie die EEG-Umlage und die Stromsteuer zu streichen. Das wäre auch deshalb sinnvoll, weil Strom für klimafreundliche Technologien wie E-Mobilität von wachsender Bedeutung sein wird.
Eine solche gezielte Entlastung sei auch der Rückzahlung über eine Kopfpauschale wie in der Schweiz vorzuziehen, sagt Jörg Lange, geschäftsführender Vorstand des Vereins. Andernfalls drohe der klimafreundliche Effekt gleich wieder aufgefressen zu werden. "Denn eine Garantie, dass die Rückgabe der Einnahmen aus einer CO2-Bepreisung pro Kopf nicht in die nächste Flugreise nach Mallorca investiert wird, gibt es nicht."