Verzweifelte Strategiewende Warum die Commerzbank jetzt keine Kunden mehr will

In einer radikalen Wende verkündet Commerzbank-Chef Zielke den Abschied von der alten Strategie: Statt wie bisher um immer neue Kunden zu buhlen, will das zweitgrößte Geldhaus des Landes nun sogar 200 Filialen schließen.
Commerzbank-Zentrale in Frankfurt: Der monotone Gleichklang des Chefs

Commerzbank-Zentrale in Frankfurt: Der monotone Gleichklang des Chefs

Foto: Roman Pilipey/ dpa

Martin Zielke kommt manchmal etwas unterkühlt daher. Der Commerzbank-Chef könnte auch den sofortigen Abriss des Frankfurter Konzernhochhauses verkünden, parallel zum Ersteinschlag der Abrissbirne, und würde diese Meldung vermutlich trotzdem mit monotonem Gleichklang vortragen. Der Mann, der seit Mai 2016 der zweitgrößten deutschen Bank vorsteht, verfügt halt über ein unfassbar ausgeglichenes Gemüt. Das ermöglicht es ihm, auch bitterste Wahrheiten so auszusprechen, als läse er den Wetterbericht vor. Und zwar den von vergangener Woche.

An diesem Freitag hatte Zielke eigentlich Revolutionäres zu verkünden - in eben jener Zentrale, die nach allem, was bislang bekannt ist, vorerst nicht abgerissen werden wird. Ein Trümmerfeld gibt es dennoch: Zielkes Strategie für die Commerzbank, mit der er vor drei Jahren als Bankchef angetreten war.

Grob gesagt ruhte diese Strategie bislang auf drei Säulen:

  • Filialschließungen vermeiden
  • permanentes Kundenwachstum
  • mehrere Marken unter einem Dach

Diese Strategie, für die man einst den etwas albernen Titel "Commerzbank 4.0" erfunden hatte, gilt ab sofort nicht mehr. Ab sofort heißt es "Commerzbank 5.0 - digital, persönlich, verantwortungsvoll".

Die Kernbestandteile der neuen Linie waren schon vor Tagen durchgesickert, und wurden an diesem Freitagmorgen von Zielke verkündet. Doch was kuschelig klingt, ist eine Vollbremsung der bisherigen Geschäftsausrichtung:

An Zielkes Tonfall am Freitagmorgen war die Tragweite dieses strategischen U-Turns freilich nicht zu erkennen. Stoisch wie immer referierte er vor der Presse zunächst über den angeblich durchschlagenden Erfolg seiner alten Strategie (die er ja gerade in die Tonne getreten hatte), um sich anschließend in Betrachtungen zu Buzzword-Themen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu verlieren. Erst dann kam er zu den eigentlich spannenden Punkten.

Einerseits vollführte der Commerzbank-Chef damit einen klassischen PR-Stunt, um davon abzulenken, dass die neue Strategie das Eingeständnis ist, mit der alten gescheitert zu sein. Andererseits bezeugt sein Auftritt die Rat- und Orientierungslosigkeit der Commerzbank. Lange hatte sie es sich im Schatten der notorischen Skandalnudel Deutsche Bank bequem gemacht: Die Integration der 2008 übernommenen Dresdner Bank war vergleichsweise gut gelungen, der jahrelange Stellenabbau fast geräuschlos abgewickelt worden. Dass die Commerzbank kaum Geld verdient und inzwischen wie eine große Sparkasse daherkommt, fiel dabei irgendwie kaum auf.

Die Misere der Commerzbank ist nun offenkundig

Doch seit Zielke zu Jahresbeginn Christian Sewing, seinem Amtskollegen von der Deutschen Bank, Fusionsgespräche mehr oder minder aufgedrängt hatte, ist die Misere der Commerzbank offenkundig. Die Kosten sind zu hoch, die Erträge zu niedrig, Wachstumsaussichten fast nicht existent. Seit dem Abbruch der Gespräche hat die Commerzbank  -Aktie deutlich mehr an Wert verloren als die der Deutschen Bank  .

Das Geschäftsmodell der Commerzbank basiert im Wesentlichen auf der Annahme, ihren Kunden mehr an Kreditzinsen abzuverlangen, als sie ihren Sparern an Einlagenzinsen zahlen muss. Das ist der Grund, warum sie seit Jahren zu Kampfkonditionen Unternehmenskredite vergibt und Privatkunden mit Begrüßungsgeld ködert in der Hoffnung, ihnen Darlehen vermitteln und sie zu Wertpapieranlagen drängen zu können. Und es ist letztlich der selbstverständliche Geschäftszweck einer Bank, bloß: Er funktioniert erkennbar nicht, und angesichts der Aussicht auf weiterhin rekordniedrige Leitzinsen der Europäischen Zentralbank, wird die Sache absehbar noch schwieriger.

Commerzbank-Chef Martin Zielke: Bittere Wahrheiten ruhig ausgesprochen

Commerzbank-Chef Martin Zielke: Bittere Wahrheiten ruhig ausgesprochen

Foto: imago images/STAR-MEDIA

Ein nennenswertes Kapitalmarktgeschäft, um sich quasi nebenher etwas dazuzuverdienen, hat die Commerzbank nicht. Von riskanten Spielereien, wie etwa der Schiffsfinanzierung, hat sie sich zu Recht, wenn auch notgedrungen verabschiedet. Doch nun verkauft sie auch noch die M-Bank, die eigentlich tüchtig Geld verdient und deren moderner Filialauftritt alles schlägt, was die Commerzbank sonst im Angebot hat. Dabei sollte die Polen-Tochter vor Jahresfrist noch zum Nukleus einer paneuropäischen Onlinebank-Offensive werden, ehe das Management feststellte, dass dafür gar kein Geld vorhanden ist. Nun also weg damit.

Natürlich versprach Zielke im Gegenzug umfangreiche Investitionen in die IT der Commerzbank - wobei denkbar ist, dass das Geld zunächst einmal dafür ausgegeben werden muss, die maroden Computersysteme halbwegs sicher zu machen. Fraglich, ob dann noch Geld übrig sein wird, um die Bank in ein digitales Technologieunternehmen zu verwandeln, wie es Zielke wiederholt angekündigt hat.

Beschämend niedrige Ziele

Kurzum: Die Lage ist ebenso trost- wie aussichtslos. Aber typisch für Deutschlands Banken, von denen keine international mithalten kann oder zu den digitalen Vorreitern der Branche gehört. Anders als Deutsche Bank und Commerzbank sind Sparkassen und Volksbanken immerhin nicht den Renditeerwartungen von Aktionären ausgesetzt, was ihnen Luft verschafft. Die Commerzbank indes konkurriert bei den Investoren mit anderen Unternehmen, deren Aktien deutlich mehr Kursgewinn versprechen. Nicht umsonst ist sie inzwischen aus dem Dax-Index der 30 wichtigsten deutschen Unternehmen herausgefallen.

Wie wenig trotz der Generalüberholung aus der Commerzbank herauszuholen sein wird, stellte Zielke klar, als er einen neuen Zielwert für die Eigenkapitalrendite ausrief, den besten Vergleichsmaßstab für Wettbewerbsfähigkeit: Gerade mal vier Prozent will die Commerzbank hier erreichen. Das ist beschämend niedrig, vermutlich aber realistisch. Womöglich wäre es daher sinnvoller, die Commerzbank mit einer großen Sparkasse zu verschmelzen und von der Börse zu nehmen.

Wie frustrierend es inzwischen sein muss, für ein Haus wie die Commerzbank zu arbeiten, macht Finanzvorstand Stephan Engels klar. Er wechselt lieber in gleicher Funktion zur Danske Bank nach Kopenhagen, die wie keine andere in Geldwäsche-Verdachtsfälle verstrickt ist.

Was für ein trauriger Befund für eine Bank, die nach dem Willen der Bundesregierung durch die Übernahme der Dresdner einst zu einem "nationalen Champion" aufsteigen sollte.

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