Neue Corona-Hilfen Geld to go

Daniel Karmann / DPA
Die Stühle sind hochgestellt, die Tische zusammengerückt, an der Seite stehen die Corona-Trennwände. Bis vor wenigen Tagen waren sie noch zentraler Bestandteil des Hygienekonzeptes eines Restaurants im Hamburger Schanzenviertel. Seit Montag ist das Lokal nun wieder geschlossen. Und der Wirt überlegt, ob es sich überhaupt lohnt, so bald wieder aufzusperren.
Er fragt sich das nicht, weil er sich Sorgen um die Existenz seines Ladens macht. Sondern weil er kaufmännisch abwägt, was sich rechnet: Mit dem Außerhaus-Geschäft zumindest einen Rumpfumsatz in Lockdown-Zeiten erwirtschaften? Oder bleibt die Küche kalt, weil mit dem Hilfsgeld vom Staat ohnehin genug hängen bleibt?
Vor einer Woche hatte die Bundesregierung zusätzliche Hilfen in Höhe von rund zehn Milliarden Euro für Unternehmen und Selbstständige angekündigt, die vom November-Shutdown betroffen sind. Doch das neue Programm war mit heißer Nadel gestrickt. Deshalb blieben nach einem Auftritt von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) noch viele Fragen offen.
Nun haben sich beide Ministerien über weitere Details verständigt, ein entsprechendes Papier liegt dem SPIEGEL vor. Die Bedingungen klingen großzügig und im Vergleich zu früheren Programmen unbürokratisch. Sie dürften aber auch für Verzerrungen sorgen: Während manche Unternehmer damit gerade einmal so ihre Fixkosten tragen können, machen andere Branchen mit den Staatshilfen womöglich noch Gewinn. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Wer kann die Hilfen beantragen?
Anspruch haben all jene, die wegen der Beschlüsse von Bund und Ländern vom 28. Oktober im November den Geschäftsbetrieb einstellen müssen. Dazu zählen Unternehmen (auch öffentliche), Betriebe, Selbstständige und Vereine.
Auch Soloselbstständige haben Anspruch auf Ersatz ihrer Einnahmen, nachdem sie über die bisherigen Programme nur Betriebskosten geltend machen konnten. Hotels werden zu den direkt Betroffenen gezählt, obwohl sie zumindest für Geschäftsreisende geöffnet bleiben.
Präzisiert hat die Regierung nun, inwiefern Unternehmen und Selbstständige auch als indirekt Betroffene Anspruch auf Förderung haben. Dafür müssen sie "nachweislich und regelmäßig" 80 Prozent ihrer Umsätze mit Unternehmen machen, die direkt von den Schließungen betroffen sind. Diese Regelung könnte beispielsweise für eine Wäscherei gelten, die den Großteil ihrer Geschäfte mit Restaurants und Hotels macht. Indirekt Betroffene können 75 Prozent der Umsätze geltend machen, die sie mit den direkt betroffenen Unternehmen machen.
Wie berechnen sie sich?
Grundsätzlich betragen die Zuschüsse 75 Prozent des Umsatzes im November 2019. Allerdings schwanken bei Soloselbstständigen wie etwa Musikern oder Schauspielern die Einnahmen oft stark. Sie können deshalb alternativ den durchschnittlichen Monatsumsatz im Jahre 2019 zugrunde legen.
Auch für Neugründer gelten Sonderregeln: Wenn Unternehmen oder Selbstständige ihre Geschäftstätigkeit erst nach dem 31. Oktober 2019 aufgenommen haben, können sie den Umsatz im Oktober 2020 oder den Durchschnittsumsatz seit der Gründung wählen.
Abgezogen von den Hilfen werden andere staatliche Leistungen, die im November gezahlt wurden. Dazu zählen etwa die sogenannte Überbrückungshilfe oder das Kurzarbeitergeld.
Wie hoch ist die Hilfe maximal?
Ein Plusgeschäft soll die Hilfe für ihre Empfänger eigentlich nicht werden. Deshalb werden Einnahmen, die trotz der Schließung im November erzielt werden und 25 Prozent des Umsatzes im Vorjahr überschreiten, auf die Hilfen angerechnet.
Für Restaurants ist die Erstattung auf Umsätze mit vollem Mehrwertsteuersatz begrenzt. Dadurch sollen Außerhausverkäufe herausgerechnet werden, für die schon im vergangenen Jahr der reduzierte Steuersatz galt. Zugleich werden Gastronomen nun aber während des November-Shutdowns Umsätze mit Take-away-Essen nicht angerechnet. Ziel sei es, "eine Ausweitung dieses Geschäfts zu begünstigen", heißt es in dem Papier von Finanz- und Wirtschaftsministerium.
Um nicht gegen Beihilferegeln der EU zu verstoßen, sind einzelne Hilfszahlungen auf eine Million Euro begrenzt. Nach einer Notifizierung der EU-Kommission soll aber auch eine "Novemberhilfe plus" mit höheren Beträgen möglich sein.
Wo und wie können die Hilfen beantragt werden?
Das geht online über die sogenannte Überbrückungshilfe-Plattform . Firmen müssen die Hilfen mit der Unterstützung von Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern beantragen. Ärgern dürften sich dabei Schwarzarbeiter: Wer in der Vergangenheit gegenüber dem Fiskus zu niedrige Umsätze geltend gemacht hat, kann nun auch nur entsprechend geringere Hilfen beantragen.
Für Soloselbstständige wird das Verfahren vereinfacht. Bis zu einer Summe von 5000 Euro können sie die Hilfen direkt beantragen.
Wer sind die größten Profiteure?
Zweifelsohne die Gastronomen. Denn sie haben in ihren monatlichen Kosten einen großen Posten, der bei einer Betriebsschließung nicht mehr anfällt: die Ware.
Im Fall des Gastronomen aus dem Hamburger Schanzenviertel liegt der Umsatz in einem durchschnittlichen Monat nach Steuern etwa bei 118.000 Euro. Davon fließt ein Drittel in den Wareneinkauf. Rund 14 Prozent gehen für Miete, Strom, Gas und Wasser drauf. Weitere 44 Prozent für das Personal. Rechnet man nun noch Verwaltungskosten etwa für den Steuerberater hinzu, kommt man auf Kosten von rund 96 Prozent des Umsatzes.
Während des Shutdowns aber muss der Gastronom ja gar keine Ware einkaufen, wenn er seinen Laden zu lässt. Läuft alles nach seinem Plan, so überweist ihm der Staat dennoch drei Viertel seines Umsatzes: etwa 88.500 Euro. Tatsächlich fallen in einem normalen Monat aber nur etwa 74.000 Euro an Kosten an. Damit bleiben 14.500 Euro – kein Kostenersatz, sondern ein Geschenk.
Ähnlich sieht es bei anderen Gastronomen aus, mit denen der SPIEGEL gesprochen hat. Und auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) hält eine solche Verteilung zumindest nicht für gänzlich unrealistisch. Das zeigt eine Übersicht mit Beispielrechnungen für verschiedene Hotel- und Gaststättenformate. Demnach liegen, je nach Kategorie und Größe, die Kosten für Personal- und Wareneinsatz je zwischen 20 und 30 Prozent. Miete, Neben-, Verwaltungs- und Betriebskosten summieren sich auf noch einmal denselben Anteil.
Wieso fallen die Hilfen so großzügig aus?
Das liegt zum einen am Ansatz der Großen Koalition. Den Betroffenen sollte "einfach und unbürokratisch" geholfen werden, teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit. "Dabei geht es insbesondere um die Fixkosten, die trotz der temporären Schließung anfallen."
Dass die Waren bei den Gastronomen gar nicht dazuzählen, dürfte den Beamten kaum entgangen sein. Vielmehr ist daher davon auszugehen, dass hier tatsächlich nach dem Prinzip Schnelligkeit vor Genauigkeit gehandelt wurde. Man könnte auch sagen: Der Bund wollte generös helfen. Zumal der Dehoga im Vorfeld ganze Arbeit geleistet hat: In einer aktuellen Mail an seine Mitglieder spricht der Verband von "unendlicher Verzweiflung", sieht seit dem Frühjahr 70.000 Hotels und Gaststätten vor dem Aus.
Die 165.000 reinen Gaststätten im Land mögen die größten Profiteure der Staatshilfen sein. Zur Wahrheit gehört aber auch: Bei den über 40.000 Hotels, den vielen Tausend kleinen Nagelstudios oder Hundesalons und einem Teil der Soloselbstständigen sieht die Rechnung oft gänzlich anders aus. Denn sie haben mitunter viel höhere Fixkosten.