Online-Mode in der Coronakrise Im Homeoffice braucht niemand einen Anzug

Frühere Boom-Branche Modeversandhandel: Jahresprognose nicht mehr zu halten
Foto: Arne Dedert / picture alliance / dpaRenata Depauli hat derzeit keinen einfachen Job. Mit Herrenausstatter.de betreibt die Münchnerin seit mehr als 20 Jahren einen erfolgreichen deutschen Online-Modeshop. In normalen Zeiten würde sie jetzt Übergangsjacken verkaufen, vielleicht kurzärmelige Hemden für die warmen Ostertage. Stattdessen arbeitet sie mit ausgesprochen unattraktiver Ware: "Dresscode Jogginghose" oder "Serienmarathon mit Stil" sind die aktuellen Frühjahrskategorien. Statt teurer Anzüge gibt es "Oben Business, unten Casual"-Ideen. Und ein eigens gebauter Good-News-Ticker muss im Alleingang die Kauflaune heben.
Geholfen hat das alles wenig. In den vergangenen Wochen ist Depaulis Umsatz um 40 Prozent gesunken, der Absatz bei teuren Anzügen ist noch stärker zurückgegangen. "Gerade in den ersten Tagen war das bitter", sagt die 52-Jährige. Nur ein Teil davon konnte durch bequeme Mode aufgefangen werden, den Rest muss jetzt das Ostergeschäft leisten. Tut es das nicht, wird die Unternehmerin für einen Teil ihrer rund 200 Angestellten Kurzarbeit anzeigen. "Nächste Woche werden wir entscheiden", sagt sie.
Ähnlich wie Depauli geht es derzeit der gesamten Modeindustrie. Sie leidet unter der Coronakrise wie wenige andere Branchen. Der Einzelhandel trägt dabei naturgemäß die größte Last: Sämtliche Läden haben geschlossen, allein im März fielen deshalb ein Dutzend Verkaufstage weg. Laut einer Umfrage des Fachmagazins "Textilwirtschaft" sanken die Umsätze im Vergleich zum Vorjahresmonat um durchschnittlich 60 Prozent. Doch im Onlinehandel, wo man derzeit die meisten Krisengewinner vermutet, sieht es nur wenig besser aus.
Dafür gibt es einen einfachen Grund, glaubt Sebastian Schoemann, Partner bei der Unternehmensberatung AT Kearney: "Der Verkauf von Kleidung, Schuhe und Kosmetik lebt von der Öffentlichkeit und dem sozialem Miteinander, in dem sie präsentiert werden - und das ist gerade nicht möglich." Wer im Homeoffice sitzt, braucht in der Regel keine neuen Klamotten. Suchtrends, die AT Kearney analysiert hat, sprechen eine klare Sprache: Während die Nachfrage nach Online-Baumärkten oder -Apotheken seit Januar prozentual dreistellig gewachsen ist, interessiert Mode derzeit kaum. Eine aktuelle Studie der Strategieberatung McKinsey rechnet im Onlineverkauf mit einem Minus von bis zu 20 Prozent.
Zalando meldet Millionenverluste
Das spüren auch die großen Player: "Normalerweise stark nachgefragte sowie besonders ertragsstarke Warenkategorien wie die saisonale Frühjahrs-, Sommer- und Bademode verzeichnen deutliche Rückgänge", heißt es etwa vom Versandhändler Otto. Ende März hatte der Berliner Mode-Riese Zalando für das erste Quartal dieses Jahres einen Verlust von 28 Millionen Euro vermeldet, auch die Jahresprognose sei nicht mehr zu halten.
Der Vorstand versprach in einem offenen Brief, den stationären Händlern zu helfen, die über Zalando ihre Produkte verkaufen, damit das Geschäft langfristig nicht zum Erliegen kommt. Im April und Mai zahlen die Partner dieses sogenannten Connected-Retail-Programms demnach keine Kommission. Darüber hinaus habe Zalando 100 Millionen Euro bereitgestellt, "um Partner, die Waren und Dienstleistungen an uns geliefert haben, schon vor der vertraglich vereinbarten Frist zu bezahlen".
Für wen sollte man sich auch fein machen?
Gerade in den ersten Tagen, nachdem das Land heruntergefahren worden war, hätten sich die Kunden stark zurückgehalten, heißt es bei Zalando. "Wir haben gemerkt, dass die Menschen mit anderem beschäftigt waren als online einzukaufen", sagt Lisa Miczaika, zuständig fürs Zentraleuropa-Geschäft. Inzwischen kauften wieder etwas mehr Menschen ein - aber andere Dinge. Gefragt seien etwa Leggins, Yoga-Kleidung und Joggingschuhe, wenig Interesse hätten die Kunden an Abendkleidern, Anzügen und Lederschuhen. Auch Make-up werde gerade nicht benötigt. Für wen sollte man sich auch fein machen? Mit dem Kauf von Bademode hielten sich die Kunden ebenfalls zurück. Viele können sich vielleicht noch nicht vorstellen, bald wieder irgendwohin zu fliegen, wo sie am Strand liegen können.
Um die Einbußen verkraften zu können, plant Zalando nun ein millionenschweres Sparprogramm. Die Kostensenkungen sollen sich auf 350 Millionen Euro belaufen, erklärte der Versandhändler am Donnerstag. Ziel sei die Vermeidung von Entlassungen.
"Von außen gibt es diese Vorstellung: Wenn die Läden geschlossen sind, muss es online ja laufen", sagt Julia Bösch, "aber das stimmt so nicht." Die 35-Jährige ist Chefin des Berliner Modeversenders Outfittery. Ihr Geschäftsmodell, eine Art personalisierte Modebox für Männer, kämpft in diesen Tagen mit gleich mehreren Herausforderungen.
Zum einen fehlen momentan die Neukunden, "die Menschen sind kaufmüde", sagt Bösch. Seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen hätten sich die Zahlen zwar wieder verbessert, doch sie seien noch weit unter Normalniveau. Umso mehr muss sich Outfittery um seine Bestandskunden kümmern, verschenkt mittlerweile kostenlose Online-Fitnesskurse, verkauft selbst produzierte Baumwoll-Stoffmasken und verschickt Durchhalteparolen per Pushnachricht aufs Handy.
Zum anderen basiert das Geschäftsmodell auf einer hohen Retourenquote: Kunden sollen von den für sie ausgewählten Teilen nur jene behalten, die ihnen auch gefallen und den Rest zurückschicken. Wie soll das gehen, wenn die Leute nicht das Haus verlassen wollen? "Seit vergangener Woche holt DHL die Pakete wieder an der Wohnungstür ab", sagt Bösch, das habe man infolge der Corona-Ausgangsbeschränkungen eingeführt. Die Rechnung bezahlt Outfittery.
Viele der Onlineshops hoffen derzeit noch auf das Ostergeschäft - und die Zeit danach. Im Gegensatz zum stationären Handel können die Webshops länger durchhalten, ihre Fixkosten sind geringer, die Strategien wendiger. Doch die Rückkehr zum bisherigen Wachstum dürfte auf sich warten lassen: Die Boston Consulting Group hat rund 3000 deutsche Verbraucher befragt, wie sich ihr Konsumverhalten infolge der Coronakrise verändert. Das Ergebnis: Ein Drittel will in den kommenden sechs Monaten deutlich weniger für Mode ausgeben.