Henrik Müller

Wirtschaftliche Folgen der Corona-Pandemie Die Welt nach der Krise

Henrik Müller
Eine Kolumne von Henrik Müller
Die Corona-Pandemie verstärkt Trends, die seit Jahren zu beobachten sind. In der Wirtschaft droht eine Konzentration zugunsten der Großkonzerne. Das ist schlecht für die Verbraucher.
Nach der Krise: Wer bleibt?

Nach der Krise: Wer bleibt?

Foto: Cindy Ord/ Getty Images

Die Wirtschaftsforscher sind sich derzeit in einem einig: Die Weltwirtschaft steckt in einer Rezession, und zwar womöglich der tiefsten, die jemals ohne Kriegseinwirkungen im Westen gemessen wurde. Deutschlands Wirtschaftsleistung wird im Gesamtjahr 2020 um rund sechs Prozent einbrechen, sagt etwa die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute  vorher, die in der abgelaufenen Woche veröffentlicht wurde. Etwas optimistischer ist der Wirtschaftssachverständigenrat .

Ab der zweiten Jahreshälfte dürfte es nach Einschätzung der Wirtschaftsforscher dann allmählich wieder aufwärtsgehen. Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger holen Ausgaben nach, die sie wegen der Corona-bedingten Beschränkungen aufgeschoben haben. 2021 könnte sogar ein Boomjahr werden, wenn Konjunkturpakete und Geldspritzen der Notenbanken die wirtschaftliche Erholung zusätzlich befeuern. Dass viele Anleger die Perspektiven ähnlich einschätzen, zeigen die Kurssprünge an den Börsen in den vergangenen Tagen.

So in etwa sieht derzeit das Kernszenario aus: Wir durchleben gerade einen abrupten Rückgang der Wirtschaftsleistung. Aber weil die Staaten die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie mit voluminösen Finanzspritzen abfedern, geht es danach weiter wie gehabt. Die Corona-Episode würde als schlimme medizinische Krise in die Geschichtsbücher eingehen. Aber aus konjunktureller Sicht wäre sie bald abgehakt.

Kontrolle durch wenige Große

Mag sein. Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt, der in den Vorhersagen kaum eine Rolle spielt: Die Krise dürfte die Wirtschaftsstrukturen tief greifend verändern.

Wie genau dieser Wandel ablaufen wird, wissen wir derzeit noch nicht. Aber es ist offensichtlich, dass sich durch die Pandemie und die politischen Reaktionen darauf einige Trends verstärken und beschleunigen werden, die schon seit Jahren sichtbar sind. Ich greife drei Entwicklungen heraus:

  • Die Globalisierung wird eingeschränkt. Der grenzüberschreitende Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Menschen und Kapital wird durch allerlei Restriktionen behindert. Staaten begünstigen selektiv heimische Anbieter und Branchen gegenüber ausländischen.

  • Die Digitalisierung erfasst immer weitere Teile der Wirtschaft. Daten werden zur zentralen Ressource.

  • Auf vielen Märkten ist die Konzentration so weit fortgeschritten, dass sie von wenigen oder sogar nur einem einzigen Unternehmen kontrolliert werden.

Diese Trends begünstigen sich wechselseitig. Nun hat die Coronakrise eine Dynamik in Gang gesetzt, die die Macht von ohnehin bereits großen Unternehmen weiter vergrößern wird. Das sind schlechte Nachrichten: Bei sinkender Wettbewerbsintensität leidet die Wirtschaft, besonders Konsumenten sowie kleinere Unternehmen und deren Beschäftigte.

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International ist die Konzentration gestiegen

Bereits im vorigen Jahr zeigte der Internationale Währungsfonds (IWF) in einer groß angelegten Untersuchung , wie stark die zunehmende Konzentration der Wirtschaft westliche Gesellschaften im Griff hat. In den Jahren zwischen 2000 und 2015 habe die Marktmacht einiger Unternehmen spürbar zugenommen. Die Gewinnaufschläge ("mark-ups") einer relativ kleinen Zahl von Unternehmen und Branchen seien gestiegen. Zwei Drittel der höheren Preisaufschläge gehen auf Anbieter zurück, die bereits eine starke Marktposition haben, nicht auf innovative Newcomer. Und diese Effekte drohten sich weiter zu verstärken.

Insgesamt, so die IWF-Studie, habe zunehmende Marktmacht negative volkswirtschaftliche Auswirkungen. Wenn sich die Wirtschaft auf wenige mächtige Unternehmen konzentriere, hätten diese weniger Anreize zu investieren und zu innovieren, so die IWF-Studie. Die Verteilung der Einkommen werde ungleicher; Wachstum und Wohlstand blieben zurück. Die Marktwirtschaft, so lässt sich die IWF-Studie interpretieren, droht durch die Macht von Big Business erdrosselt zu werden.

In Deutschland allerdings funktioniert der Wettbewerb bislang noch ganz gut. Die Monopolkommission, ein Expertengremium, das die Bundesregierung berät, stellte in ihrem jüngsten Bericht  fest, dass die Macht der Konzerne in Deutschland sogar abgenommen hat: Der Anteil der hundert größten Firmen an der heimischen Wertschöpfung und Beschäftigung ist zuletzt gesunken.

Doch die Coronakrise und die wirtschaftspolitischen Reaktionen dürften zu Strukturveränderungen führen, die uns auf viele Jahre beschäftigen werden.

Staatliche Eingriffe zugunsten der Großen

Je länger die Wirtschaftskrise dauert, desto schlimmer wird die folgende Pleitewelle. Und sie wird besonders kleinere Unternehmen treffen. Ein paar Monate Umsatzausfall lassen sich vielleicht noch durch die staatlichen Kreditprogramme ausgleichen. Springt das Geschäft danach nicht wieder schlagartig an, werden viele Firmen wegen Überschuldung Konkurs anmelden müssen.

Die Bundesregierung versucht zwar, die drohende Pleitewelle durch eine zeitweise Lockerung des Konkursrechts abzumildern. Größere Unternehmen jedoch können noch ganz andere Unterstützung erwarten: Sie haben die Chance auf einen Einstieg des Staats. Für Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten und mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz stehen 100 Milliarden Euro an Beteiligungskapital aus dem "Wirtschaftsstabilisierungsfonds" (WSF) bereit. Damit kann der Bund Eigenkapital zuschießen, etwa indem er neue Aktien erwirbt oder sich als stiller Teilhaber engagiert. Diese Ungleichbehandlung verschafft größeren Firmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren - und begünstigt die Konzentration.

Normalerweise würden bei solchen Deals die Brüsseler Wettbewerbshüter ganz genau hinschauen und viele Staatshilfen untersagen. Doch wegen der Dramatik der Coronakrise sind die Regeln vorerst ausgesetzt. Die EU-Kommission winkt die Hilfen derzeit ohne große Prüfung durch.

Dazu kommt die Digitalisierung, etwa im Einzelhandel: Seit Wochen sind die meisten Läden geschlossen. Kleine, unabhängige Firmen bangen um ihre Existenz. Große Ketten und Versender dürften hingegen profitieren. Zumal Konsumentinnen und Konsumenten nun umso mehr online kaufen. Dort wächst der Umsatz so stark, dass der Marktführer Amazon zusätzliche Arbeitskräfte einstellen will.

Die Krise beschleunigt die Digitalisierung, auch weil sich das Verhalten der Menschen ändert, zum Teil vermutlich dauerhaft. Wer für die langen Lockdown-Abende Abos von Streamingdiensten wie Netflix abgeschlossen hat, geht auch künftig womöglich seltener ins Kino. Wer die Vorzüge des Homeoffice kennengelernt hat, braucht Zugriff auf Daten in der Cloud; Besprechungen finden per Videokonferenz statt. Die Anbieter dieser Dienste profitieren, vor allem wiederum große Datenunternehmen wie Alphabet, Microsoft und Amazon. Firmen also, die ohnehin von einer ganzen Reihe von Größenvorteilen begünstigt sind: Je mehr Nutzerinnen und Nutzer sie haben, desto wertvoller werden ihr Netzwerk, ihr Datenbestand, ihre Algorithmen und folglich auch die Services, die sie anbieten können.

Auch auf dem Medienmarkt droht die Konzentration weiter zuzunehmen: Regionalzeitungen und Radiosendern brechen die ohnehin schmalen Werbeerlöse weg; den bundesweiten Qualitätsmedien gehen zusätzlich die Einnahmen aus dem Veranstaltungsgeschäft verloren. Die Coronakrise hat das Potenzial, große Teile der deutschen Medienlandschaft zu verwüsten . Eine Entwicklung, die derzeit unser Institut intensiv beschäftigt.

Gefordert: die Wettbewerbshüter

Krisen begünstigen Konzentration. Das war auch beim letzten Mal so. Nach dem Lehman-Schock von 2008 wurden im Bankensektor in vielen Ländern große Institute immer größer - kleinere wurden übernommen oder abgewickelt, wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich vorgerechnet  hat.

Verglichen mit der Finanzkrise ist die Coronakrise allerdings umfassend: Sie verläuft weltweit nahezu synchron und betrifft quasi alle Branchen. Entsprechend umfassend werden auch die Konzentrationsprozesse sein.

In den vergangenen Jahrzehnten gab es zwei wirksame Hebel gegen die Übermacht von Big Business: die Globalisierung und die Wettbewerbspolitik. Die Öffnung der Märkte seit den Achtzigerjahren erhöhte den Konkurrenzdruck. Selbst Konzerne, die als nationale Platzhirsche agierten, mussten nun das Auftauchen internationaler Wettbewerber fürchten. Märkte werden so "bestreitbar", wie Ökonomen das nennen; schon die Existenz potenzieller Wettbewerber kann die Macht von Big Business im Zaum halten.

Seit einiger Zeit jedoch nehmen die Beschränkungen des internationalen Handels wieder zu. Regierungen erklären Branche um Branche für strategisch relevant, also schützenswert. Der Handelskrieg, von US-Präsident Donald Trump losgetreten, hat bereits gezeigt, dass das multilaterale System der Nachkriegsjahrzehnte weitgehend am Ende ist. Die Coronakrise lenkt nun den Blick auf immer weitere Wirtschaftszweige - Pharma, Medizintechnik, Ernährung, IT und mehr –, wo das alte Konzept der nationalen Selbstversorgung wieder zum Maßstab werden könnte.

Umso wichtiger werden die Wettbewerbsbehörden. Auf die EU-Kommission und die nationalen Kartellämter kommt in den kommenden Jahren eine Menge Arbeit zu: Sie müssen ungezügelte Marktmacht brechen, Kartelle sprengen und staatliche Beteiligungen zurückdrängen. Auf dass der Bessere gewinne.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der bevorstehenden Woche

Peking - Corona-Monat März – Chinas Zoll gibt Zahlen für den Außenhandel im März und im ersten Quartal bekannt.

Berichtssaison I – Geschäftszahlen von Johnson & Johnson, J.P. Morgan Chase & Co, Wells Fargo.

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