Textilindustrie Coronavirus könnte Adidas, Gucci und H&M Milliarden kosten

Kaum eine Branche ist so stark mit China verflochten wie die Bekleidungsindustrie. Doch nun breitet sich das Coronavirus auch in Europa aus. Textilkonzerne müssen sich auf schwere Einbußen einstellen.
Ein mit Mundschutz ausgestatteter Verkäufer steht am Eingang der leeren Versace-Boutique in der verwaisten Hongkonger "Harbour City Shopping Mall"

Ein mit Mundschutz ausgestatteter Verkäufer steht am Eingang der leeren Versace-Boutique in der verwaisten Hongkonger "Harbour City Shopping Mall"

Foto: May James/ SOPA Images/ LightRocket/ Getty Images

Am Valentinstag herrschte gespenstische Leere in Shanghais Luxuseinkaufszentrum Plaza 66. Die Türen zu Tiffany's, Cartier und anderen Edelboutiquen waren geschlossen - vollkommen verlassen lag die Passage an diesem sonst so shoppingverrückten Tag da, berichtet die "Financial Times". Eindrücke wie diese ließen François-Henri Pinault, Chef des französischen Luxusmodekonzerns Kering, eine ungewöhnliche Warenumverteilung ankündigen: "Wir werden nun, Marke für Marke, diesen Warenbestand in andere Weltregionen verlagern, damit wir in China nicht zu viel auf Lager haben."

Damit wird er unter anderem Europa meinen. Zwar löst er damit mögliche Lieferengpässe durch stillstehende Produktion in China. Doch zum einen stapeln sich seit Wochen die Container in den chinesischen Häfen - Ware aus der Volksrepublik zu verschiffen, ist schwierig geworden. Und zum anderen droht das Virus nun auch in Europa zur Epidemie zu werden - womit die Ware auch hier liegenbleiben könnte.

Das Coronavirus sorgt Unternehmen weltweit - und trifft die extrem globalisierte Textilindustrie besonders hart. China ist nicht nur der mit Abstand größte Exporteur von Bekleidung, sondern für viele Marken inzwischen auch der wichtigste Markt.

Doch seit rund einem Monat sind dort die meisten Fabriken und Läden geschlossen, nur langsam nehmen Produktionsstätten die Arbeit wieder auf. Und in die wenigen offenen Geschäfte wagen sich kaum Kunden. Seit sich das Virus auch in Italien ausbreitet - dem wichtigsten Bekleidungsexporteur in Europa - , könnten Produktion und Absatz auch in Deutschland betroffen sein, das bei den Bekleidungsexporten kurz hinter Italien liegt.

Was heißt das für deutsche und andere europäische Marken wie Adidas, H&M, Zara und Co.? Und was ist mit den Luxusherstellern?

H&M produziert bis zu 30 Prozent in China

Modemarken des mittleren und unteren Preissegments sind stark von den Produktionsausfällen in China betroffen. So auch H&M, das 20 bis 30 Prozent seiner Textilien in China produziert. Führt das in Zukunft zu weniger Ware in den Läden? Aktuell rechne man nicht damit, "aber wenn sich das Virus weiter ausbreitet, kann sich das ändern", sagt eine Sprecherin. "Wir stehen deswegen in stetigem engen Kontakt mit unseren Lieferanten und bewerten die Situation gemeinsam mit ihnen." Auch Primark warnte bereits vor möglichen Lieferengpässen seiner Sommerkollektion wegen des Virus.

Kritisch bewertet Tom Tailor die Corona-Folgen: "Ja, wir sind auch betroffen - wir gehen derzeit davon aus, dass es zu Lieferverzögerungen in der Auslieferung der Mai-, Juni- und Juli-Kollektionen kommen könnte", sagt eine Sprecherin des deutschen Modeunternehmens. Zehn Prozent der Produktion komme aus China. Doch wenn die Fabriken wie geplant Mitte März wieder zu 100 Prozent arbeiteten, werde sich das "in Grenzen" halten.

Auch der deutsche Modefilialist Gerry Weber bestätigt eine verzögerte Produktion - die Frühjahr-Sommerware sei aber gesichert, wenn überhaupt werde es die Herbst-Winter-Kollektion treffen. Inzwischen liefen 50 bis 80 Prozent der Fabriken wieder, Branchenexperten gehen insgesamt von rund 50 Prozent aus. Zu Lieferengpässen werde es kommen, wenn die Mehrzahl der Fabriken ab März noch immer geschlossen bliebe, zitiert die "Financial Times" eine Analystin der Bank UBS.

Der Zara-Mutterkonzern Inditex ist dagegen besonders stark auf reibungslose Abläufe in europäischen Fabriken angewiesen. Der spanische Konzern setzt schon länger auf Kleidung "made in Europe", vor allem aus Spanien, Portugal und der Türkei. Dass das auch kein Corona-sicherer Hafen ist, zeigte sich am Montag: Nachdem am Wochenende das Virus in Italien ausgebrochen war, stürzte die Inditex-Aktie um rund zehn Prozent ab. Das kostete Inditex-Mehrheitsaktionär und -CEO Amancio Ortega rund vier Milliarden Dollar, schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg . Doch auch die Aktie von H&M stürzte zwischenzeitlich ähnlich stark ab.

Was die Umsatz- oder Gewinneinbußen anbelangt, halten sich die meisten Unternehmen bedeckt. "Aufgrund des Virus sind derzeit 151 Geschäfte der H&M-Gruppe in China und ein Geschäft in Italien vorübergehend geschlossen", bestätigt H&M. Damit seien "kurzfristige Auswirkungen auf den Umsatz unvermeidlich", konkreter wird das Unternehmen nicht. China ist allerdings auch für die schwedische Fast-Fashion-Kette inzwischen der fünftgrößte Markt - mit 520 Läden, gefolgt von Italien mit 188 Läden.

Adidas: 85 Prozent weniger Umsatz in China

Deutlicher bezifferte dagegen Adidas die Coronafolgen für sein Geschäft bereits am 19. Februar: Etwa 85 Prozent unter Vorjahresniveau lägen die Umsätze in China seit dem chinesischen Neujahr am 25. Januar. Die umfangreichen Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie hätten zur Schließung einer erheblichen Anzahl von eigenen und Partnerfilialen "sowie einem deutlich reduzierten Kundenaufkommen in den verbleibenden Stores geführt", antwortet das Unternehmen auf eine SPIEGEL-Anfrage. Adidas betreibt in China knapp 500 eigene Läden, mit Franchise-Geschäft sind es insgesamt rund 12.000.

China ist ein enorm wichtiger Markt für den deutschen Sportausrüster: Rund 4,5 Milliarden Euro nimmt Adidas dort ein, das sind etwa 20 Prozent der Gesamtumsätze. Ebenfalls rund ein Fünftel macht der nordamerikanische Markt aus, nur Europa ist mit 27 Prozent einiges größer. Sollte also auch in Europa virusbedingt die Nachfrage zusammenbrechen, könnte es schmerzhaft für den Sportartikelgiganten werden. Noch könne man zwar "keine wesentlichen Auswirkungen auf unsere Geschäftstätigkeit außerhalb Chinas feststellen", teilt das Unternehmen mit. Aber: "Angesichts der sich täglich verändernden Lage lässt sich das Ausmaß der Gesamtauswirkungen auf unser Geschäftsjahr 2020 zu diesem Zeitpunkt nicht zuverlässig quantifizieren."

Puma beklagt zwar die Lage seines chinesischen Einzelhandels: "Mehr als die Hälfte unserer Geschäfte ist auf Anfrage der örtlichen Behörden geschlossen." Und die vermehrten Onlinebestellungen seien nur schwer auslieferbar. Ansonsten erstaunt die Firma aber mit ihrem "recht optimistischen" Blick auf die Situation in China: "Die meisten unserer Fabriken in China sind in Betrieb", schreibt eine Sprecherin des zweiten deutschen Sportartiklers. Voll ausgelastet seien insbesondere Fabriken mit lokalen Mitarbeitern. Gute Nachrichten gebe es auch beim Transport, "da die Häfen wieder geöffnet haben". Auch das Puma-Büro in Shanghai sei seit Montag wieder geöffnet.

Tatsächlich scheint die Zahl der Neuinfektionen in China langsam zurückzugehen. Was das Problem allerdings nur verlagert: Denn erstmals gibt es mehr neue Coronavirus-Fälle außerhalb als innerhalb der Volksrepublik.

Luxussegment stärker betroffen

Konkreter beziffert die Boston Consulting Group (BCG) in einer aktuellen Studie die erwarteten Einbußen im Luxussegment. Bis zu 40 Milliarden Euro könnte das Coronavirus die exklusiven Marken an Umsatz kosten, schätzt BCG. Die Unternehmensberatung hat dafür 28 Vorstands- und Finanzchefs von Edelherstellern nach ihrer Prognose befragt. Auch bei den Gewinnen durch den Verkauf von Luxusmode, Uhren und Schmuck rechnet BCG mit einem Einbruch von rund zehn Milliarden Euro.

Denn das Coronavirus belastet die Luxusgüterbranche besonders stark. Zu den Produktionsausfällen kommt die eingebrochene Nachfrage sowohl innerhalb Chinas als auch von chinesischen Touristen im Ausland. Marken wie Armani, Gucci oder Prada stehen bei vielen Chinesen hoch im Kurs - und sie haben Geld dafür. Der Anteil Chinas am globalen Markt für Luxusprodukte macht laut BCG bereits 110 Milliarden Euro und damit rund ein Drittel aus. Zum Vergleich: Beim Höhepunkt der Sars-Krise im Jahr 2003 lag der chinesische Anteil am weltweiten Luxusmarkt bei rund fünf Milliarden Euro.

Und seit sich das Virus in Italien ausbreitet, trifft es die Luxusgüterindustrie neben der europäischen Produktion auch bei den Modenschauen. Infolge des Corona-Ausbruchs hat Armani bereits seine norditalienischen Fabriken geschlossen. Die Gäste zur Mailänder Armani-Schau wurden wieder ausgeladen, stattdessen war diese im Internet zu verfolgen. Auch die Kering-Marke Gucci übertrug die Show im Internet - über die chinesische Social-Media-Plattform Weibo. Denn nicht nur Designer und Zuschauer, auch rund tausend chinesische Einkäufer blieben den europäischen Schauen fern.

Anmerkung der Redaktion: Die BCG hat Umsätze und mögliche Einbußen in Euro angegeben, nicht in Dollar, wie in einer früheren Version dieses Artikels zu lesen war.

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