

Konjunktur und Börse Risiken und Nebenwirkungen der Coronakrise


Zurück an die Arbeit: Mitarbeiter eines chinesischen Unternehmens
Foto: Yang Shiyao/ dpaDie medizinische Krise zieht einen wirtschaftlichen Abschwung nach sich. Offen ist lediglich, wie tief es geht und wie lange es dauert.
Wegen der Folgen der Corona-Epidemie korrigieren die Konjunkturforscher ihre Prognosen bislang noch ziemlich vorsichtig nach unten. Aber der Strom an immer schlechteren Wirtschaftsdaten reißt nicht ab. Eine ausgewachsene Rezession rückt näher.
Vorsorglich haben die G7-Staaten schon mal bekundet, sie seien handlungswillig. In der abgelaufenen Woche gaben die Finanzminister und Notenbankchefs der großen westlichen Volkswirtschaften zu Protokoll, sie stünden bereit, die Auswirkungen des Virus auf Börsen und Konjunktur zu lindern.
Die Notenbanken der USA, Kanadas und Australiens haben schon die Zinsen gesenkt; in Japan, wo die Zinsen bereits unter null liegen, hat die Notenbank zusätzliche Liquidität in den Finanzmarkt injiziert. Die Nervosität an den Börsen hat all das allenfalls kurzfristig gelindert.
Nun sind die Europäer an der Reihe: Am Donnerstag will die Europäische Zentralbank (EZB) entscheiden, was sie zu tun gedenkt. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat bereits angekündigt, die Eurobank "stehe bereit, angemessene und gezielte Maßnahmen zu ergreifen". Da die Zinsen bereits unter null liegen, wird es vermutlich zunächst um Liquiditätsspritzen für das Bankensystem gehen - mit dem Ziel, Unternehmen, denen durch den virusbedingten Geschäftseinbruch das Geld ausgeht, vor der unmittelbaren Pleite zu bewahren.
Wer hat noch Geld übrig? Deutschland!
Auch staatliche Ausgabenprogramme stehen zur Diskussion:
zusätzliche Gelder für die Gesundheitssysteme,
die Ausweitung des Kurzarbeitergelds,
Lohnfortzahlung für Betroffene von Quarantänemaßnahmen in Ländern, wo das nicht zum Standard gehört,
Steuerstundungen für angeschlagene Unternehmen und vieles mehr.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat 50 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt, Gelder, auf die Länder zurückgreifen können, die von den Auswirkungen des Virus finanziell überfordert sind.
Italien hat ein 4,5-Milliarden-Euro-Programm auf den Weg gebracht und Ende der Woche angekündigt, es auf 7,5 Milliarden aufzustocken. EU-Staaten mit relativ niedrigen Schuldenständen wie die Bundesrepublik und die Niederlande geraten unter Druck, voluminöse Konjunkturprogramme aufzulegen. Die Begeisterung, solchen Forderungen nachzukommen, hält sich in beiden Ländern in Grenzen.
Was ist jetzt zu tun? Unstrittig ist, dass es den Gesundheitssystemen nicht an Geld fehlen darf, um die unmittelbare medizinische Krise zu bewältigen. Aber welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen darüber hinaus angemessen sind, darüber gibt es bislang wenig Einigkeit. Es dürfte eine der großen Debatten des Jahres 2020 werden - während gleichzeitig die Epidemie ihren Lauf nimmt. Gibt es historische Vorbilder für diese Krise, an denen man sich orientieren kann?
Preisabfragezeitpunkt
16.01.2021 13.41 Uhr
Keine Gewähr
Viele Krisenmanager von damals sind noch im Amt
Der jüngste große wirtschaftliche Schock war die Finanzkrise von 2008 und die darauffolgende tiefe Rezession, die sich dann in Europa zur Eurokrise verschärfte. Die Erinnerungen daran sind noch relativ frisch. Viele Entscheidungsträger von damals, darunter Kanzlerin Angela Merkel und Bundesbankchef Jens Weidmann, sind nach wie vor aktiv. Taugen die damaligen Maßnahmen als Blaupause?
Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen damals und heute: Hohe Schulden machen das Finanzsystem anfällig. Kommt es zu einem Austrocknen der Märkte, kann eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale in Gang kommen: Wegbrechende Umsätze bringen Unternehmen an den Rand der Pleite, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, was wiederum Banken in Schieflage bringt, die daraufhin ihre Kreditvergabe herunterfahren und damit andere Firmen in Mitleidenschaft ziehen, was wiederum andere Banken in Schieflage bringt… Entlassungswellen und Firmenpleiten setzen einen Strudel in Bewegung, der immer weitere Teile der Wirtschaft nach unten zieht. Die Eurokrise hat gezeigt, dass auch Staaten in diesen Sog geraten können, wenn sie sich auf den Finanzmärkten kein Geld mehr leihen können.
Die Lage heute ist einerseits schwieriger als damals: Die Staatsschulden sind in vielen Ländern bedenklich hoch, die Notenbank-Zinsen extrem niedrig - beides Spätfolgen der vorigen Krise. Kooperation zwischen den Staaten ist schwieriger zu erreichen als 2008/09; Protektionismus und Nationalismus behindern die Zusammenarbeit.
Staatliche Ausgabenprogramme sorgen für Beruhigung
Andererseits haben Geld- und Finanzpolitiker einiges gelernt aus dem letzten Crash. Zum Beispiel, dass Liquiditätsmaßnahmen und Wertpapierkäufe der Notenbanken tatsächlich zur Stabilisierung der Finanzmärkte beitragen können. Diese Instrumente gab es beim Ausbruch der vergangenen Krise noch nicht. Jetzt stehen sie zum sofortigen Einsatz zur Verfügung.
Auch großvolumige staatliche Ausgabenprogramme können durchaus etwas bewirken, und zwar gar nicht mal unbedingt weil sie unmittelbar für zusätzliche Nachfrage sorgen, sondern weil sie für Beruhigung sorgen. Die Abwrackprämie für alte Autos etwa signalisierte jedem Bundesbürger nachvollziehbar: Der Staat stemmt sich gegen die Krise - was in Zeiten der Panik vermutlich wichtiger war als die daraus resultierende zusätzliche Nachfrage. Der üppig ausgestattete "Wirtschaftsfonds Deutschland", bei dem damals Unternehmen Überbrückungskredite bekommen konnten, wurde zwar kaum in Anspruch genommen, half aber psychologisch.
Innerhalb der Eurozone existiert seit der vorigen Krise der Rettungsfonds ESM. Er steht im Zweifel finanziell angeschlagenen Staaten bei, die Schwierigkeiten haben, sich auf dem Kapitalmarkt zu finanzieren.
Gegen die unmittelbaren ökonomischen Folgen der medizinischen Krise lässt sich also durchaus etwas tun. Die längerfristigen Auswirkungen hingegen lassen sich damit kaum beheben. Schließlich stehen wir - mutmaßlich - vor einer Wirtschaftskrise, die einen außerökonomischen Auslöser hat, eben eine Epidemie.
Darin ähnelt sie der vorletzten Krise: den Anschlägen vom 11. September 2001 und der folgenden Terrorgefahr, die auf der Wirtschaft lastete. Die Befürchtung damals: Sicherheitsbedenken würden die Wirtschaft dazu bewegen, internationale Lieferketten zu durchtrennen; der Globalisierung drohe ein frühes Ende. Die Folge wäre ein "Angebotsschock", wie Ökonomen das nennen: Die weltwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten werden in Mitleidenschaft gezogen.
So weit kam es damals nicht. Heute jedoch ist dieses Szenario greifbar nahe.
Medizinische Krise könnte Protektionisten in die Hände spielen
Auch die Coronakrise lässt sich als Angebotsschock begreifen. Infolge der Quarantänemaßnahmen stehen Fabriken und Büros leer, in China, Italien, Korea, Japan und bald vermutlich in einer Vielzahl anderer Länder. Die Folge sind Produktionsausfälle, also weniger Angebot. Es ist möglich, dass in einigen Monaten diese Produktionsrückstände nachgeholt werden und wir einen kräftigen Aufschwung bekommen. Es kann aber durchaus auch sein, dass die medizinische Krise den Protektionisten in die Hände spielt - und die weltweiten Produktionsmöglichkeiten zusammenschrumpfen.
Schon jetzt gibt es Forderungen, die Abhängigkeit von pharmazeutischen und medizintechnischen Importen zu begrenzen. Ein Übergreifen auf andere Branchen würde grenzüberschreitende Zulieferungen, die Essenz der industriellen Globalisierung, enorm erschweren. Importe von Vorprodukten würden dann mit Zöllen belegt, teilweise womöglich sogar untersagt; Exporte von sensiblen Gütern würden behindert. Das Ziel: die jeweilige heimische Produktion zu stärken. Das Virus wäre der Katalysator für eine verschärfte De-Globalisierung - ein Angebotsschock sondergleichen.
Globalisierung bedeutet: Zugriff haben auf ein schier unerschöpfliches weltweites Angebot. De-Globalisierung bedeutet: Der Zugriff auf dieses Angebot schrumpft. Und das kann unangenehme makroökonomische Folgewirkungen haben.
"So ein 70er-Gefühl"
Kenneth Rogoff, Harvard-Ökonom und ehemals IWF-Chefökonom, befällt angesichts der De-Globalisierungs-Perspektiven bereits "so ein 70er-Gefühl". Er zieht Parallelen zu den Ölkrisen. Der starke Anstieg der Petroleumpreise 1973 und 1979, damals getrieben durch Produktionskürzungen der Opec und dann durch die Iranische Revolution, führte zur Verknappung eines zentralen Inputs für die industrielle Produktion und den Verkehr im Westen. Ein Angebotsschock, der die Produktionsmöglichkeiten einschränkte - was die damaligen Wirtschaftspolitiker allerdings zunächst nicht erkannten.
So unterschiedlich der außerökonomische Impuls - Virus versus Öl -, so ähnlich könnten die makroökonomischen Auswirkungen sein, sagt Rogoff. Die Fragmentierung der Weltwirtschaft infolge der Coronakrise könne einen "angebotsseitigen Abschwung" auslösen, der "in einem scharfen Rückgang der Produktion, einer allgemeinen Verknappung und stark steigenden Preisen resultiert".
In den Siebzigerjahren begann nach den Ölschocks eine Ära der Inflation. Notenbanken und Finanzpolitiker im Westen bemühten sich, mit billigem Geld und allerlei Ausgabenprogrammen die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Doch statt Wohlstandszuwächsen produzierten sie Preissteigerungen: Eine künstlich aufgepeppte Nachfrage stieß auf ein eingeschränktes Angebot.
Dass Inflation seit Jahren kein Thema mehr ist, liegt insbesondere an der Globalisierung. Ein schier endloses Angebot hält die Güterpreise niedrig. Eine De-Globalisierung hätte den gegenteiligen Effekt.
Natürlich, Notenbanker und Finanzminister müssen jetzt handeln und sich einem Absturz in eine tiefe Rezession entgegenstemmen. Es geht um Menschenleben und das wirtschaftliche Wohlergehen vieler Nationen. Aber wenn die akute Krise irgendwann vorbei ist - und das kann schneller gehen als gedacht -, müssen sie sich bereithalten, die Nebenwirkungen ihrer Therapie zu bekämpfen.
Die wichtigsten Wirtschaftstermine der bevorstehenden Woche
Wiesbaden - Letzte Zahlen vor Corona – Das Statistische Bundesamt legt Zahlen zu den deutschen Exporten im Januar vor.
Frankfurt/M. - Feiern in schwierigen Zeiten – Die Deutsche Bank begeht ihr 150-jähriges Firmenjubiläum.
Peking – Warten auf den Virus-Effekt – Chinas Statistikamt gibt Daten zur Entwicklung der Verbraucherpreise im Februar bekannt.
Moskau – Putins Machtmonopoly – Das russische Parlament berät in zweiter und entscheidender Lesung über die von Präsident Putin angestrebte Verfassungsänderung.
Berichtssaison I – Geschäftszahlen von Deutsche Post, Uniper, Schaeffler, Symrise, Standard Life.
Berichtssaison II - Geschäftszahlen von Adidas, Lanxess, Knorr Bremse, Hannover Rück, Prudential.
Frankfurt - Die Eurobank und die Corona-Krise – Die EZB entscheidet unter Führung von Präsidentin Lagarde, was angesichts des Konjunktureinbruchs zu tun ist.
Berichtssaison III – Geschäftszahlen von RWE, SGL, Adobe.
Berichtssaison IV - Geschäftszahlen von RTL, Bilfinger, Generali, Fraport.