»Wenn es kracht, dann richtig« Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa weiter rückläufig

In Deutschland drohen laut Allianz Trade vermehrt Großpleiten
Foto: Martin Schutt / dpaEs klingt nur auf den ersten Blick nach einer guten Nachricht: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa ist auch im zweiten Coronajahr weiter zurückgegangen. Auf den zweiten Blick können auch die Zahlen der Auskunftei Creditreform nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten für viele Betriebe in den vergangenen beiden Jahren enorm waren. Als Hauptgrund dieser Lage gelten die staatlichen Unterstützungszahlungen während der Krise.
Entsprechend teilt der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch, zur Studie seines Unternehmens auch mit: »Je länger die staatlichen Subventionen für die Unternehmen anhalten, desto wahrscheinlicher wird das Entstehen von Zombieunternehmen, die nur noch unter diesen speziellen Bedingungen überleben können.« Ihm zufolge könnten Veränderungen wie eine Zinswende und ein Auslaufen der Hilfsmaßnahmen diese Unternehmen rasch in Existenznot bringen. Eine (Nachhol-)Insolvenzwelle werde dann wahrscheinlicher.
Mehr Unternehmen schreiben Verluste
Obwohl also 2021 insgesamt in den 14 westeuropäischen EU-Ländern sowie Norwegen, der Schweiz und Großbritannien mit 110.451 mehr als fünf Prozent weniger Firmenpleiten als im Vorjahr registriert wurden, ist die Sorge groß. In der Schweiz, in Griechenland, Großbritannien, Finnland, Italien und Dänemark sei etwa bereits ein Anstieg der Insolvenzzahlen zu verzeichnen, berichtete Hantzsch.
Die Bilanzkennzahlen der Unternehmen in Europa registrierten zudem gleichwohl die negativen Auswirkungen der Coronakrise, so die Creditreform-Experten. Eine Auswertung der Bilanzkennzahlen von mehr als drei Millionen Unternehmen aus dem ersten Krisenjahr 2020 habe ergeben, dass der Anteil der Unternehmen, die Verluste erwirtschafteten, von 21,9 auf 26,7 Prozent gestiegen sei. Insbesondere diese Unternehmen dürften nach Einschätzung der Experten das Insolvenzpotenzial der kommenden Jahre bilden.
Der Kreditversicherer Allianz Trade warnt angesichts dieser Entwicklung ebenfalls vor wieder anziehenden Pleitenzahlen in den kommenden Jahren. Dabei müsse hierzulande vor allem mit mehr Großpleiten gerechnet werden.
Dieser Trend sei eine Folge eines ganzen Bündels von Problemen wie dem Krieg in der Ukraine, den Lockdowns in China, unterbrochenen Lieferketten, Lieferengpässen, gestiegenen Arbeitskosten sowie Preisen, insbesondere bei Energie und Rohstoffen, hieß es zuletzt es in einer Studie der Allianz-Tochter. »Unternehmen sollten sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Wenn es kracht, dann richtig«, sagte der Deutschland-Chef von Allianz Trade, Milo Bogaerts.
Vier Prozent mehr Insolvenzen erwartet
Insolvenzen in Deutschland seien 2021 bereits zum zwölften Mal in Folge gesunken, »aber die Verschuldung der insolventen Unternehmen und die Schäden, die dadurch entstanden sind, sind auf ein Rekordniveau gestiegen«, so Bogaerts. »Das heißt: Es gab weniger Insolvenzen, dafür aber besonders große.«
So sei die Gesamtverschuldung aller insolventen Unternehmen gegenüber ihren Gläubigern 2021 bereits das dritte Jahr in Folge um 10,5 Prozent auf 48,1 Milliarden Euro gestiegen – ein neuer Höchststand seit dem Allzeithoch von 73 Milliarden Euro im Jahr 2009.
Allianz Trade rechnet im laufenden Jahr mit einem moderaten Anstieg der Firmeninsolvenzen um vier Prozent auf rund 14.600; im kommenden Jahr allerdings mit einer Zunahme von zehn Prozent auf dann 16.130.
Die weitgehende Abkopplung des Insolvenzgeschehens von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung geht außer auf die finanziellen Stützen auch auf Sonderregeln bei der Insolvenzantragspflicht zurück, die eine Pleitewelle verhindern sollten.