Cum-Ex-Skandal Hamburg bittet Warburg-Bank nun doch zur Kasse

Im Streit mit der Privatbank M.M.Warburg um Erträge aus schmutzigen Aktiendeals hat Hamburg lange gezögert. Nun erteilen die Finanzbehörden Steuerbescheide über mehr als 160 Millionen Euro. Die Bank wehrt sich.
Landespressekonferenz (LPk) mit Peter Tschentscher im Hamburger Rathaus

Landespressekonferenz (LPk) mit Peter Tschentscher im Hamburger Rathaus

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Ulrich Perrey/ dpa

Vor zwei Monaten überschattete eine Affäre den Hamburger Bürgerschaftswahlkampf, die Senatschef Peter Tschentscher (SPD) kurzzeitig in Bedrängnis brachte. Es ging um sogenannte Cum-Ex-Geschäfte, Aktiendeals, mit denen Banker und Börsianer über Jahre den Staat betrogen hatten. Die Finanzprofis ließen sich Kapitalertragsteuer für Dividenden, die nur einmal entrichtet worden war, mehrfach vom Finanzamt erstatten. Der Schaden für den deutschen Fiskus wird insgesamt auf mehr als zehn Milliarden Euro geschätzt.

Auch die Hamburger Bank M.M.Warburg steht seit Längerem im Verdacht, sich beteiligt zu haben. Mitten im Wahlkampf erhoben die "ZEIT" und andere Medien den Vorwurf, Hamburg habe das alteingesessene Institut womöglich aus politischen Gründen geschont – und deshalb auf eine Rückforderung unrechtmäßig erstatteter Steuern verzichtet.

Ein Geschenk über 47 Millionen Euro?

Das zuständige Finanzamt habe Ende 2016 mögliche Ansprüche für das Steuerjahr 2009 verjähren lassen, berichteten "ZEIT" und ARD im Februar, ein angebliches Geschenk in Höhe von 47 Millionen Euro - gewährt unter einem Finanzsenator, der inzwischen Erster Bürgermeister war und bleiben wollte: Peter Tschentscher. Hatten er oder der vorherige Erste Bürgermeister Olaf Scholz politisch Einfluss genommen auf Steuerbeamte, die eigentlich anders entscheiden wollten? Scholz musste einräumen, sich mit dem damaligen Warburg-Banker Christian Olearius getroffen zu haben, der bis heute einer der Haupteigentümer des Instituts ist.

Sogar Tschentschers Koalitionspartnerin, die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), sprach von "beunruhigenden Erkenntnissen" und fragte öffentlich, warum die Finanzbehörde "trotz eindeutiger Hinweise" von Gerichten und dem Bundesfinanzministerium "auf 47 Millionen Steuereinnahmen verzichtet" habe.

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher

Foto: Daniel Bockwoldt/ dpa

Tschentscher und Scholz wiesen die Vorwürfe vehement zurück. Wegen des Steuergeheimnisses, so Tschentscher, dürfe er nichts zum Fall sagen. Grundsätzlich aber gelte: "In Hamburg gibt es keine politische Einflussnahme auf die Entscheidungen der Steuerverwaltung". Und: "Wir sind hinter jedem Steuer-Euro her, den wir zurückerhalten können." Nun zeigt sich, dass der Satz wohl nicht nur Replik war, sondern zugleich Fingerzeig.

Denn nun hat das Finanzamt Warburg doch aufgefordert, erstattete Kapitalertragsteuer aus Cum-Ex-Geschäften für die Jahre 2007 bis 2009 zurückzuzahlen - darin enthalten also genau das Jahr, auf das sich die Vorwürfe im Wahlkampf bezogen hatten. Ein Sprecher der Bank bestätigte die Forderungen. Nach Informationen des SPIEGEL handelt es sich um eine Gesamtsumme von mehr als 160 Millionen Euro, in der auch Zinsen enthalten sind.

Bank plant rechtliche Schritte

Der Banksprecher wollte sich zur Höhe der Summe nicht äußern. Er kündigte jedoch an, man werde gegen die Steuerbescheide rechtlich vorgehen. "Die Warburg Gruppe und die Warburg-Bank hatten zu keinem Zeitpunkt die Absicht, steuerrechtswidrige Aktiengeschäfte zu betreiben, zu fördern oder sich an darauf ausgerichteten Absprachen zu beteiligen." Auch habe man "nie die Absicht" gehabt, bei Finanzämtern unzutreffende Erklärungen abzugeben.

Die Hamburger Finanzbehörde wollte auf Anfrage des SPIEGEL die neuen Steuerbescheide nicht bestätigen und verwies auf das Steuergeheimnis. Warum ergingen die Bescheide erst jetzt? Grundsätzlich behalte man "Entwicklungen der Rechtsprechung oder Gesetzgebung" im Auge, "die es ermöglichen können, vermeintlich verjährte Ansprüche doch noch realisieren zu können", sagte ein Sprecher der Behörde. Er verwies vor allem auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom September 2018, der darin neue Aussagen zu Verjährungsfristen getroffen hatte.

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Cum und Ex: Vereinfachtes Modell eines Dividendendeals

Foto: DER SPIEGEL

Der Sinneswandel der Behörden könnte aber auch mit dem Urteil im Bonner Cum-Ex-Prozess zu tun haben, bei dem im März zwei britische Investmentbanker wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurden. Gegen die Warburg-Bank ordnete das Gericht die Einziehung von 176 Millionen Euro an "Taterträgen" an

Die Hamburger Finanzbehörde erklärte, ein Steuerbescheid könne "nur auf Basis eines belastbar ermittelten Sachverhaltes" erlassen werden. Nach Recherchen des SPIEGEL hatten sich die Steuerverwaltung der Finanzbehörde und das zuständige Finanzamt bei einem Treffen im November 2016 "nach eingehender Diskussion" verständigt, "dass die Änderungsbescheide zum jetzigen Zeitpunkt unterbleiben sollten, da der Sachverhalt noch nicht ausreichend aufgeklärt ist".

Die Stadt zögert lange

Welche möglicherweise abweichende Auffassung das Finanzamt zuvor hatte, ist nicht festgehalten. Der Sprecher der Finanzbehörde bestätigte das Treffen, wollte aber wegen des Steuergeheimnisses "keine weitergehenden Angaben" machen. Er verwies auch auf die "Risiken für den Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg", die abgewogen werden müssten, sollte die Steuerverwaltung vor Gericht unterliegen.

So zögerte die Stadt lange, bis sich Ende 2017 der Bund einschaltete. Er wies damals Hamburg an, Rückforderungen an Warburg für 2010 und 2011 nicht verjähren zu lassen. Erst daraufhin erließ das Finanzamt erste Bescheide.

Nun sind also die Jahre 2007 bis 2009 an der Reihe.

Die Warburg-Bank erklärt, sie habe bei den Aktiengeschäften damals mit dem ausländischen Verkäufer Icap gehandelt. Die Kapitalertragsteuer sei wie üblich mit dem Aktienkaufpreis gezahlt worden, und zwar an die Deutsche Bank, die als Depotbank Dienstleister von Icap war. Die Deutsche Bank sei verpflichtet gewesen, die Kapitalertragsteuer an den Fiskus weiterzuleiten. Das Frankfurter Geldhaus weist die Vorwürfe zurück.

Ein Warburg-Sprecher sagte, die jüngsten Steuerbescheide würden vom Finanzamt damit begründet, "dass die Deutsche Bank AG die Kapitalertragsteuer nicht einbehalten und abgeführt hat". Deshalb solle die Warburg Gruppe "die Kapitalertragsteuer vollen Umfangs nochmals zahlen". Die Bank sieht sich demnach selbst als Opfer übler Machenschaften.

Jahrelange Konflikte

Nach Warburgs Lesart war das Geschäft korrekt: Man hatte Kapitalertragsteuer auf Dividenden gezahlt. Und durfte sie sich beim Finanzamt zurückholen. Anders als Ausländer waren inländische Banken und Fonds von der Kapitalertragsteuer befreit. Ein System, ähnlich wie bei der Lohnsteuer: Der Arbeitgeber zieht sie vom Brutto ab. Der Arbeitnehmer muss eine Erstattung anfordern, zum Beispiel wenn er hohe Werbungskosten hat.

Im ersten Cum-Ex-Prozess vor dem Landgericht Bonn scheiterte Warburg mit seiner Position. Der Richter erklärte, er sehe auch keine Verjährung. Gegen die Verfügung des Gerichts, 176 Millionen Euro an den Fiskus zurückzuzahlen, geht Warburg in Revision.

Die Konflikte dürfte noch Jahre dauern. Aufgrund der Steuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 hat Warburg nach SPIEGEL-Informationen bereits vor wenigen Wochen etwa 50 Millionen Euro an den Fiskus zurückgezahlt. Allerdings nur unter Vorbehalt. Denn die Bank hatte bereits vor einiger Zeit gegen diese Bescheide Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

Ende vorigen Jahres hatte Warburg angeregt, sich zu einigen. Man sei bereit, die Gewinne aus den Geschäften an den Staat zu zahlen: insgesamt etwa 68 Millionen Euro. Auf einen solchen Schlussstrich wollten sich die Hamburger Behörden indes nicht einlassen.

Die Gefahr, dass die Bank in Schieflage geraten könnte, besteht offenbar nicht. Der Warburg-Sprecher sagte, man habe 62,7 Millionen Euro an Rückstellungen für "operationelle Risiken" gebildet. Außerdem würden die Hauptgesellschafter im Ernstfall für 140 Millionen Euro gerade stehen. Damit seien mögliche Rückzahlungen für die besagten Aktiengeschäfte "vollständig abgedeckt".

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, Warburg behaupte, die Kapitalertragsteuer sei wie üblich von der Deutschen Bank einbehalten worden. Richtig ist, dass Warburg behauptet, es habe die Kapitalertragsteuer wie üblich mit dem Aktienkaufpreis an die Deutsche Bank gezahlt. Wir haben die Passage korrigiert.

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