Dieselaffäre Deutschlands Autoindustrie vor Gericht

VW-Auslieferungstürme in Wolfsburg
Foto: imago/ regios24Ausgerechnet Stuttgart, die Metropole der Autokonzerne, wird Bühne eines Showdowns um dreckige Diesel. Seit diesem Mittwoch verhandelt das Stuttgarter Verwaltungsgericht eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen die grün-schwarze Landesregierung wegen hoher Schadstoffwerte.
Die Umweltschützer kämpfen gegen das gesundheitsgefährdende Stickstoffdioxid, dessen Werte in Stuttgart rund doppelt so hoch sind wie erlaubt. Der Luftreinhalteplan der Politik reiche nicht aus, um die Luft sauber zu bekommen, kritisiert die DUH. Sie fordert Dieselfahrverbote - und zwar mittlerweile in 16 Städten.
Es träfe Hersteller und Zulieferer ins Mark. Rund 40 Prozent ihrer in Deutschland verkauften Autos haben Dieselmotoren. Die Stuttgarter Landesregierung sorgt sich um die Zukunft ihrer Autokonzerne. Daimler, Porsche und Zulieferer Bosch haben ihren Sitz dort. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will vorerst auf Daimlers Zusage vertrauen, Dieselautos nachzurüsten.
Doch die Klage in Stuttgart ist nur eine von vielen, mit denen Deutschlands Autokonzerne derzeit zu kämpfen haben. Seit dem Bekanntwerden des VW-Abgasbetrugs 2015 häufen sich die Ermittlungen.
Was ist bei Daimler, VW und Audi los? Was wird ihnen vorgeworfen? Der Überblick.
Haftbefehle und Anlegerklagen: Volkswagen
Als Volkswagen im September 2015 in den USA gestand, Abgaswerte von weltweit elf Millionen Dieselautos manipuliert zu haben, nahm der Dieselskandal seinen Lauf. Noch bleibt VW der einzige Hersteller, der sich eines Betrugs schuldig bekannt hat - allerdings taten die Wolfsburger dies nur in den USA. Hierzulande beharrt VW darauf, dass die Abschalteinrichtungen zulässig waren, mit denen der Konzern den Stickoxidausstoß von Dieselwagen im Prüflabor senkte, auf der Straße aber nicht.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt wegen der Manipulation von Dieselabgasen gegen fast 40 VW-Beschuldigte, darunter auch Ex-Konzernchef Martin Winterkorn. Gegen ihn sowie VW-Markenchef Herbert Diess und den früheren Finanzvorstand und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch wird auch wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt.

VW-Zentrale in Wolfsburg
Foto:Julian Stratenschulte/ dpa
Autobesitzer klagen zudem gegen VW auf Schadensersatz und Anleger wegen verspäteter Information über den Dieselskandal, der den Aktienkurs abstürzen ließ.
In den USA hat sich Volkswagen mit insgesamt rund 23 Milliarden Dollar Schadensersatz freigekauft. Dennoch ermittelt die US-Justiz weiter und hat fünf ehemalige VW-Manager zur Fahndung ausgeschrieben. Zwei Manager sitzen in Haft. In Europa will VW niemanden entschädigen und lediglich rund 2,5 Millionen betroffene Dieselmodelle umrüsten, wie es das Kraftfahrt-Bundesamt von VW verlangt hat.
Verhafteter Ex-Manager und Softwaretricks: Audi
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) warf Audi im Juni eine illegale Abschalteinrichtung vor. Autos würden durch den Lenkwinkel-Einschlag erkennen, ob sie auf dem Prüfstand sind und dafür die Abgaswerte verbessern - auf der Straße jedoch nicht. Audi wies das als "technischen Fehler" zurück, startete aber den Rückruf von 24.000 betroffenen Oberklassewagen.

Suche nach Beweisen: Ermittler bei der Razzia in der Audi-Zentrale
Foto: Armin Weigel/ picture alliance / Armin Weigel/dpaMit einem ehemaligen Audi-Manager hat die Münchener Staatsanwaltschaft kürzlich erstmals eine Führungskraft in der Dieselaffäre verhaftet. Er soll Mitarbeiter der Audi-Motorenentwicklung angewiesen haben, Betrugssoftware anzuwenden. Die Software, mit der VW-Ingenieure die Dieselschadstoffwerte manipulierten, soll ihren Ursprung bei Audi haben. Im März hatten Ermittler die Audi-Zentrale durchsucht.
Möglicher Betrug und Marktmanipulation: Porsche
Auch die VW-Tochter Porsche ist in den Dieselskandal gezogen worden. Jüngst nahm die Stuttgarter Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Porsche-Manager wegen einer möglichen Manipulation der Abgasnachbehandlung an Dieselfahrzeugen auf. Ein Betrugsverdacht steht im Raum, den Porsche zurückweist. Bei SPIEGEL-Recherchen fiel der Porsche Cayenne auf, der offenbar mit einem Schaltprogramm die Emissionen für die Labortests senkt.
Zugleich gehen die Ermittler dem Verdacht der Marktmanipulation gegen Verantwortliche des VW-Hauptaktionärs Porsche Automobil Holding SE nach: gegen den heutigen VW-Chef Matthias Müller, seinen Vorgänger Winterkorn sowie den VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. Es geht um die Frage, ob Anleger früh genug über Erkenntnisse zu Diesel-Manipulationen informiert wurden.
Großrazzia und Rückruf: Daimler
Rund 220 Millionen Euro lässt es sich der Daimler-Konzern kosten, mehr als drei Millionen Dieselautos von Mercedes-Benz zurückzurufen. Ein Softwareupdate soll die überhöhten Stickoxidwerte senken. Ob das reicht, bezweifeln Experten. So der so: Die Aktion klingt freiwillig - ist sie aber nicht ganz.
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat Daimler im Visier. Die Fahnder verdächtigen den Konzern, dass mehr als eine Million Mercedes-Diesel eine illegale Abschalteinrichtung haben. Sie ermitteln gegen zwei Konzernmitarbeiter und Unbekannte. Eine Großrazzia schreckte den Konzern im Frühjahr auf. In den USA ermitteln zudem das Justizministerium und Umweltbehörden gegen Daimler.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat Wagen des Herstellers getestet und ist offenbar auf Hinweise für mögliche Manipulationen gestoßen. Daimler weist dies zurück. Dem Konzern droht jedoch aufgrund der überhöhten Schadstoffwerte mindestens eine Rückrufaktion - der er jetzt zuvorgekommen wäre.
Schon 2016 hatte Verkehrsminister Dobrindt die Nachrüstung von knapp 250.000 Mercedes-Diesel verlangt. Bei den Fahrzeugen arbeitete die Abgasreinigung - mit dem Argument des Motorschutzes - erst ab bestimmten Außentemperaturen, häufig nur oberhalb von zehn Grad. Das KBA hatte bei den Autos so hohe Stickoxidwerte gemessen, dass sie aus Behördensicht nicht zu erklären waren. Eine Manipulation sah das KBA aber nicht.

Zu lasch? Verkehrsminister Alexander Dobrindt (l.) mit Daimler-Chef Dieter Zetsche
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesKritiker monierten - wie bei anderen Autokonzernen auch -, das Bundesverkehrsministerium greife nicht hart genug durch und schone die Autokonzerne. Denn laut EU-Regeln müssen die geforderten Schadstoffwerte bei normalem Fahrbetrieb eingehalten werden. Dieser sei auch unterhalb von zehn Grad in Deutschland gegeben.
Nachbesserung und eingestelltes Verfahren: Opel
Der Autohersteller Opel hat sich aus dem Diesel-Schlamassel vorerst befreien können. 2016 war aufgeflogen, dass er bei der Dieselvariante des Modells Zafira getrickst hatte. Die Autos waren so konfiguriert, dass sie weniger Abgase ausstießen, wenn sie langsamer als 140 Stundenkilometer fuhren, unterhalb von 840 Metern Höhe blieben, sowie kaum beschleunigten - alles typisch auf den Testständen bei den Zulassungsprüfungen. Nach Kritik vom Verkehrsministerium änderte Opel die Motorsteuerung und war das Problem los.
Ähnlich beim Insignia: Das KBA hatte bei Abgastests der Dieselvariante des Modells verdächtige Werte festgestellt. Mit einem Rückruf änderte Opel die Konfiguration des Modells.
Im April hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren gegen Opel eingestellt, da sie keinen Verdacht auf strafbare Manipulation der Abgastechnik von Dieselautos gesehen hatte.
Eventuelle Beihilfe zum Betrug: Bosch
Mit VW geriet auch der Stuttgarter Zulieferer Bosch in die Dieselaffäre - er hatte die von den Wolfsburgern verwendete Software für die Abschalteinrichtungen entwickelt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen drei Führungskräfte wegen Beihilfe zum Betrug - und dies auch mit Bezug auf mögliche Manipulationen bei Daimler.
Im Zuge der Ermittlungen der US-Justiz war ein E-Mail-Verkehr zwischen Managern von VW und Bosch aufgetaucht, der eine engere Zusammenarbeit auch bei der Manipulation nahelegen könnte. In den USA zog sich Bosch durch einen Vergleich aus dem Gefecht und zahlte 327,5 Millionen Dollar an US-Autobesitzer.