
Dürre in USA und Indien: Angst vor neuer Nahrungskrise
Steigende Getreidepreise Jahrhundert-Dürre gefährdet die Welternährung
Hamburg - Dieses Mal soll alles besser werden. Als Lehre aus den Hungerkrisen der Jahre 2008 und 2010 haben die G20 ein Gremium geschaffen, um schneller auf steigende Lebensmittelpreise reagieren zu können. Der Name klingt durchaus eindrucksvoll: Rapid Response Forum - auf Deutsch etwa schnelles Krisenforum. Frankreichs Agrarminister Stéphane Le Foll sagte am Montag, die Gruppe könne sich bald erstmals treffen - wenn sich die Lage bei den Getreidepreisen weiter verschärfe.
Hintergrund ist die Dürre in den USA. Mais- und Sojaernte werden in diesem Jahr um bis zu 17 Prozent schwächer ausfallen, teilte das US-Landwirtschaftsministerium mit. Für beide Produkte sind die USA das wichtigste Exportland. Die Folge: Die Preise schnellen in die Höhe, seit Juni ist Soja etwa 30 Prozent teurer geworden, Mais legte sogar um 50 Prozent zu.
Auch in Indien sorgt die Dürre für erhebliche Ernteausfälle. In der Monsunzeit gab es 20 Prozent weniger Regen als normalerweise. Zwar versorgt das Land mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern sich zum Großteil selbst. Doch wenn wegen der Dürre künftig auch Indien auf Nahrungsmittelimporte angewiesen wäre, dürften die Preise noch mal deutlich anziehen.
Bereits jetzt ist es der dritte Preisschock in nur fünf Jahren. Am schlimmsten war es im Jahr 2008. Damals verdreifachte sich der Reispreis, die ärmsten Länder der Welt konnten ihre Bevölkerung nicht mehr ernähren. Es kam zu Hungerrevolten. In Indonesien musste die Armee Reislager bewachen, in Haiti wurden Menschen bei Aufständen getötet.
Auf Druck Frankreichs richteten die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) 2011 ihren neuen Krisenmechanismus ein. Er sieht erstens eine gemeinsame Datengrundlage vor: das Agrarmarkt-Informationssystem (AMIS). Zweitens gibt es das schnelle Krisenforum. Dieses Gremium kann Empfehlungen an die nationalen Regierungen aussprechen - also zum Beispiel Exporthindernisse abzubauen. 2010 trieb etwa ein russisches Exportverbot für Weizen die Preise massiv in die Höhe. In den kommenden Wochen wird das G-20-Gremium vermutlich seine Feuertaufe erleben.
Doch schnell ist am Rapid Response Forum bislang vor allem der Name. Schon jetzt ist klar: In der aktuellen Dürre kommt die Reaktion der G20 reichlich spät. Eine Krise auf den Lebensmittelmärkten steht kurz bevor.
"Die G20 müssen jetzt reagieren"
Das Krisengremium wird aber wohl frühestens im September die Arbeit aufnehmen. Zunächst soll es nun Ende August eine Telefonkonferenz geben. Teilnehmer: Frankreich, USA und Mexiko, das derzeit die G-20-Präsidentschaft innehat. Die Erfahrungen der vergangenen Nahrungskrisen haben jedoch gezeigt, dass es etwa drei Monate dauert, bis die steigenden Lebensmittelpreise in den Entwicklungsländern ankommen. Da die Entwicklung Mitte Juni begann, befürchten Experten, dass sich die Lage bereits im kommenden Monat massiv verschärft.
"Die G20 müssen jetzt reagieren", fordert Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam. "Im September könnte es bereits zu spät sein." Laut Weltbank hat die Nahrungskrise 2008 rund hundert Millionen Menschen in den Hunger getrieben, 2010 waren es 44 Millionen. Ähnliche Dimensionen erwartet Wiggerthale auch dieses Mal - wenn die Regierungen nicht schnell etwas unternehmen.
Vor allem in Ostafrika könnte sich die bereits jetzt dramatische Ernährungslage weiter verschärfen. Speziell Mais bildet in Ländern wie Kenia, Somalia und Uganda ein Grundnahrungsmittel für Millionen Afrikaner.
Spekulation mit Agrarrohstoffen
Oxfam plädiert deshalb wie die Welternährungsorganisation der Uno (FAO) für eine Drosselung der Biospritproduktion in den USA. 40 Prozent der amerikanischen Maisernte werden für die Herstellung von Treibstoff verwendet. Doch die Lobby der Maisbauern versucht, dies mit aller Macht zu verhindern. Für die Landwirte ist die gewaltige Abnahme der Raffinerien ein Preisgarant. Fällt diese schwächer aus, müssen sie mit sinkenden Einnahmen rechnen.
Neben der Frage Biosprit dürfte auch das Thema Spekulation mit Agrarrohstoffen auf die Agenda der G20 rücken. Zwar gibt es derzeit noch keine zuverlässigen Zahlen, wie groß der Anteil der Zocker an den aktuellen Preissteigerungen ist. Klar ist aber: Die Wetten auf steigende oder fallende Preise verschärfen das Auf und Ab an den Rohstoffbörsen. Geldinstitute wie die Deutsche Bank sind deshalb in den vergangenen Monaten massiv in die Kritik geraten.
Oxfam-Expertin Wiggerthale hofft, dass der dritte Preisschock innerhalb von fünf Jahren Konsequenzen für die Rohstoff-Wetten hat. Doch besonders optimistisch ist sie nicht. Denn am Ende bleiben die Entscheidungen doch den nationalen Regierungen überlassen: Das G-20-Krisenforum darf nur Empfehlungen aussprechen und diese sind für die Mitglieder nicht bindend.