Juul-Gründer im Interview Was tun Sie, damit Kinder nicht von Ihrer E-Zigarette abhängig werden?

Trendprodukte: Smartphone und die E-Zigarette Juul
Foto: Brendan McDermid/ REUTERS
Adam Bowen (43, links) hat Juul zusammen mit James Monsees (38) gegründet. Beide sind Absolventen der Universität Stanford.
Die umstrittenste E-Zigarette der USA hat Adam Bowen (43) und James Monsees (38) in nicht einmal vier Jahren zu Multimilliardären gemacht. 2015 brachten die ehemaligen Stanford-Studenten ihren selbst entwickelten Nikotinverdampfer Juul in die Läden. Seither hat das kalifornische Startup 75 Prozent Marktanteil am US-E-Zigaretten-Geschäft erobert und Millionen Kunden gewonnen. Unter ihnen sind auch viele Jugendliche und Kinder, die Juul nikotinabhängig gemacht hat.
Gerade hat der US-Tabakriese Altria 35 Prozent der Anteile gekauft: für knapp 13 Milliarden Dollar plus Bonus. Das entspricht einer Bewertung von 38 Milliarden Dollar, gut dreimal so viel, wie etwa die Lufthansa der Börse wert ist. Seit Ende Dezember ist die Juul auch auf dem deutschen Markt, wegen der strengeren EU-Gesetze mit niedrigerem Nikotingehalt als in Amerika.
Im Interview erklären Bowen und Monsees, wie sie Jugendliche vor der Juul-Sucht schützen wollen. Wir treffen die beiden in einem Hamburger Hotel. Mit dabei ist auch der Deutschland-Chef von Juul, der sich später ins Gespräch einschalten wird.
SPIEGEL ONLINE: Mr. Bowen, Mr. Monsees, jahrelang haben Sie an Juul getüftelt. Warum ist Ihr Produkt so ein Misserfolg geworden?
Monsees: Wow! (Denkt nach...) Wie kommen Sie auf diese Frage?
SPIEGEL ONLINE: Ihr Unternehmen hat immer erklärt, Juul sei ein Produkt für Erwachsene, das Rauchern beim Aufhören helfen soll. Aber in den USA sind jetzt Millionen Kinder und Jugendliche, die nie geraucht haben, nikotinsüchtig: wegen Juul. Was ist falsch gelaufen?
Bowen: Ich meine, dass unser Produkt ein großer Erfolg ist. Seit unserem Start vor dreieinhalb Jahren haben wir Millionen Raucher dazu gebracht, auf Juul umzusteigen. Die US-Zigarettenverkäufe fallen um 8 Prozent pro Jahr, und das kann man klar mit den Verkaufszahlen von Juul verlinken. Allerdings: Da wir so schnell gewachsen sind, gehören zu unseren Userkreis auch einige Minderjährige. Das ist für uns völlig inakzeptabel. Wir haben eine Reihe von Gegenmaßnahmen gestartet, und wir werden noch mehr tun, um die Zahl der minderjährigen Nutzer so weit wie möglich in Richtung Null zu verringern.
SPIEGEL ONLINE: Warum dampfen so viele Kinder und Jugendliche Juul? Weil es so stylisch aussieht, weil es extrem nikotinhaltig ist, wegen Ihrer hippen Social-Media-Aktivitäten? Wieso ist das Wort "Juuling" in den USA landesweit in die High-School-Sprache eingezogen?
Monsees: Es war nie unsere Absicht, dass Jugendliche unser Produkt nutzen. Aber die Absicht alleine reicht nicht. Die Zahlen sagen, dass die Nutzung von E-Zigaretten in den USA durch Jugendliche ein Problem ist. Fakt ist allerdings auch: Die große Mehrheit unserer Nutzer sind erwachsene Raucher.
SPIEGEL ONLINE: Und wie groß ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen?
Monsees: Dazu haben wir keine genauen Daten. Wir untersuchen nicht den Konsum von Minderjährigen. Wir fokussieren uns auf die erwachsenen Verbraucher. Denn wir haben eine Mission: Wir wollen das Rauchen vom Angesicht der Erde tilgen. Zigarettenrauchen ist die wichtigste vermeidbare Ursache für schwere Krankheiten und Todesfälle.
SPIEGEL ONLINE: Aber Ihre E-Zigarette ist alles andere als gesund. Eine Kartusche enthält so viel Nikotin wie eine Schachtel Marlboro.
Bowen: Eine Tabakzigarette wird bei bis zu 1000 Grad Celsius verbrannt. Dabei inhalieren Sie Tausende Chemikalien; mindestens 100 dieser Stoffe sind krebserregend oder hochgiftig. Bei Juul wird eine nikotinhaltige Flüssigkeit mit weniger als 250 Grad verdampft. Nichts verbrennt, und die Chemie des Liquids ist einfach. Laut der britischen Gesundheitsbehörde sind E-Zigaretten 95 Prozent weniger schädlich als Tabakzigaretten. Die US-Gesundheitsbehörde FDA rät Rauchern, umzusteigen, sofern sie nicht ganz mit dem Nikotinkonsum aufhören können.
Monsees: Fast die Hälfte aller Raucher stirbt am Rauchen. In Deutschland tötet der Tabak pro Jahr 120.000 Menschen, also einen alle fünf Minuten. Das ist ein enormes Problem. Und 64 Prozent aller Raucher, die es mit Juul probieren, haben den Abschied von der Zigarette geschafft.
SPIEGEL ONLINE: Aber wie wollen Sie das Problem der Hunderttausenden Kinder und Jugendlichen lösen, die jetzt dank Juul nikotinsüchtig sind?
Monsees: Ein weiteres strukturelles Problem der Tabakbranche ist seit jeher, dass Minderjährige Zigaretten konsumieren. Das liegt auch am Vertrieb. Viele US-Einzelhandelsgeschäfte haben nicht ausreichend Sorge getragen zu verhindern, dass Jugendliche nikotinhaltige Produkte in die Hände kriegen. Wir bei Juul haben keine Kontrolle über den Handel. Aber wir versuchen, die Strukturen zu ändern. Wir setzen neue Standards, um das Produkt nicht in die Hände von Minderjährigen gelangen zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt konkret?
Monsees: Wir verkaufen Liquids mit Geschmacksrichtungen wie Mango oder Creme seit einiger Zeit nicht an den Einzelhandel. Auf unserer Website haben wir ein System zur Altersüberprüfung eingerichtet, das es in der Tabakindustrie noch nie gegeben hat. Um unsere Produkte zu kaufen, müssen Sie Ihren Namen, die E-Mail-Adresse und die letzten vier Ziffern Ihrer Sozialversicherungsnummer eingeben. Die Angaben gleichen wir mit Datenbanken ab. Wir versenden nur an diejenigen Käufer, die erwiesenermaßen mindestens 21 Jahre alt sind. Und wir arbeiten an Technologien, die es unmöglich machen sollen, dass Minderjährige unser Produkt konsumieren. Näheres werden wir in einigen Monaten mitteilen.
SPIEGEL ONLINE: Warum haben Sie nicht früher gehandelt? Die Gesundheitsbehörde FDA sprach schon im Frühjahr 2018 von einer "E-Zigaretten-Epidemie" auf den Schulhöfen, später führte sie bei Juul eine Razzia durch. Aber die Belieferung des Handels mit "bunten" Geschmacksrichtungen, die besonders bei Kindern und Jugendlichen beliebt sind, haben Sie erst Mitte November gestoppt. Auch die schärferen Alterskontrollen haben Sie erst da eingerichtet - als die ganze Branche wusste, dass die FDA wenige Tage später ähnliche Zwangsmaßnahmen verkünden würde.
Monsees: Es dauerte seine Zeit, die Altersüberprüfung zu ändern und den Handel dazu zu bringen, mit uns zusammenzuarbeiten. Und unsere Daten zeigen, dass Liquids mit speziellen Geschmacksrichtungen Raucher eher zum Umstieg auf Juul bringen als Liquids mit Tabak- oder Mentholaroma.
SPIEGEL ONLINE: Seit Mitte Dezember bieten Sie Juul auch in Deutschland an. Was tun Sie, um eine E-Zigaretten-Epidemie unter den Jugendlichen hierzulande zu verhindern?
Diese Frage, die nun ausschließlich den deutschen Markt betrifft, gibt Monsees mit einer Handbewegung an Juul-Deutschland-Chef Markus Kramer weiter. Er hat das gesamte bisherige Interview mitverfolgt.
Kramer: Wir werden in Deutschland für alle Onlinekäufe eine doppelte Altersverifizierung vornehmen. Bei der Bestellung und bei der Entgegennahme der Ware muss der Kunde beweisen, dass er über 18 ist. Im Einzelhandel werden wir Testkäufe starten. Beim zweiten Verstoß gegen den Jugendschutz wird der Händler mindestens ein Jahr lang nicht mehr beliefert. Wir werden Juul nicht im Umfeld von Schulen oder Kindergärten bewerben. Und es wird gar keine Social-Media-Aktivitäten geben.

Markus Kramer leitet die deutsche Niederlassung von Juul in Hamburg.
SPIEGEL ONLINE: Herr Kramer, können Sie den deutschen Eltern versprechen, dass an unseren Schulen nicht demnächst Hunderttausende Kinder und Jugendliche juulen?
Monsees: Eine gute Frage (überlegt ...). Wie gesagt haben wir schon eine Reihe von Gegenmaßnahmen gestartet. Und wir werden dort nicht aufhören. Wenn jemand Vorschläge oder Bedenken hat, bitten wir Sie, unsere Telefon-Hotlines anzurufen oder uns zu mailen.
Kramer: Wir werden den Jugendschutz sehr, sehr ernst nehmen. Ich verpflichte mich, alles zu tun, was in meiner Macht steht, damit wir in Deutschland kein Problem auf diesem Gebiet kriegen.
SPIEGEL ONLINE: Sie auch, Mister Monsees, Mister Bowen?
Bowen: Jugendschutz ist unsere Verpflichtung in Deutschland. Wir werden die Einhaltung überwachen und, wenn es nötig ist, unser Geschäft anpassen.
SPIEGEL ONLINE: Anders als viele Konkurrenten hat Juul von Anfang an auf Nikotinsalze gesetzt, die nach Angaben einiger Hersteller den Konsumenten einen noch schnelleren Kick liefern und weniger Abwehrreaktionen des Körpers hervorrufen sollen. Was steckt dahinter?
Bowen: Wir haben eine völlig neue chemische Zusammensetzung entwickelt. Juul dampfen fühlt sich für Raucher ähnlich an, wie eine Zigarette zu rauchen: im Kopf, im Körper, im Hals. Das gab es vorher bei keiner E-Zigarette. Das Nikotin-Lieferprofil von Juul ist sehr ähnlich wie bei einer Tabakzigarette...
SPIEGEL ONLINE: ... mit einem Kick gleich beim ersten Zug. Die weltgrößten Tabakmultis haben das auch versucht - und Milliarden in die Entwicklung von E-Zigaretten gesteckt. Aber dann kommt ein Startup und räumt drei Viertel des US-Marktes ab. Wie haben Sie das gemacht?
Monsees: Ein Schlüsselelement ist unsere Philosophie. Anders als die Tabakkonzerne haben wir nie Tabakzigaretten verkauft. Im Gegenteil: Wir wollen diese Zigaretten eliminieren. Diese Mission macht uns einzigartig.
SPIEGEL ONLINE: Aber wieso verkauft sich deswegen Ihre E-Zigarette so gut?
Monsees: Unsere Mitarbeiter machen den Unterschied. Als Silicon-Valley-Startup haben wir ganz anderes Personal als jeder Tabakkonzern. Für uns arbeiten viele hochtalentierte, kreative Menschen, die gutes Geld bei Google, Facebook oder Apple verdienen könnten - oder sogar von dort zu uns gewechselt sind. Niemand von denen wäre zu Juul gekommen, wenn sie nicht von unserer Mission überzeugt wären. Wenn es uns gelingt, die Tabakzigarette überflüssig zu machen, wird das die öffentliche Gesundheit so verbessern wie nichts zuvor in der Geschichte.
SPIEGEL ONLINE: Hehre Worte. Doch wollen Sie wirklich die Welt retten - oder geht es Ihnen bloß ums große Geld? Gerade haben Sie 35 Prozent Ihres Unternehmens für 13 Milliarden Dollar verkauft: ausgerechnet an den Tabakmulti Altria, Hersteller von "Marlboro".
Bowen: Wir verstehen die Kontroverse, die diese Partnerschaft hervorruft. Auch wir waren skeptisch. Aber im Verlauf der letzten Monate wurden wir überzeugt, dass diese Partnerschaft uns helfen könnte, den Umstieg von erwachsenen Rauchern zu beschleunigen. Altria hat zugestimmt, uns dabei zu unterstützen, Juul noch besser in die Hände von erwachsenen Rauchern zu bekommen - etwa durch Zugang zu zusätzlichem Regalplatz im Handel oder direkte Kommunikation über Beileger in Zigarettenpackungen und Mailings. Diese Kooperation wird uns helfen, unser Ziel einer tabakfreien Welt noch schneller voranzutreiben.
SPIEGEL ONLINE: Wir sind gespannt. Sie beide waren selbst einmal Raucher. Und heute?
Bowen: Ich habe 2013 aufgehört, mit Juul. Manchmal zwinge ich mich dazu, eine Tabakzigarette zu rauchen: um zu testen, wie es ist. Aber davon kriege ich Magenschmerzen.
Monsees: Wissen Sie: Viele Nichtraucher finden Rauchen widerwärtig. Wenn man dann anfängt, ändert sich das natürlich. Aber dieses Empfinden kann zurückkommen, wenn man aufhört. Ich rauche seit 2013 nicht mehr. Zigaretten ekeln mich heute wieder an.