Ein Jahr nach dem Öldesaster BP kämpft mit dem Verpester-Image

BP-Chef Dudley: Schwieriger Strategieschwenk
Foto: SUZANNE PLUNKETT/ REUTERSLondon - Bob Dudley wusste, was ihn erwartet. "Die Party ist vorbei", stand auf den Transparenten, die Umweltschützer und Gewerkschafter vor dem Londoner Excel-Kongresszentrum in die Höhe hielten. Ein Jahr nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko stellte sich der neue BP-Chef am Donnerstag zum ersten Mal auf einer Hauptversammlung den Anlegern.
Etliche hatten angekündigt, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern - aus Protest gegen das katastrophale Krisenmanagement. Obendrein berichteten die Finanzblätter am Morgen ausführlich über Probleme, die den Konzern seit Monaten im für BP so wichtigen Russland plagen.
Vor einem Jahr sah das noch ganz anders aus: Trotz Finanz- und Wirtschaftskrise verkündete der damalige BP-Chef Tony Hayward einen Quartalsgewinn von 5,6 Milliarden Dollar - und wurde von Aktionären euphorisch gefeiert.
Dann explodierte die Ölbohrplattform "Deepwater Horizon", versank im Meer, verursachte die größte Ölpest der US-Geschichte - und BP, dem Lieferanten von Glanzbilanzen und Top-Dividenden, ging es schlagartig schlecht. 19 Milliarden Dollar hat die Katastrophe nach Konzernangaben bislang verschlungen - knapp die Hälfte der Summe, die BP zur Begleichung von Schäden zurückgelegt hat.
Mit einem Mal galt BP als Übernahmekandidat. Und der Amerikaner Dudley, der dem Briten Hayward auf dem Chefposten folgte, musste rasch eine Strategie entwickeln, den Konzern zu retten. Er musste die Schäden des Desasters beheben, das ramponierte Image des Konzerns sanieren - und obendrein neue Wachstumsperspektiven schaffen. Die galt es nun im Excel-Zentrum zu verkaufen.
Dudley sagte, dass die Zahlen nicht schlecht seien, wenn man einmal von den Kosten für die Ölkatastrophe absehe. Das Neugeschäft im vergangenen Jahr sei sogar "sehr gut" gewesen.
Überraschend schnelle Erholung
Doch wie gut geht es BP wirklich? "Der Konzern hat sich überraschend schnell erholt", sagt ein langjähriger Branchenbeobachter. "Die Geschäftsaussichten haben sich zuletzt deutlich gebessert." Das liege zum einen am hohen Ölpreis. Zum anderen sei BP, im Gegensatz zu vielen Konkurrenten, in den Krisenregionen in Nordafrika und im Nahen Osten kaum tätig gewesen - musste also durch die Aufstände in der Region weniger Umsatzeinbußen hinnehmen als andere Konzerne.
Auch in den USA stehen die Zeichen auf Wachstum. Das Moratorium für die Ölförderung in der Tiefsee hat die US-Regierung still und leise aufgehoben - auch BP darf dort wohl bald wieder Öl fördern. US-Präsident Barack Obama kündigte zudem Ende März an, er wolle die US-Ölimporte um ein Drittel kürzen , um das Land unabhängiger zu machen. Laut "Washington Post" bemühte sich BP unlängst beim amerikanischen Innenministerium um die Bohrerlaubnis für zehn Ölfelder im Golf.
Die aktuellen Ereignisse spielen Dudley also in die Hände. Doch der Konzernboss wird auch an seiner neuen Strategie gemessen. Daran, wie konsequent er BP wieder auf Profit trimmt. Und da beginnen die Probleme.
Um den Konzern aus der Krise zu führen, setzt Dudley auf Expansion in Schwellenländern - zum Beispiel in Indien. Rund 7,2 Milliarden Dollar stecken die Briten in ein Joint Venture mit dem Energiekonzern Reliance Industries. Gemeinsam wollen die Unternehmen in der Tiefsee vor dem Subkontinent nach Öl und Gas bohren.
Mitte März übernahm BP zudem für etwa für 680 Millionen Dollar die Mehrheit am brasilianischen Biotreibstoff- und Zuckerproduzenten CNAA. Es war BPs bislang größter Deal mit erneuerbaren Energien. Segnen die Behörden das Geschäft ab, würde BP seine Biotreibstoffproduktion von derzeit 435 Millionen auf rund 1,4 Milliarden Liter steigern. Dudley beteuert, sein Unternehmen wolle in der Ökosparte schnell wachsen.
Erbitterter Kampf um Rosneft
Ausgerechnet bei einem zentralen Expansionsvorhaben aber hakt es seit Monaten: BP plant eine enge Kooperation mit dem russischen Staatskonzern Rosneft. Die Unternehmen wollen Aktien im Wert von rund 16 Milliarden Dollar tauschen und gemeinsam im Nordpolarmeer Öl und Gas fördern. Experten zufolge sollen sich dort rund ein Fünftel der weltweiten bislang unentdeckten Ölvorkommen befinden.
Doch BP hat ein Problem: Seine anderen russischen Geschäftspartner sind wegen des Rosneft-Deals vergrätzt. Seit 2003 betreiben die Briten zusammen mit dem russischen Oligarchen-Konsortium AAR das Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP. Nun macht AAR einen Passus aus dem Gesellschaftervertrag geltend, laut dem das Konsortium bei jedem anderen Ölgeschäft von BP in Russland gefragt werden muss.
Zuletzt reichte das Konsortium eine Klage auf Schadensersatz in Höhe von bis zu zehn Milliarden Dollar an. Laut einer Analyse der Investmentbank Barclays sind die Aussichten auf Erfolg zwar gering. Tatsächlich aber belastet das Hickhack BP massiv. Denn Russland ist für den Konzern von zentraler strategischer Bedeutung - rund ein Drittel seiner Gesamtölproduktion kommt hierher.
Um den Rosneft-Deal noch zu retten, erwägt BP nun, TNK-BP komplett zu übernehmen - sich also aus dem Schlamassel herauszukaufen. Der vorerst letzte Versuch, doch noch eine Einigung zu erzielen, scheiterte offenbar an überzogenen Preisvorstellungen der Russen. Laut "Financial Times" wollten sie für ihren 50-Prozent-Anteil 35 Milliarden Dollar, veranschlagen also einen Unternehmenswert von 70 Milliarden. Analysten aber schätzen der Wert von TNK-BP nur auf 50 Milliarden.
Rosneft scheint allmählich die Geduld zu verlieren. Zwar verlängerten die Russen die Frist für den Aktientausch noch einmal bis zum 16. Mai. Doch laut "Wall Street Journal" soll ein Rosneft-Manager am Mittwoch vor Investoren gesagt haben, man halte inzwischen Ausschau nach anderen Geschäftspartnern für das Abenteuer Arktis.
"Rosneft ist auf BP nicht angewiesen", sagt Slava Bunkow, Analyst beim russischen Investor Aton. "Es gibt zahlreiche andere Unternehmen, die ebenfalls die nötige Expertise für das Fördervorhaben mitbringen. Einige sollen schon Interesse angemeldet haben. Bevor BP die bis zu zwei Milliarden Dollar teure Entwicklung der Arktisbohrungen an Land zog, hatten internationale Rivalen wie Exxon Mobil und Royal Dutch Shell um die lukrativen Fördermöglichkeiten mit Rosneft gebuhlt.
Die Aktionäre im Excel-Center waren über Dudleys Management erbost. Die Nachricht vom geplatzten Rosneft-Deal sei enttäuschend, sagte Tony Hopkins, ein 61-jähriger Kleinanleger aus London. "Erbärmlich" sei Dudley in Russland vorgegangen, schimpfte Jeff Franks, ein früherer langjähriger BP-Mitarbeiter. Erst werde Dudley 2008 als Chef des Joint Ventures TNK-BP aus dem Land geworfen, und dann versuche er auch noch, hinter dem Rücken der russischen Partner mit Rosneft anzubandeln. Da sei es kein Wunder, dass die TNK-BP-Partner nun den Deal mit Rosneft blockierten.
Deepwater Horizon
Auch die Ölpest im Golf von Mexiko bereitet Dudley weiterhin Schwierigkeiten. Fischer aus der Region klagen über zu geringe Ausgleichszahlungen. Gleichzeitig strichen Spitzenmanager des Konzerns unlängst üppige Gehaltspakete ein - was viele Anleger als Affront werten. Von den Anlegern, die bereits vor der Hauptversammlung per Briefwahl abgestimmt hatten, stimmten elf Prozent gegen den Vergütungsbericht des Aufsichtsrats. Die Stimmen der Anwesenden mussten erst noch ausgezählt werden. Einen Denkzettel erhielt auch der Aufsichtsratsveteran William Castell, der schon während des Untergangs der "Deepwater Horizon" für Sicherheitsfragen zuständig war. 25 Prozent der Anleger verweigerten ihm die Zustimmung.
Dudley gab sich auf der Hauptversammlung demütig, ging auf Anlegerfragen ein, erklärte, warb um Vertrauen. Sein Vorgänger Hayward wirkte mit der Krise oft überfordert - und ging unter anderem mit seiner Yacht segeln, während am Golf das Chaos herrschte. Zumindest an der Tonlage hat sich bei BP also etwas geändert. Dudley erhielt mehrfach Applaus.
Doch das ändert nichts an den Zahlen. Wegen der hohen Aufräumkosten und Schadensersatzzahlungen musste BP für 2010 einen Verlust von 4,9 Milliarden Dollar ausweisen. Es sei ein "außerordentlich herausforderndes Jahr" gewesen, sagte Dudley - und bemühte sich, nach vorn zu schauen. Die Hotelbuchungen an der Golfküste seien wieder auf Normalniveau, 99 Prozent des Golfs wieder zum Fischen freigegeben.
Doch wie sehr die Katastrophe noch nachwirkt, zeigt die neue Konzernrhetorik: Dudley nannte Sicherheit und Vertrauen als strategische Top-Prioritäten für dieses Jahr. Gewinnmaximierung nannte er erst an dritter Stelle. Mehrfach wies Dudley auf das neue Sicherheitsteam aus 500 Spezialisten hin, das über alle Abteilungsgrenzen hinweg eingreifen kann und direkt an ihn berichtet.
Gleichzeitig kündigte er neue Tiefwasserbohrungen an - BP sei schließlich besonders gut in diesem Geschäft.