Elektromobilität in China Der lange Marsch zurück

Jahrelang hat die chinesische Regierung den Kauf von Stromern unterstützt. Viele dieser Programme enden nun. Haben die deutschen Autobauer in China aufs falsche Pferd gesetzt?

Mitten in Peking, im Szeneviertel Sanlitun, steht ein eleganter weißer Sportwagen vor einem Autohaus. "K50" heißt das Modell der chinesischen Marke Qiantu: ein vollelektrisches Sport-Coupé, 580 Newtonmeter Drehmoment, gut 300 Kilometer Reichweite. Äußerlich ähnelt es dem Supersportwagen Bugatti Veyron. Aber es ist deutlich leiser und günstiger.

"Drei K50 haben wir hier im letzten Halbjahr verkauft", sagt der Autohändler Peter Gao, als er zu einer kurzen Probefahrt einlädt: "685.000 Yuan das Stück" - umgerechnet knapp 90.000 Euro. Allein die Kosten für den Betrieb des Autohauses belaufen sich aber auf umgerechnet 6500 Euro pro Tag. Peter Gao wirkt nicht sehr zuversichtlich.

So geht es derzeit vielen in Chinas E-Auto-Branche. Jahrelang haben die Zentral-, Provinz- und Stadtregierungen Hersteller und Käufer von Elektroautos großzügig gefördert, mit günstigen Investitionsbedingungen, Zuschüssen von umgerechnet bis zu 8000 Euro pro Fahrzeug und Begünstigungen im Straßenverkehr.

Qiantu K50: Fast wie ein Bugatti - nur elektrisch. Und chinesisch

Qiantu K50: Fast wie ein Bugatti - nur elektrisch. Und chinesisch

Foto: MULLEN

Ist der E-Auto-Boom vorbei?

Während etwa Eigentümer von Wagen mit Verbrennungsmotoren in vielen Metropolen des Landes nur noch über Lotterien oder andere teure Verfahren eine Zulassung ergattern konnten, bekamen die Stromer oft sofort ihr Nummernschild. Zudem konnten sie vielerorts kostenlos parken und im Verkehrsdickicht Sonderfahrspuren nutzen. Ergebnis: 2018 wurden 1,26 Millionen E-Autos in der Volksrepublik abgesetzt, mehr als die Hälfte der weltweiten Produktion.

Doch seit Mitte dieses Jahres fährt die Regierung in Peking die Subventionen herunter; Ende 2020 sollen sie völlig entfallen. Entsprechend deutlich gingen zuletzt die Verkäufe zurück auf dem wichtigsten E-Auto-Markt der Welt: um 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat im September, um 29 Prozent im Oktober, um 44 Prozent im November. Noch mehr schwächelt das Geschäft mit Plug-in-Hybriden.

Ist der E-Auto-Boom in China etwa schon wieder vorbei? Hat Chinas Regierung ihre Strategie verändert? Setzt Peking künftig nicht mehr auf das Elektroauto, sondern auf andere Antriebsarten, auf Methanol und Wasserstoff statt auf batteriebetriebene Fahrzeuge?

Deutsche investieren Millionensummen

Diese Fragen müssen sich gerade viele in der Branche stellen - allen voran die deutschen Automobilhersteller. Sie haben in den vergangenen Jahren diverse E-Joint-Ventures in der Volksrepublik gegründet - nachdem sie gezögert hatten, im großen Stil bei der Entwicklung von Elektroautos mitzumischen. Daimler hat erst im vergangenen Frühjahr eine neue Partnerschaft mit der Geely Holding zum Bau von Elektro-Smarts unterzeichnet. BMW will ein 650 Millionen Euro teures Werk in der Provinz Jiangsu bauen. VW will Ende 2020 in der Nähe von Shanghai eine neue Fabrik eröffnen, in der ausschließlich Stromer zusammengesetzt werden.

Hat die deutsche Autoindustrie auf das falsche Pferd gesetzt?

Qiu Kaijun ist überzeugt: Der Boom geht weiter. "Die Regierung hat ihre Strategie nicht verändert", sagt der Branchenkenner, der den chinesischen E-Auto-Blog "Evobserver" betreibt. "Es war von Anfang an klar, dass die Subventionen auslaufen würden." Schließlich habe die Regierung ihre ersten Ziele erreicht - die Etablierung der neuen E-Technologie sowie den Aufbau von Industrieketten und Infrastruktur.

Peking habe von Anfang an drei unterschiedliche technologische Richtungen verfolgt, erzählt Qiu Kaijun: voll elektrisch betriebene Autos, Plug-in-Fahrzeuge und solche mit Brennstoffzellen. Es sei daher nicht verwunderlich, dass auch die Brennstoffzelle gefördert werde. Sie liege aber in der Entwicklung deutlich zurück. "Die Elektroautoindustrie steht nach wie vor im Vordergrund und ist am weitesten fortgeschritten", sagt der Branchenexperte. So stehen schon rund eine Million Ladesäulen in chinesischen Städten. Bis Ende 2020 soll sich diese Zahl mehr als vervierfachen.

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Seit Jahren betrachtet die Regierung die E-Mobilität als strategische Schlüsseltechnologie. Denn bei Autos mit Verbrennungsmotoren ist es Chinas Herstellern nie gelungen, in die Weltspitze vorzustoßen. Umso entschlossener setzte Peking darauf, bei E-Autos von Anfang an ganz vorne zu sein - bislang mit Erfolg. Umso unwahrscheinlicher erscheint es, dass die KP-Führung plötzlich dieser Technologie den Rücken zuwenden sollte.

Auch Ferdinand Dudenhöffer sieht keine politische Kehrtwende. "Die Regierung hat für die kommenden Jahre eine Quote beschlossen, die den Absatz von Millionen Elektroautos sicherstellt", sagt der Direktor des Center for Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen. Alle größeren Hersteller müssen in China einen Teil ihrer Fahrzeuge mit E-Antrieben oder Hybridmotoren ausstatten - oder von anderen Herstellern entsprechende Zertifikate kaufen. 2020 wird diese Quote 12 Prozent betragen; allein das werde rund 2 Millionen E-Mobile auf die Straße bringen, meint Dudenhöffer. Bis 2025 müssen es mindestens 20 Prozent werden - und zuletzt brachte Peking sogar 25 Prozent ins Gespräch.

Elektro-Smart: Der Nachfolger soll von Daimler und Geely in China hergestellt werden

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Foto: Tom Grünweg

"Die Geschichte, dass China jetzt angeblich nur noch auf Wasserstoff macht, ist an den Haaren herbeigezogen", sagt Dudenhöffer. "Der Wasserstoff-Pkw ist zurzeit keine Alternative. Die Technologie ist noch viel zu teuer. Bei der Umwandlung von Strom zu Wasserstoff und zurück zu Strom geht viel Energie verloren. Außerdem gibt es für Autos mit Brennstoffzellen noch viel zu wenige Tankstellen." Wasserstoff könne in einem Jahrzehnt ein Thema werden - dann aber eher bei Lkw.

Gegen einen technologischen Schwenk der Regierung spricht auch deren eigene Subventionspolitik. Denn die Förderung der Wasserstofftechnologie will Peking im Jahr 2021 auslaufen lassen.

Eine schmerzhafte Konsolidierung steht bevor

"Ich erwarte, dass sich die Elektromobilität schnell entwickeln wird", resümiert Branchenkenner Qiu Kaijun. "2025 werden es nach aktuellem Plan etwa sieben Millionen Fahrzeuge sein - der Großteil davon vollelektrische, ein kleiner Anteil Plug-in-Hybride und ein noch kleinerer Anteil Brennstoffzellen-Autos." Sollte diese Prognose eintreffen, kämen die deutschen Autobauer im Land auf ihre Kosten - sofern sie sich mit ihren Modellen im Wettbewerb durchsetzen gegen Dutzende chinesische E-Auto-Hersteller.

"Die Subventionen der vergangenen Jahre haben eine zu große Zahl von Investoren in diesen Sektor gelockt und zu viele Unternehmen entstehen lassen, deren Produkte noch nicht gut genug sind", meint der Pekinger Autohändler Peter Gao. Mit dem Auslaufen der Förderung stehe der Branche nun eine schmerzhafte Konsolidierung bevor.

Eine solche Auslese wäre nichts Neues in der chinesischen Industriepolitik, so ähnlich verfuhr Peking etwa schon in der Solar- und in der LED-Branche: Zuerst wird ein Industriesektor definiert und mit Subventionen vorangetrieben. Sobald genug Investoren gefunden und Unternehmen gegründet sind, fährt die Regierung ihr Engagement zurück und überlässt den Sektor dem Kräftespiel des Marktes - stets das Ziel im Blick, dass China global die Nase vorn hat.

So könnte es am Ende auch bei den E-Autos geschehen. Unter Mithilfe traditionsreicher deutscher Automobilkonzerne.

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