Notfallpläne bei Automobilbau, Stahl und Chemie Wie Deutschlands Großkonzerne Gas sparen wollen

Stahlwerk von Thyssenkrupp: Umstellung »nicht möglich«
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Die Unsicherheit ist groß, der Verbrauch auch: Angesichts einer drohenden Gaskrise rufen Politiker und Politikerinnen zum Energiesparen auf. Neben Privathaushalten betrifft das vor allem auch die Industrie und große Unternehmen, die einen Großteil des in Deutschland genutzten Erdgases verbrauchen.
Stahl: kaum Einsparpotenzial?
Der größte deutsche Hersteller Thyssenkrupp bereitet sich »in verschiedenen Szenarien« auf Unterbrechungen oder Einschränkungen vor, so eine Konzernsprecherin. In der Stahlindustrie wird Erdgas zur Wärmeerzeugung benötigt, etwa beim Walzen oder in der Kokerei. Weniger Gas bedeutet weniger Produktion. Das könne »bis zu einer bestimmten Schwelle begleitet werden.« Ein Mindestbezug sei zur Aufrechterhaltung der Abläufe aber unverzichtbar, ansonsten könne man Stilllegungen und Anlageschäden nicht ausschließen. Einsparpotenziale sieht Thyssenkrupp beim Gas kaum: »Eine Umstellung auf Erdöl oder Kohle ist in unseren Produktionsprozessen nicht möglich.«
Auch bei der Salzgitter AG aus Niedersachsen, der deutschen Nummer zwei, sei man in mehreren Prozessen auf Erdgas angewiesen, heißt es aus dem Konzern. Man wolle jedoch den Einsatz auf ein Minimum beschränken. Teilmengen ließen sich mit Öl ersetzen. Außerdem nutze man verstärkt die sogenannten Kuppelgase, die als Nebenprodukte anfallen. Salzgitter will die Gewinnung des Roheisens mittelfristig von Kokskohle auf Wasserstoff umstellen – übergangsweise werden aber auch hier Erdgasgemische mitverwendet.
Automobilindustrie: Kann Kohle und Gas nutzen
Für die Energieversorgung der Fabriken verbraucht die Autoindustrie große Mengen an Gas. Strom wird teilweise in eigenen Anlagen erzeugt. Der Volkswagenkonzern etwa rüstete im Frühjahr gerade das Kraftwerk am Stammsitz Wolfsburg von Kohle auf Gas um, hat diesen Schritt aber angesichts der Ukraine-Lage verschoben. »Wir sind in der Situation, dass wir beide Energieträger nutzen können«, sagte Finanzvorstand Arno Antlitz kurz nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine. Inzwischen habe Volkswagen weitere Vorbereitungen zur Gaseinsparung getroffen. Ein Sprecher erklärte, man werde »den gesamten Gasverbrauch um einen mittleren zweistelligen Prozentsatz reduzieren« können, allerdings ohne einen genauen Zeitrahmen nennen zu können.
Dem Konkurrenten Mercedes-Benz bereitet ein drohender Gasmangel erhebliche Sorgen. Die Stuttgarter richten sich darauf ein, den Verbrauch an den deutschen Standorten falls nötig um bis zu die Hälfte zu drosseln. Laut Vorstandschef Ola Källenius gibt es einen Notplan. Strom aus Gasverbrennung soll möglichst häufig durch Elektrizität aus erneuerbaren Quellen abgelöst werden. Zudem sind generelle Energieeinsparungen geplant, auch könnte bei Bedarf Öl zum Einsatz kommen. Källenius gibt sich vorsichtig: »Wir wissen nicht, was passieren wird.« Man sei im Gespräch mit der Bundesnetzagentur.
Als Autozulieferer ist Continental auch von der Energiekrise betroffen. Der Gasanteil im Energiemix sei bedeutend, heißt es bei den Hannoveranern. Einzelne Standorte seien unterschiedlich stark verwundbar – »von gar keiner Betroffenheit über die Nutzung von Erdgas rein zu Heizzwecken, zur Erzeugung von Prozesswärme bis zur Verwendung von Gas direkt im Produktionsprozess«. Details wollte das Unternehmen nicht nennen.
Chemie und Pharma: Bei den größten Verbrauchern sollen die Einsparpotenziale begrenzt sein
Die Branche ist mit einem Anteil von 15 Prozent größter Gasverbraucher in Deutschland. Hier ist Erdgas nicht nur ein bisher unerlässlicher Energieträger, sondern auch ein Rohstoff, der in viele Endprodukte einfließt. Der Verband der Chemischen Industrie VCI sieht nur noch wenig Senkungspotenzial: Durch den Einsatz anderer Brennstoffe ließen sich kurzfristig nur 2 bis 3 Milliarden Kilowattstunden (kWh) an Energie aus Gas einsparen – pro Jahr bräuchten die Firmen rund 135 Milliarden kWh. VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup sagte Mitte Juli, man gebe »aktuell noch einmal alles«, um »auch die allerletzten Gas-Einsparpotenziale zu heben.«
Zuletzt hörte man aber wieder etwas optimistischere Stimmen. BASF rechnet auch bei Ausrufung der Gasnotfallstufe mit dem Weiterbetrieb des Stammwerks Ludwigshafen. Das noch erhältliche Gas dürfte demnach ausreichen, um den Betrieb mit verringerter Last aufrechtzuerhalten, so Vorstandschef Martin Brudermüller. Der Darmstädter Merck-Konzern sieht sich für einen Mangel gerüstet. »Wir sind darauf vorbereitet, dann unsere Produktionsprozesse unter anderem auf Erdöl zu verlagern«, sagte Chefin Belén Garijo der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«.
Maschinenbau: kurzzeitig 20–40 Prozent Einsparpotenzial
Auch in dem stark mittelständisch geprägten Gewerbe variiert die Betroffenheit je nach Betrieb. Für die Gesamtbranche schätzt Matthias Zelinger, Energieexperte des Verbands VDMA, dass die Unternehmen für eine kurze Zeit mit 20 bis 40 Prozent weniger Gas auskommen könnten.
Ende Juni gab fast ein Drittel der Maschinenbauer in einer Umfrage an, sich auf eine Verknappung vorzubereiten. Etwa drei Viertel dieser Firmen prüfen, welche Möglichkeiten sie selbst haben – zum Beispiel über die Installation elektrischer oder ölbefeuerter Back-up-Systeme. Ein Drittel hatte bereits gestaffelte Notfallpläne in der Schublade.
Bahn: Mitarbeiter sollen Bonus fürs Energiesparen bekommen
Mit einem Jahresverbrauch von rund 10 Milliarden Kilowattstunden ist der bundeseigene Konzern der größte einzelne Stromabnehmer in Deutschland. Erdgas hatte im vorigen Jahr einen Anteil von 6 Prozent am Strommix, Kohle mehr als 20 Prozent und regenerative Energieträger etwa 62 Prozent. Personalvorstand Martin Seiler verweist auf Maßnahmen wie energiesparendes Fahren im Fern- und Regionalverkehr oder den Austausch fossiler Wärme durch alternative Heizanlagen.
Die Bahn setzt außerdem auf die Motivation ihrer Angestellten. Die Belegschaft soll einen Bonus von 100 Euro pro Kopf erhalten, der auf 150 Euro aufgestockt wird, wenn alle genügend Energie sparen. Dabei geht es etwa um einen besonders umsichtigen Umgang mit Beleuchtung, dem Heizen, der Klimaanlagen-Nutzung oder der Betankung. Mit dem Anreizsystem soll vor allem der Energieverbrauch in Gebäuden und an Bahnhöfen gesenkt werden. Wie hoch das Potenzial ist und welchen Umfang die Einsparungen konkret haben sollen, sagt die Bahn nicht.
Deutsche Telekom: Büros könnten kälter werden
Der Bonner Konzern ist als eines der größten IT- und Dienstleistungsunternehmen im Land ein Energie-Großverbraucher. Initiativen für mehr Energieeffizienz nehme man sehr ernst, heißt es aus dem Unternehmen. Man habe ein potenzielles Gasembargo im Blick.
In den Büros greife die gültige Arbeitsstättenrichtlinie mit entsprechenden Temperaturen, für leichte Tätigkeiten im Sitzen liege diese etwa bei 20 Grad Celsius. Zulässige Mindesttemperaturen beim Heizen oder Höchsttemperaturen beim Klimatisieren sind ein Thema in zahlreichen Unternehmen.
Kleinere Betriebe und regionale Kammern: Viele Firmen können sparen
Die Industrie- und Handelskammern (IHK) haben in mehreren Ländern Mitglieder zu den Sorgen um künftige Gaslieferungen befragt. In Niedersachsen sehen beispielsweise gut zwei Drittel der oft auch kleineren Firmen Möglichkeiten, den Strombedarf um bis zu ein Zehntel zu senken. Beim Erdgas sind es 62 Prozent. Behörden und Politik müssten nötige Umbauten dann rasch genehmigen. In Sachsen stellen sich viele Unternehmen nach Angaben der IHK Dresden darauf ein, Erdgas einzusparen oder durch Flüssiggas und Ölfeuerung zu ersetzen.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde nachträglich um ein Statement von Volkswagen ergänzt, in dem Einpsarziele benannt werden.