Energievisionen Fünf Geschäftsideen für das Stromnetz der Zukunft

Die Energienetze werden dem Internet immer ähnlicher: Durch schlaue Zähler entsteht eine Plattform, auf der findige Start-ups mit neuen Geschäftsideen schnell reich werden können. SPIEGEL ONLINE stellt fünf Konzepte für den Zukunftsmarkt vor - darunter einen App Store für clevere Kontrollsoftware.
Stromleitung: Energienetze werden dem Internet immer ähnlicher

Stromleitung: Energienetze werden dem Internet immer ähnlicher

Foto: Ralf Hirschberger/ picture-alliance/ dpa

Stromnetz der Zukunft

Berlin - Das gleicht einer Plattform, auf der jeder mit jedem kommuniziert. Die Waschmaschine mit dem Wäschetrockner, der Energiezähler mit der Solaranlage auf dem Dach, der Offshore-Windpark in der Nordsee mit dem lokalen Energieversorger.

erneuerbaren Energien

Immer mehr Geräte versenden Daten, Stromkabel werden zu Quasselstrippen. Profitieren sollen davon alle: die Umwelt, da durch die präzisere Abstimmung der Versorgungsnetze ein höherer Anteil an verkraftbar wird. Die Strom- und IT-Konzerne, da neue, lukrative Geschäftsfelder entstehen. Und der Verbraucher, der durch effizientere Ressourcennutzung Kosten spart.

Damit die Energiewende kommen kann, sind allerdings noch einige technologische Umwälzungen nötig. Schlaue Stromzähler müssen flächendeckend genutzt werden, damit die Energiemenge, die erzeugt und verbraucht wird, minutengenau gemessen werden kann. Managementsysteme müssen eingesetzt werden, damit die Netze auf die Datenflut reagieren können. Moderne Stromkabel müssen verlegt werden, die Elektrizität über Tausende Kilometer fast verlustfrei transportieren können.

Das Zusammenspiel solch neuer Technologien wird derzeit ergründet. Tausende Haushalte experimentieren mit intelligenten Stromzählern, Schwimmbäder versuchen mit der minutengenauen Regulierung der Wassertemperatur Energie zu sparen. Umwelt- und Wirtschaftsministerium subventionieren die Versuche unter dem Label E-Energy in sechs Modellregionen mit insgesamt 140 Millionen Euro.

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Schlaues Stromnetz: Fünf Geschäftsideen

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Verglichen mit den vielen Milliarden Dollar, welche die USA und China aktuell in eigene nationale Stromnetzprojekte buttern, sind das Peanuts. Auch sonst scheinen die schlauen Stromnetze zumindest im Bundeswirtschaftsministerium nicht gerade oberste Priorität zu genießen. Beim E-Energy-Jahreskongress, der Donnerstag und Freitag in Berlin stattfand, ließ sich Minister Rainer Brüderle (FDP) durch seinen Staatssekretär Hans-Joachim Otto vertreten.

Dennoch tut sich etwas in Deutschland. Erste Experimente zeigen bereits jetzt, wie welch vielfältige Geschäftsideen schlauere Stromnetze eröffnen - und wie stark das wirtschaftliche Denken im Energiesektor im Wandel ist.

Studenten des Münchner Center for Digital Technology and Management  (CDTM) präsentierten schon jetzt Geschäftskonzepte für die Zeit nach der Energierevolution: Ideen für das Jahr 2025, in dem sich nach Angaben der Regierung die Strom-Infrastruktur grundlegend und flächendeckend gewandelt haben wird. Das Energienetz gleicht in diesem Szenario dem Internet. Es ist ein Kommunikationsraum, in dem findige Start-ups mit geringem Kostenaufwand clevere Geschäftsideen verwirklichen können.

Fünf solcher Konzepte haben Studenten bereits jetzt entwickelt. SPIEGEL ONLINE stellt sie vor.

Energie OS - Stromnetz-Betriebssystem inklusive App Store

Motzt man Waschmaschine, Spüler und Stromzähler mit Kommunikationstechnik auf, kann der Verbraucher viel Geld sparen. Denn die Geräte sollen immer genau dann ihre Arbeit verrichten, wenn der Strom am günstigsten ist. Nachts etwa, wenn wenig andere Geräte im Betrieb sind - oder bei starken Böen, wenn Windräder in einer Region besonders viel Energie liefern.

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E-Auto und Co.: Bausteine der Energie-Revolution

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Eine effektive Nutzung der vorhandenen Energie setzt intelligente Managementsysteme voraus, die die Geräte eines Haushalts möglichst automatisch regulieren. Im Rahmen der E-Energy-Projekte wird viel über solche Lösungen diskutiert. So wird in einer der sechs Modellregionen etwa ein Energie-Butler entwickelt, der den Stromverbrauch von Haushalten individuell regulieren soll.

Das Energie-Management-Konzept, das die Studenten der CDTM entwickelt haben, geht noch weiter. Auch bei ihm sollen Verbraucher einem Maschinen-Butler etwa auftragen können, nur dann Strom zu beziehen, wenn er weniger als acht Cent pro Kilowattstunde kostet - oder dass man mindestens zu 60 Prozent Ökostrom kaufen will.

Elektrische Geräte mit dem Smartphone kontrollieren

Doch der CDTM-Butler kann noch mehr: Er ist gleich ein ganzes Betriebssystem für das schlaue Stromnetz. Ähnlich wie bei dem äußerst erfolgreichen App Store, über den Apple Anwendungen aller Art für das iPhone verkauft werden, soll einer Plattform für Energieprogramme entstehen. Kreative Programmierer können kostenpflichtige oder kostenlose Anwendungen schreiben, mit denen sich die elektrischen Geräte im Haushalt vom Smartphone oder Computer aus kontrollieren lassen. Nutzer können diese Programme in einem ins Betriebssystem integrierten Online-Shop kaufen - neben intelligenten Waschmaschinen oder Spülern.

Dem Verbraucher eröffnen sich so vielfältige Möglichkeiten, den eigenen Energieverbrauch zu kontrollieren. Die Firma, die ein solches Betriebssystem anböte, hätte eine gute Einnahmequelle: Sie könnte für jeden Verkauf einer Anwendung eine Provision kassieren - Apple macht es in seinem iPhone-Laden genauso.

Auch für Verkäufer des Home-Management-Systems hätte ein solcher Energie-App-Store einen entscheidenden Vorteil: Je mehr Software für das eigene System bereitsteht, desto attraktiver wird es für den Nutzer. Auf dem Smartphone-Markt zeigt sich bereits jetzt, dass vor allem jene Geräte gefragt sind, deren Software-Angebot vielfältiger als das der Konkurrenz ist - und die somit die Bedürfnisse von besonders vielen Zielgruppen bedienen können.

Tarif-Sheriff für günstige Strompreise

Das Geschäftsmodell eines Tarif-Sheriffs setzt voraus, dass sich der Strommarkt weiter liberalisiert. Dass es künftig also viele kleine Energieerzeuger und -weitervermittler gibt, die Strom zu ganz unterschiedlichen Preisen anbieten. Da der Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtversorgung zudem steigt, ist davon auszugehen, dass die Tarife sich stärker nach Angebot und Nachfrage differenzieren, dass Strom beispielsweise günstiger wird, wenn der Wind stark bläst.

Um ein unübersichtliches Tarif-Wirrwarr zu vermeiden, ist der Verbraucher auf Dienstleister angewiesen, die ihm schnell und zuverlässig genau das Bezahlmodell aussuchen, das am besten den eigenen Vorstellungen entspricht. Und da umweltbewusstes Verhalten ein immer größerer Prestige-Faktor ist, muss die ideale Lösung nicht unbedingt die günstigste sein. Es ist vielleicht die grünste.

Ein Internetportal, das die sich ausdifferenzierenden Möglichkeiten von Angebot und Nachfrage berücksichtigt, haben die CDTM-Studenten entworfen. Ihr Geschäftsmodell basiert auf einer Software, die mit dem schlauen Stromzähler eines Haushalts kommuniziert und aus den Daten über Wochen hinweg das Leistungsprofil von Verbrauchern erstellt.

Kostenlose Dienstleistung

Diese Daten setzt die Software mit Angaben aus Prognosesystemen in Verbindung, welche die Stabilität der Tarife verschiedener Anbieter in den kommenden Monaten errechnet. Zudem berücksichtigt sie zusätzliche Präferenzen des Verbrauchers, die online in eine Eingabemaske eingegeben werden können.

Dieses hochdifferenzierte Anforderungsprofil soll, so die Geschäftsidee, mit einer sich permanent aktualisierenden Datenbank abgeglichen werden. Am Ende bekommt der Verbraucher drei Tarifoptionen ausgespuckt, die seinen Vorstellungen unter verschiedenen Gesichtspunkten entsprechen. Der Nutzer braucht nun nur noch auf einen Button klicken, um zu einem davon zu wechseln.

Für den Verbraucher ist diese Dienstleistung kostenlos. Der Energieversorger, dem das Online-Portal neue Kunden zuschaufelt, muss dagegen eine Provision zahlen. Immerhin führt der Dienstleister Kunden und Anbieter, die besonders gut zueinander passen, zielsicher zusammen.

Stromzinsen von der Energie-Bank

Die Geschäftsidee einer Energie-Bank geht davon aus, dass die Produktion erneuerbarer Energien 2025 auch ohne gesetzlich geregelte Einspeisevergütung weitgehend rentabel ist - dass es sich aber gleichzeitig für Verbraucher immer noch nicht rechnet, größere Mengen Energie zu Hause zu speichern, da die entsprechenden Systeme noch immer zu teuer sind.

Viele Häuser hätten dann eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach oder ein Blockheizkraftwerk im Keller - aber keinen entsprechenden Speicher. Die Lösung dieses Problems soll eine Energie-Bank übernehmen, eine Ansammlung externer Speicher, die den Strom für den Kunden auf einem virtuellen Konto zwischenlagern.

Das Konzept ist dem sogenannten Cloud Computing entlehnt, bei dem Computernutzer Daten oder ganze Anwendungen auf die Serverparks von IT-Firmen wie Amazon oder Google auslagern. Überkapazitäten in den Datenparks werden so effektiv genutzt, gleichzeitig wird Strom gespart.

Stromanlagen an internationalen Energie-Börsen

Dieses Modell lässt sich gut auf den Energiesektor übertragen. Hier betreiben beispielsweise Fußballstadien oder Flughäfen aber auch die Betreiber von Serverparks moderne Anlagen zur unterbrechungsfreien Stromversorgung , die große Mengen Strom für Notfälle zwischenspeichern können. Wie bei Googles Serverparks liegen auch bei solchen Anlagen teils Kapazitäten brach.

Eine Energie-Bank könnte diesen Energie-Speicherplatz für die Stromkonten seiner Kunden mieten. Kunden können Energie darauf anlegen - und bekommen als Gegenleistung Zinsen, die entweder in zusätzlichem Strom oder in Geld ausgezahlt werden könnten.

Die Energie-Bank kann den Strom ihrer Anleger an internationalen Energiebörsen handeln. Das CDTM-Geschäftsmodell setzt voraus, dass Strom 2025 in viele Teile der Welt über sogenannte Gleichstrom-Kabel transportiert werden kann. Diese Leitungen, die etwa auch für die Anbindung Europas an das Wüsten-Solarstromprojekt Desertec im Gespräch sind, erlauben eine fast verlustlose Übertragung von Energie über Tausende Kilometer hinweg.

Gäbe es diese Leitungen flächendeckend, würde es sich für eine Energiebank beispielsweise rentieren, die Zeitverschiebung zu nutzen, um in einem Land zu nachfrageschwachen Tageszeiten billig Strom einzukaufen - und ihn in einem anderen Land, in dem die Nachfrage gerade hoch ist, teuer wieder zu verkaufen.

Ecooperation - Strom-Shopping im Firmen-Verbund

Dieses Geschäftsmodell basiert auf der Idee, dass Unternehmen ihre Energiekosten senken können, wenn sie sich mit anderen Firmen im Verbund Strom teilen - und dass es Dienstleister geben könnte, welche die Unternehmen gegen Provision zu möglichst kosteneffektiven Netzwerken zusammenschließen.

Dazu werden die Verbrauchskurven der einzelnen Unternehmen minutengenau gemessen und aus diesen Daten werden Energieprofile erstellt. Im Anschluss werden Dutzende, sich komplementär ergänzende Firmen zu einem Energie-Konglomerat zusammengefasst.

Ein solcher Unternehmensverbund bekäme erstens Massenrabatt beim Stromeinkauf. Zweitens könnten die Firmen die vorhandene Energie im Verbund möglichst effizient verteilen und würden so ihren Verbrauch senken. Ein Bürogebäude mit Solarzellen auf dem Dach könnte beispielsweise seine überschüssige Elektrizität an die benachbarte Fabrik liefern. Ein Kühlhaus könnte Energie indirekt speichern, indem es in stromreichen Zeiten besonders stark kühlt und sich in stromarmen Zeiten eine Weile abschaltet.

Auch Energieerzeuger sollen von solchen Lösungen profitieren. Denn durch die permanente Messung des Verbrauchs werden präzise Lastkurven der Firmenkonglomerate an die Produzenten weitergereicht. Die Erzeuger wissen dadurch recht genau, wie viel Strom die Unternehmen nachfragen. Der Verbrauch in einer Region wird berechenbarer. In der Folge sollen sich die Erzeuger den teuren Betrieb von Reservekraftwerken sparen können, von Kraftwerken also, die immer dann anspringen, wenn Unternehmen plötzlich mehr Strom brauchen und die laufenden Kraftwerke den zusätzlichen Bedarf nicht mehr allein abdecken können.

Energiehandel über lokale Strombörsen

Das Geschäftsmodell geht davon aus, dass viele Verbraucher im Jahre 2025 selbst im kleinen Maßstab Strom produzieren werden, etwa durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Wer aber Energie produziert, will diese gegebenenfalls nicht nur selbst nutzen, sondern auch weiterverkaufen - und das möglichst gewinnbringend.

Die internationalen Strombörsen sind dafür nicht unbedingt der lukrativste Weg. Oft wäre beim Verkauf von Energie in der eigenen Nachbarschaft mehr zu holen. Der Markt ist kleiner und wesentlich größeren Schwankungen ausgesetzt.

Dienstleister könnten also Profit machen, indem sie regionale Marktplätze betreiben, auf denen einzelne Haushalte mit Energie handeln können - und die diesen Handel via Software für die Kunden übernehmen.

Das Ergebnis würde sich nach Ansicht der CDTM-Studenten für alle Beteiligten lohnen. Diejenigen, die viel konsumieren, bekämen billigeren Strom. Und diejenigen, die viel produzieren, würden im Regionalverkauf noch immer mehr verdienen als an einer internationalen Strombörse. Die Verbraucher würden in diesem Modell weitgehend autark agieren, die Energiekonzerne würden einen Teil ihrer Kontrolle über den Energiemarkt an individuelle Händler verlieren.

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