Konkurrenz für E.on und Co. Auto- und Internetfirmen erobern den Energiesektor
Im westfälischen Lünen startet Anfang 2016 eine Energierevolution. Ab Januar wird dort der weltgrößte Batteriespeicher aus gebrauchten Akkus von Elektroautos gebaut. Die Batterien stammen aus Smarts der zweiten Generation und sind im Schnitt vier bis fünf Jahre im Gebrauch. Sie sind damit zu alt für Elektroautos, denn Akkus verlieren mit der Zeit einen Teil ihrer Speicherkapazität, was den Fahrradius einschränkt. Aber sie sind nicht zu alt, um Strom zwischenzuspeichern und binnen Sekunden Schwankungen in den Netzen auszubalancieren.
Ein junges Konsortium um den Autokonzern Daimler will genau damit Geld verdienen. Rund tausend Akkus werden in Lünen in Regale gepackt und zu einem 13 Megawatt großen Speicher verkabelt. Für solche Lösungen wird es in Zukunft immer größeren Bedarf geben: Denn je mehr Sonnen- und Windstrom produziert wird, desto heftiger schwankt die Energieversorgung der Industrienation Deutschland.
Wenn sich die Idee von Daimler und Co. durchsetzt, könnte künftig jeder Akku eines Elektroautos zweitverwertet werden. Das würde die Umwelt schonen und die Preise für Batterien drücken. Elektromobilität würde billiger und für mehr Kunden attraktiv. Auch BMW drängt deshalb in dieses Marktsegment, ebenso der Großkonzern Bosch.
E.on, Vattenfall und der Kohleriese Steag versuchen sich ebenfalls an Speicherlösungen - sind aber mit ihren Projekten in der Minderheit. Was einen neuen Trend verdeutlicht: Im Stromsektor entstehen - befeuert durch die Energiewende - viele neue Geschäftsfelder. Doch wenn die etablierten Energieversorger aufbrechen, um diese zu besetzen, haben Wettbewerber oft schon ihre Claims abgesteckt. Die Energieriesen haben gewissermaßen ein Hase-und-Igel-Problem.
Vom Energiesektor zum Energiewendesektor
Die Mitbewerber der einstigen Branchenpioniere sind oft schneller, wendiger, innovativer. Und ihre Zahl steigt rapide. Denn die Umstellung der deutschen Energieversorgung lockt auch alle möglichen branchenfremden Unternehmen an, vor allem aus dem IT- und Autosektor.
- Da ist der US-Konzern Tesla, der zusammen mit dem Hamburger Ökostrom- und IT-Unternehmen Lichtblick Speicher an deutsche Haushalte und Mittelständler verkauft - mit dem langfristigen Ziel, Stromkunden in aller Welt weitgehend unabhängig von ihren Energieversorgern zu machen.
- Da ist der Autokonzern VW, der, ebenfalls zusammen mit Lichtblick, parkende Elektroautos zu einem gigantischen Stromspeicher vernetzen will.
- Da ist die Entelios AG, ein IT-Dienstleister, dessen Software die Produktion ganzer Fabriken an die gerade verfügbare Menge von Wind- und Solarstrom anpassen kann.
- 95,6 Terawattstunden Ökostrom wurden im ersten Halbjahr 2015 produziert. E.on, RWE, EnBW und Vattenfall, die jahrzehntelang den klassischen Energiesektor dominierten, haben davon gerade einmal zwölf Prozent erzeugt.
Querdenker gegen Betonköpfe
Es ist kein Zufall, dass branchenfremde Unternehmen im neuen Energiesektor immer häufiger die Führung übernehmen. Die Manager und Ingenieure von IT- und Autokonzernen denken anders. Sie sind oft kompetenter darin, neuartige, oft digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Produkte, die besser zur dezentralen, IT-lastigen Energiewelt der Zukunft passen als die .
Eine besonders schonungslose Kritik an den einstigen Branchenpionieren stammt ausgerechnet von einem ihrer Manager: "Die Energiekonzerne waren viele Jahrzehnte Gebietsmonopolisten unter staatlichem Einfluss", sagte EnBW-Chef Frank Mastiaux 2013 . "Sie sind erst seit relativ kurzer Zeit einem ernstzunehmenden Wettbewerb ausgesetzt. Was andere nach und nach gelernt haben, muss die Branche jetzt in Rekordzeit nachholen."
Tatsächlich sind die klassischen Konzerne noch immer dabei, ihre alten Denk- und Organisationsstrukturen aufzubrechen. E.on und RWE planen, ihre Erneuerbare-Energien-Sparten abzuspalten und zu autarken Unternehmen zu machen. RWE-Vorstandschef Peter Terium lässt zudem nichts unversucht, um sein Management auch geistig flexibler aufzustellen.
RWE-Angestellte berichten von konzertiertem Schweigen bei Waldspaziergängen oder von Achtsamkeitstrainings mit Rosinen. RWE-Boss Terium haben solche Maßnahmen den Spitznamen Eso-Terium eingebracht. Besonders innovative Geschäftsideen haben die mentalen Lockerungsübungen dagegen noch nicht hervorgebracht.
In der Belegschaft macht sich deshalb mitunter das Gefühl der Verlorenheit breit: Die Energiekonzerne haben sich über Jahrzehnte exklusives Branchenwissen aufgebaut - dennoch wirken sie bei Entscheidungen, in welche neuen Marktfelder sie investieren sollen, oft unsicher.
Und so wird auch der weltgrößte Batteriespeicher aus alten Elektroautoakkus nicht von einem Energieunternehmen gebaut, sondern von einem Konsortium aus Start-ups und einem Autokonzern.
Zusammengefasst: Die großen Energieversorger stecken wegen des Atom- und Kohleausstiegs in der Existenzkrise. Nun machen ihnen neue Konkurrenten das Leben schwer. Unternehmen aus der Internet- und Autobranche drängen in den Energiesektor - und übernehmen mit innovativen Lösungen immer öfter die Führung.