Energiewende Dumm gelaufen mit den intelligenten Netzen

Strommasten: Smart Grid seit Jahren im Verzug
Foto: Z6524 J¸rgen Lˆsel/ dpaHamburg - Der Einbau sogenannter intelligenter Stromzähler in Millionen deutscher Haushalte dürfte sich erneut verschieben. Eine zentrale technische Richtlinie wird, anders als geplant, erst 2015 fertig, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Fraktionsvizes Oliver Krischer. Bis sie fertig ist, wissen die Hersteller nicht, wie sie ihre Zähler genau bauen sollen - und dürften kaum mit der Massenproduktion beginnen.
Es ist nur der neueste Rückschlag im wohl größten Pannenprojekt der Energiewende. Der Bau eines intelligenten Stromnetzes, lange als zentraler Baustein der Energiewende gehandelt, ist nun schon seit Jahren im Verzug.
Schon im Jahr 2007 wurde die Idee eines intelligenten, mit Informationstechnologie aufgerüsteten Stromnetzes erstmals erwähnt: im sogenannten "Eckpunktepapier für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm" (PDF) des damaligen Wirtschaftsministers Michael Glos (CSU). "Die Ermittlung des Stromverbrauchs ist in Deutschland nicht auf der Höhe der Zeit", hieß es schon damals. Ziel sei die "zügige Verbreitung von neuen Technologien".
Heute, acht Jahre später, findet sich noch immer in kaum einem deutschen Haushalt ein intelligenter Zähler. Dabei sollte das Projekt längst die Stromversorgung von Millionen Verbrauchern demokratisiert haben.
Die sogenannten Smart Meter sollten den Verbrauch eines jeden Haushalts im Minutentakt messen - und in ebenso kurzen Zeitabständen übermittelt bekommen, wie viel Strom gerade in den Netzen verfügbar ist. Die Haushalte sollten dadurch von den schwankenden Preisen an der Strombörse profitieren: Wenn ein Stromüberangebot herrscht, zum Beispiel weil viele Wind- und Solaranlagen gerade auf Hochtouren arbeiten, würden die Preise für die Endkunden sinken; bei einer Unterversorgung steigen.
Die Endkunden sollten ihren Stromverbrauch entsprechend anpassen, in stromreichen Stunden Waschmaschine, Trockner und Spülmaschine anschalten oder, in einer späteren Zukunft, ihr Elektroauto laden. Das sollte einerseits die Versorgung stabilisieren, die immer stärker von schwankenden erneuerbaren Energiequellen abhängt. Andererseits sollten Verbraucher die Möglichkeit bekommen, Geld zu sparen. Doch die Bundesregierung entwickelte nie eine überzeugende Strategie für den Einsatz intelligenter Zähler in Haushalten. Die Folge: ein Planungschaos.
Wer sein Passwort vergisst, kann kein neues bekommen
Der größte Fehler war nach Ansicht mehrerer Beteiligter, dass dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) weitreichende Kompetenzen übertragen wurden. Dieses sollte nicht nur, wie es sich für eine solche Behörde ziemt, hohe Datenschutz-Standards für Smart Meter entwickeln; sondern sich auch um die sogenannte Interoperabilität kümmern. Es sollte also sicherstellen, dass jeder intelligente Stromzähler mit jedem Stromversorger kommunizieren kann. Eine hochkomplexe Aufgabe. Das BSI sei damit von Anfang an überfordert gewesen, sagen manche, die an dem Projekt beteiligt waren.
Im März 2013 veröffentlichte das BSI die "Technische Richtlinie 1.0" für intelligente Stromzähler, einen Wust aus Dokumenten , die zusammen mehr als 800 Seiten füllen - aber manch simple Frage nicht klären.

Smart Meter von RWE: Pannen über Pannen
Foto: DPADie Technische Richtlinie sehe zum Beispiel bis heute keine Lösung dafür vor, den Anbieter zu wechseln, der die Daten des Zählers verwaltet, heißt es bei einem Hersteller für intelligente Zähler. Wenn ein Anbieter pleitegeht, kann nicht einfach eine andere Firma einspringen. Und wenn ein intelligenter Zähler abstürze, sei nicht klar, wohin der Fehler gemeldet werden könne.
Das BSI teilt dazu mit, man sei auch im Gesundheitswesen oder beim neuen Personalausweis für die Interoperabilität verantwortlich. Entsprechend übersteige es nicht die eigenen Kompetenzen, ein solches Konzept auszuarbeiten.
Klarere Vorgaben für Interoperabilität jedenfalls werden erst noch erarbeitet. Vergangene Woche hat das BSI eine Einladung für eine neue Arbeitsgruppe verschickt. Experten sollen bis zum 10. Oktober zu- oder absagen.
Die Unternehmen, die viel Geld in die Entwicklung von Zählern gesteckt haben, bringen solche Umständlichkeiten zur Verzweiflung. Öffentlich traut sich keiner, das BSI zu kritisieren. Doch in den entsprechenden Arbeitsgruppen, in denen Hersteller und Verbände mit Regierungsvertretern und BSI-Mitarbeitern zusammensitzen, bricht sich ihr Frust Bahn.
Immer weniger Experten kämen überhaupt noch zu den Sitzungen. "Eine kritische Infrastruktur wird inzwischen von einer Handvoll Leuten entwickelt, weil der Rest aus Frust die Sitzungen schwänzt", sagt einer, der noch immer hingeht.
Auch die Vertreter des BSI schwänzen, wie Sitzungsprotokolle belegen, regelmäßig die Treffen. Die Behörde begründet das auf Nachfrage mit "eingeschränkten personellen Ressourcen". Mit den anderen Teilnehmern sei vereinbart worden, dass sie sich "bei akuten Rückfragen direkt an die Mitarbeiter des BSI wenden".
"Nicht vom Ende her gedacht"
Doch auch das scheint nicht immer zu funktionieren. Das BSI beantworte Fragen teils "nur zögerlich" und teils monatelang überhaupt nicht, heißt es in einem Sitzungsprotokoll einer Arbeitsgruppe. "Das Absinken der Bereitschaft zur Teilnahme / Mitarbeit an der Gremienarbeit" sei daher nur allzu "verständlich".
Im Juli 2013 veröffentlichte die Unternehmensberatung Ernst & Young eine Studie , laut der sich der flächendeckende Einbau intelligenter Stromzähler in kleine Haushalte gar nicht rechnet: Die Kosten seien weit höher als der Nutzen. Die Zähler hätten aber einen ganz anderen Vorteil, hieß es in der Studie weiter: Wenn sich der Stromverbrauch ans Angebot anpasse, erhöhe das die Versorgungssicherheit, das wiederum mache den Bau neuer Stromleitungen teils überflüssig.
Damit man sich Stromstrippen sparen kann, müssten die Zähler aber mehr können als Angebot und Nachfrage von Strom zu messen; sie müssten Geräte wie Nachtspeicherheizungen oder Wärmepumpen im Notfall eigenständig an- und abschalten können. Dafür aber gebe es zurzeit keine verlässlichen Rahmenbedingungen, sagte ein Vertreter von RWE im Juli 2014 in einem internen Vortrag. Der Konzern betreibt im Ruhrgebiet rund 100.000 Nachtspeicherheizungen, die von intelligenten Zählern angesteuert werden müssten.

E-Auto und Co.: Bausteine der Energie-Revolution
"Die Einführung intelligenter Zähler wurde nicht vom Ende her gedacht", sagt Sebastian Schurre vom Bundesverband Neue Energiewirtschaft. "Es fehlt noch immer eine erkennbare Strategie." Entsprechend gibt es acht Jahre, nachdem das Smart Grid zum ersten Mal in einem Regierungspapier erwähnt wurde, eine technische Richtlinie, die weder sicherstellt, dass alle Geräte dieselbe Sprache sprechen, noch dass neue Stromtrassen eingespart werden können.
"In den meisten Kellern drehen sich noch immer Stromzähler mit einer Technik aus Kaisers Zeiten", sagt Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen. "Deutschland hat längst den Anschluss bei moderner Zählertechnik verloren, weil die Bundesregierung seit Jahren nicht in der Lage ist, einen technischen Standard festlegen."
Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium sagt zu solchen Vorwürfen, es gelte nach wie vor der Plan, "noch in diesem Jahr ein Verordnungspaket für intelligente Stromzähler vorzulegen".