Energiewende RWE-Boss schickt bösen Brief an Merkel

RWE-Chef Großmann, Kanzlerin Merkel: Drohende neue Klage
Foto: Ralph Orlowski/ Getty ImagesHamburg - Gerade erst hat die Regierung den Atomausstieg beschlossen, Schwarz-Gelb feiert die Energiewende. Doch schon droht neues Ungemach: In einem persönlichen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel beklagt RWE-Chef Jürgen Großmann die Energiepolitik der Regierung. Im Kern gehe es um die Befürchtung, dass die Atomkonzerne nicht mehr all jenen Atomstrom produzieren können, der ihnen vertraglich zugesichert worden ist, sagte eine RWE-Sprecherin.
Hintergrund: Schon die rot-grüne Regierung hatte jedem Kraftwerk eine gewisse Strommenge zugeteilt, die es maximal produzieren darf, ehe die Betrieberlaubnis erlischt - die sogenannte Reststrommenge. Schwarz-Gelb hat diese Methodik weitgehend übernommen, will aber für jedes AKW zusätzlich ein Auslaufdatum definieren, an dem die Betriebserlaubnis automatisch erlischt. Reststrommenge hin oder her.
Die Energiekonzerne zweifeln an der rechtlichen Grundlage dieses Beschlusses. RWE etwa rechnet nicht damit, seine Reststrommengen durch die AKW-Abschaltung in Stufen je aufbrauchen zu können. Das aber könnte als Eingriff in Eigentumsrechte der Unternehmen gewertet werden.
Die Regierung beteuert, der Atomausstieg sei rechtssicher. Doch auch Juristen namhafter Kanzleien räumen möglichen Klagen der Energiekonzerne gegen die Atomwende durchaus Chancen ein. "Bei der Abschaltung der alten Atomkraftwerke handelt es sich um eine Enteignung", sagt etwa Manfred Rebentisch, Experte für Umwelt- und Atomrecht bei Clifford Chance. "An der Zulässigkeit haben wir erhebliche Zweifel." Das Aktienrecht zwinge die Betreiber geradezu zur Klage, sagte der Verwaltungsrechtler Ulrich Battis der "Bild"-Zeitung.
Vattenfall erwägt Klage
Sollten die Meiler abgeschaltet werden, könnten dem Staat also hohe Entschädigungsforderungen drohen. Brancheninternen Berechnungen zufolge könnten die vier AKW-Unternehmen E.on , RWE , EnBW und Vattenfall noch über Lizenzen zur Produktion von 60 bis 80 Milliarden Kilowattstunden Atomstrom verfügen, wenn der letzte Meiler abgeschaltet wird. Bei heutigen Strompreisen von rund 60 Euro je Megawattstunde entspräche das einem Schaden zwischen 3,6 und 4,8 Milliarden Euro, berichtet die "Financial Times Deutschland".
Neben RWE droht deshalb auch Vattenfall mit einer Klage. Man verlange für die Zwangsstilllegung der Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel eine "faire Entschädigung", sagte Konzernchef Øystein Løseth der Nachrichtenagentur dpa.
In der FDP halten es einige für möglich, dass die Regierung - und damit der Steuerzahler - am Ende für den Ausstieg geradestehen müssen. FDP-Generalsekretär Christian Lindner schließt nicht aus, dass am Ende Schadenersatz fällig wird. Seine Partei hätte dagegen Vorsorge getroffen, aber die CDU habe das nicht für nötig gehalten.
Das Kabinett hatte am Montag ein Gesetzespaket verabschiedet, das den Atomausstieg bis 2022 besiegelt. Laut Berechnungen der LBBW drohen den Energiekonzernen nun Mindereinnahmen von 22 Milliarden Euro. Der Atomausstieg ist für die Energieriesen auch langfristig ein Problem: Die emissionsarme Kernkraft sollte ihre CO2-Bilanz aufpolieren. Auch das funktioniert nun nicht mehr.
Dena warnt vor Stromlücke
Entsprechend erbittert wehren sich die Energieriesen. E.on, Deutschlands größter Energiekonzern, klagt bereits gegen die Brennelementesteuer. Gegen die Zwangsabschaltung seines Altmeilers Biblis A im Rahmen des Atommoratoriums geht bereits RWE gerichtlich vor.
Die Energieagentur Dena warnt vor einem unkoordinierten Ausstieg. "Die nächsten Atomkraftwerke werden bereits 2015 abgeschaltet", sagte Geschäftsführer Stephan Kohler. Insbesondere in Süddeutschland würden neue Gas- und Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 10.000 Megawatt benötigt. "Wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, werden wir es mit Stromengpässen zu tun haben."
Die Dena rechnet damit, dass Milliarden-Investitionen für den Ausbau erneuerbarer Energieträger, für neue Stromleitungen und zusätzliche Kraftwerke fällig werden. "Die Energiewende hat ihren Preis - auch für die Verbraucher." Die Dena gehört zur Hälfte dem Bund, zur anderen Hälfte der staatlichen KfW, der Allianz, der Deutschen Bank und der DZ Bank. Sie erhielt nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums zwischen 2005 und 2010 rund 18,1 Millionen Euro Drittmittel von den vier großen Energieversorgern.
Während die deutschen Versorger protestieren, wittern ausländische Investoren Geschäftschancen durch die Energiewende in der Bundesrepublik. Wie die "FTD" berichtet, prüft der dänische Stromproduzent Dong den Bau eines Gaskraftwerkes in Deutschland.
Neuer Streit über Gebäudesanierung
Über einen anderen Punkt im Energiekonzept der Regierung gibt es ebenfalls weiter Streit. Mieterbund-Präsident Franz-Georg Rips fordert, das Bundesprogramm zur energiesparenden Gebäudesanierung auf fünf Milliarden Euro pro Jahr aufzustocken.
Über das Programm bezuschusst die staatliche Förderbank KfW Hausbesitzer, die Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Verringerung des CO2-Ausstoßes von Gebäuden ergreifen. Die Regierung hat es im Rahmen der Energiewende auf 1,5 Milliarden Euro aufgestockt.
Die Regierung will die Klimabilanz von Gebäuden rasch reduzieren. Bis 2020 plant Schwarz-Gelb, den Wärmebedarf um 20 Prozent zu reduzieren, bis 2050 sogar um 80 Prozent. Rips sagt, die angestrebte Förderung reiche nicht aus, um diese Ziele zu erreichen.
Jan Mücke, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbauministerium (FDP), sieht das anders. "Das Programm hat eine große Hebelwirkung", sagte er SPIEGEL ONLINE kürzlich. Die dadurch angestoßenen Investitionen seien im Schnitt acht Mal so hoch wie die Förderung selbst.