Stadtwerke auf Abwegen Uelzen goes Ukraine

Der Umbau der Energieversorgung treibt seltsame Blüten: Damit sie in Deutschland Ökostrom erzeugen können, kaufen kommunale Stadtwerke Palmöl in Südostasien oder pachten riesige Flächen Ackerland in der Ukraine - alles mit dem hehren Ziel Nachhaltigkeit.
Stadtwerke-Feld in der Ukraine: Elf Millionen Euro investiert und nur Verluste geerntet

Stadtwerke-Feld in der Ukraine: Elf Millionen Euro investiert und nur Verluste geerntet

Foto: SBE

Wer die Idee mit der Ukraine hatte, weiß Markus Schümann heute nicht mehr. Der Geschäftsführer der Stadtwerke Uelzen kann sich aber gut an die Zeit erinnern, damals im Jahr 2007, vor der Finanzkrise, als noch alles möglich schien. In der Branche, erzählt Schümann heute, wurde damals viel über neue Möglichkeiten der Stromerzeugung diskutiert.

Was er nicht sagt: Es ging auch darum, wie Stadtwerke von der gesetzlichen Förderung erneuerbarer Energien profitieren könnten. Schümanns Stadtwerke besitzen ein kleines Ölkraftwerk, das sie auf Pflanzenöl umrüsten wollten, um damit subventionierten Strom zu erzeugen. Die Entscheidung fiel zunächst für einen Brennstoff, der unproblematisch und billig zu haben war: Palmöl.

"Aus heutiger Sicht", gibt Schümann zu, "würden wir die Entscheidung nicht noch einmal treffen." Denn umgehend brach in der niedersächsischen Kleinstadt ein Sturm der Entrüstung los. Palmöl hat einen schlechten Ruf: Die Produzenten werden beschuldigt, in Indonesien und Malaysia für die Plantagen Regenwälder zu roden. Die Stadtwerke Uelzen versuchten gegenzusteuern: Sie schickten selbst Öko-Kontrolleure auf die Plantagen. Doch auch damit konnten sie die Öffentlichkeit nicht umstimmen.

Die Stadtwerke entschlossen sich daraufhin, ihr Kraftwerk mit Rapsöl zu betreiben. Doch mit Rapsöl von niedersächsischen Bauern wäre die Anlage nicht wirtschaftlich gewesen. Deshalb beschlossen die Uelzener, den Rohstoff für ihre Bioenergie selbst anzubauen. Die Wahl fiel auf einen Staat mit reichlich Ackerland in hervorragender Qualität - die Ukraine.

Vom Kommunalmanager zum Großkapitalisten

Und so wagte sich ein kleines städtisches Unternehmen mit weniger als 80 Mitarbeitern und einem Jahresgewinn von damals weniger als 800.000 Euro auf die ganz große Bühne der Globalisierung. Ein Lehrstück darüber, was schiefgehen kann, wenn Kommunalmanager Kapitalismus spielen, anstatt sich auf ihren öffentlichen Versorgungsauftrag zu konzentrieren.

Die Stadtwerke Uelzen gründeten die "SBE Sustainable Energy Holding GmbH" und pachteten gleich 12.000 Hektar Ackerland in der Ukraine - die Fläche entspricht der von etwa 200 Bauernhöfen in Deutschland. Der Raps sollte in der Ukraine günstig angebaut und 1300 Kilometer weit per Zug nach Uelzen transportiert werden. Die SBE investierte bis Ende 2011 rund elf Millionen Euro - und hat bis heute keinen Gewinn erwirtschaftet. Geschäftsführer Markus Schümann ist heute von einer entwaffnenden Offenheit: Vieles von dem, was sein Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren tief im Osten begonnen habe, sei "aus heutiger Sicht einfach nicht zielführend gewesen". So würde er es nicht mehr machen.

Goldgräberstimmung vor der Finanzkrise

Damals aber herrschte eine Art Goldgräberstimmung: Die Banken stellten Kredite bereit, Expansion war in der Zeit vor dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers gerne gesehen, und Agrarrohstoffe galten als Erdöl der Zukunft.

Von dem Boom der Agrarmärkte konnten die Stadtwerke allerdings nicht profitieren: Die Ukraine-Tochter SBE schaffte es nicht, den Raps günstiger anzubauen, als er auf dem Weltmarkt zu kaufen war. Deutsche, die in der Ukraine arbeiten und sich in Landwirtschaft und Getreidehandel vor Ort auskennen, bescheinigen dem Projekt einmütig ein "katastrophales Management". Dietrich Treis zum Beispiel, der seit 12 Jahren Landwirte in der Ukraine berät, erinnert sich gut an die ersten SBE-Manager vor Ort: Ziemlich großspurig seien die aufgetreten.

Neben Stilfragen seien aber grundsätzliche Fehler gemacht worden. So habe die SBE zu viele Manager beschäftigt: "Normalerweise haben vergleichbare Betriebe in der Ukraine ein bis zwei deutsche Betriebsleiter vor Ort, der Rest sind Einheimische", sagt Treis. Die SBE soll bis zu acht Deutsche gleichzeitig beschäftigt haben. Auch sei das Projekt überhastet gestartet: Von den 12.000 Hektar konnte die Stadtwerke-Tochter anfangs nicht mehr als 5000 bewirtschaften. Außerdem liegen die Flächen bis zu 140 Kilometer auseinander - schon mit einem Pkw sind laut Treis solche Strecken auf ukrainischen Straßen kaum abzufahren; mit landwirtschaftlichen Maschinen sei das fast unmöglich.

Nach dem ersten Jahresverlust stiegen 2009 die Stadtwerke Schwäbisch Hall in das Projekt ein. Das Vorhaben schien dem Schwäbisch Haller Geschäftsführer Johannes van Bergen interessant, offenbar aber aus ganz anderen Gründen als den Uelzenern: Physische Lieferungen von der Ukraine nach Deutschland seien niemals erwogen worden, sagt van Bergen heute. Stattdessen weitete die SBE ihren Anbau auf Weizen aus. Es sei darum gegangen, so van Bergen, das Getreide in der Ukraine anzubauen und zu verkaufen und mit den Einnahmen Brennstoff für die Kraftwerke zu kaufen.

Statt Raps fürs eigene Kraftwerk also Weizen für den Weltmarkt: Mit dem Versorgungsauftrag eines kommunalen Stadtwerks hatte spätestens dieses Geschäftsmodell endgültig nichts mehr zu tun.

"Wir haben uns eine blutige Nase geholt"

In Uelzen musste der bei den Stadtwerken für das Ukraine-Projekt verantwortliche Prokurist unterdessen gehen - ein Bauernopfer, um die Kritiker im Stadtrat zu besänftigen. Der Prokurist fand umgehend eine neue Stelle, 700 Kilometer weiter südlich, bei einer Tochterfirma der Stadtwerke Schwäbisch Hall.

Deren Chef van Bergen macht für die Verluste in der Ukraine lauter Faktoren verantwortlich, auf die das Unternehmen keinen Einfluss habe: Die Behörden in Kiew kassierten von den ukrainischen Tochtergesellschaften die Umsatzsteuer, zahlten sie aber nicht zurück - tatsächlich ein Problem, unter dem alle ausländischen Getreidehändler in der Ukraine leiden. Außerdem hätte die Regierung im Land teilweise ein Exportverbot verhängt und immer neue Steuern auf Agrarrohstoffe erhoben. Auch die grassierende Korruption, räumt van Bergen ein, sei ein Problem gewesen. Allerdings ließe sich die mit ein bisschen Fingerspitzengefühl umgehen: "Da spendet man dann beispielsweise mal etwas für einen Kindergarten."

Dass die politischen Rahmenbedingungen für westliche Investoren in der Ukraine nicht ganz unproblematisch sind, hätte sich allerdings durchaus auch bis nach Uelzen und Schwäbisch Hall herumsprechen können. Van Bergen indes scheint immer noch fest an den Erfolg des Ukraine-Projekts zu glauben: Die Stadtwerke Schwäbisch Hall haben mittlerweile die Dreiviertelmehrheit an der SBE übernommen, van Bergen hat sich zum Geschäftsführer wählen lassen. Ungeduldig ist er allerdings schon: "Acht, neun Monate schaue ich mir das noch an", sagt van Bergen. Wenn es nicht funktioniere, werde die SBE "einer anderen Verwendung zugeführt". Auch van Bergens Amtskollege in Uelzen ist eher skeptisch: "Wir haben uns damals ein Stück weit eine blutige Nase geholt", sagt Markus Schümann heute. "Wichtig ist aber auch in solchen Fällen, dass man daraus lernt."

Nicht einmal auf das Wetter ist in der Ukraine Verlass: Im vergangenen Jahr sorgte der verregnete Sommer für geringere Weizenerträge und damit für weitere Verluste. Für 2012 sind die Ernteprognosen allerdings nochmals deutlich schlechter.

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