Schärferes EU-Klimaziel Deutsche Industrie warnt vor zusätzlicher Belastung

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen plant ein neues Klimaziel: 55 Prozent weniger Emissionen bis 2030. Die Industrie befürchtet "enorme Herausforderungen mit ungewissem Ausgang".
Stahlwerk in Duisburg (Archiv): Wettbewerbsfähige Industrie für den Klimaschutz?

Stahlwerk in Duisburg (Archiv): Wettbewerbsfähige Industrie für den Klimaschutz?

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Oliver Berg / picture alliance / dpa

In ihrer Rede zur Lage der EU kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, dass der CO₂-Ausstoß in der Europäischen Union bis 2030 um mindestens 55 Prozent statt bislang 40 Prozent jeweils im Vergleich zu 1990 reduziert werden soll. Die deutsche Industrie ist darüber äußerst unglücklich.

"Verschärfte Klimaziele engen den Spielraum der von der Coronakrise hart getroffenen Unternehmen weiter ein und belasten sie zusätzlich", teilt der Präsident des Industrieverbands BDI, Dieter Kempf, mit. Er warnte vor einer zusätzlichen Belastung für Unternehmen durch strengere Vorgaben beim Klimaschutz. Der Plan der EU stelle "Wirtschaft und Gesellschaft inmitten der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg vor enorme Herausforderungen mit ungewissem Ausgang".

Von der Leyen zufolge soll bis kommenden Sommer die gesamte Klima- und Energiegesetzgebung der EU überarbeitet werden. Die EU hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein. Das bisherige 2030-Ziel einer Reduktion der CO₂-Emissionen reiche dafür nicht aus.

Unionspolitiker Nüßlein: Plan "mit hohen Risiken"

Die Industrie steht laut BDI-Präsident Kempf "hinter dem Pariser Klimaabkommen", das eine Begrenzung der Erderwärmung auf möglichst unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter vorsieht. Er sagte aber auch, dass "nur eine innovationsstarke und international wettbewerbsfähige Industrie" in der Lage sei, Technologien und Produkte zu entwickeln, die für den Klimaschutz nötig sind.

Die EU müsse sich nun "schleunigst auf einen Instrumentenkasten einigen, der die notwendigen Billionen-Investitionen für die Zielerreichung erreicht und das Gefälle zum Rest der Welt ausgleicht", forderte Kempf. "Es muss darum gehen, die Unsicherheit potenzieller Investoren zu verkleinern", fügte der BDI-Präsident hinzu.

Auch aus der Unionsfraktion im Bundestag kam Kritik an den schärferen Zielen. Fraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) warnte, eine "so drastische Verschärfung" sei für das Industrieland Deutschland "mit hohen Risiken verbunden". Deutschland trage bereits überproportional zum gemeinsamen EU-Ziel bei, es brauche jetzt eine "faire Lastenteilung". Deutschland bewege sich bereits "auf dem schmalen Grat des wirtschaftlich und sozial Verantwortbaren".

Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks, sagte, die deutsche Wirtschaft habe "ein großes Interesse an einer erfolgreichen europäischen und internationalen Klimapolitik". Die von der Kommission auf den Weg gebrachte Verschärfung der Klimaschutzziele sei aber "leider noch keine Wachstumsstrategie für Unternehmen".

Autoindustrie: Soziale Folgen berücksichtigen

Die Betriebe würden durch die strengeren Vorgaben künftig "große Mengen bezahlbarer und klimafreundlicher Energie wie erneuerbaren Strom und CO₂-armen Wasserstoff" benötigen und außerdem "finanzielle Spielräume" für Investitionen in neue Technik und Verfahren. "Für diese Mammutaufgaben gibt es bislang zu wenige praktikable Antworten", sagte Dercks.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) forderte, die EU und die Mitgliedstaaten müssten nun die grundlegenden Voraussetzungen für ein Durchstarten bei alternativen Antrieben und Kraftstoffen schaffen. "Das 'Eine-Million-Ladesäulen-Programm' der Kommission ist bei Weitem nicht ausreichend und müsste massiv aufgestockt werden", so VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Während der Verkauf von Elektrofahrzeugen in der EU von 2017 bis 2019 um 110 Prozent gestiegen sei, habe die Zahl der Ladepunkte im selben Zeitraum nur um 58 Prozent zugelegt.

"Ehrgeiziger Klimaschutz ist richtig", sagte Müller. "Doch bevor die Kommission 2021 einen konkreten Vorschlag vorlegt, sollte sie die Frage beantworten, zu welchen Kosten und mit welchen sozialen Folgen eine weitere Absenkung der CO₂-Grenzwerte in zehn Jahren machbar ist."

Volkswagen begrüßte dagegen die Vorreiterrolle von Europa in Sachen Klimaschutz und hält die Erreichung der nochmals verschärften Klimaziele nach eigenen Angaben für möglich. Man sei mit 33 Milliarden Euro Investment in E-Mobilität bis 2024 sowie 75 projektierten reinen E- und 60 Hybrid-Modellen bis 2029 gut vorbereitet, teilte das Unternehmen mit.

Zur Zielerreichung sei es allerdings wichtig, dass ein schneller und konsequenter Umstieg auf Elektromobilität gelinge: Elektrisches Fahren müsse sich für die Bürger lohnen. Dazu brauche es eine flächendeckende Ladeinfrastruktur, einen schnelleren Umstieg auf erneuerbare Energien und eine deutliche CO2 Bepreisung von 60 Euro pro Tonne CO2 ab 2023.

apr/AFP/dpa
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