EU-Urteil zu Getränkedosen-Zisch Welche Produkte Sie wirklich am Klang erkennen können

Klack... zisch!: Das Geräusch beim Öffnen einer Dose ist markenrechtlich nicht geschützt
Foto: Ute Grabowsky / imago images / photothekDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Knacken, zischen, prickeln: Das Geräusch beim Öffnen einer Dose mit einem kohlensäurehaltigen Getränk kennt jeder. Aber ist es auch schützenswert? An diesem Mittwoch hat das erstinstanzliche Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg entschieden: Nein, ist es nicht (Aktenzeichen: T-668/19).
Geklagt hatte die Ardagh Metal Beverage Holdings, eine deutsche Tochtergesellschaft der auf Getränkeverpackungen spezialisierten Ardagh-Gruppe in Luxemburg. Sie wollte sich das sensorische Erlebnis des Dosenöffnens – das Zischen und Knacken beim Öffnen, die Sekunde ohne Geräusch und das Prickeln von etwa neun Sekunden – für verschiedene Getränke und Behälter aus Metall als Klangmarke schützen lassen. Erstmals hatte das EuG damit zur Eintragung einer im Audioformat dargestellten Hörmarke geurteilt.
Dabei ist die Idee vom Ton als akustischem Aushängeschild einer Marke nicht neu: Schon Anfang des 20. Jahrhunderts nutzte der US-Automobilhersteller Oldsmobile Musik zu Werbezwecken. Das Lied »In My Merry Oldsmobile« prägte 1905 den Zeitgeist und wurde zum stilprägenden Song über die Freiheit des Autofahrens. Auch nach der Übernahme durch General Motors 1908 verwendete die Firma den Jingle noch mehrere Jahrzehnte lang.

Henkell-Werbung: Der geschützte Knall
Foto: HenkellHeute bedienen sich Unternehmen ganz selbstverständlich bei Klängen, Jingles, Rhythmen und Melodien, um ihren Wiedererkennungswert zu steigern, ihre Markenbotschaft emotional nach außen zu tragen und die Wirkung ihrer Slogans zu stärken. Slogans wie »Ich liebe es« (McDonalds) oder »Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt« (Milka). Im Laufe der Jahre entstanden durch diese akustische Markenführung so ikonische Klangfolgen wie Langneses Neunzigerjahre-Hit »So schmeckt der Sommer«, Audis Herzpochen oder der Klingelzeichen-Jingle der Telekom – aber auch kuriose Klangmarken wie das Brüllen des MGM-Löwen, das Knallen eines Sektkorkens bei Henkell, der Erdinger-Weißbierwalzer oder der Sanostol-Kinderchor.

Löwe des Filmstudios MGM: So brüllt sonst keiner
Foto: imago images/Mary EvansTrotz Erfolgsgeschichten wie diesen stützten sich die meisten Firmen noch immer rein auf den visuellen Auftritt, also auf Name/Wortmarke plus Logo/Bildmarke, sagt Ralph Klenke, Markenrechtler aus Hannover. Er schätzt den Anteil seiner Klienten, die sich wegen der Eintragung einer Klangmarke beraten lassen, auf höchstens fünf Prozent: »Leider fehlt vielen Firmen noch das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Klangmarken.« Und das, obwohl die Novellierung des deutschen Markengesetzes am 14. Januar 2019 die Eintragung deutlich erleichtert hat: Seitdem können auch Klänge und Geräusche, die sich nicht in Notenschrift oder als Sonagramm darstellen lassen, beim deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) in München eingetragen werden: Eine digitale Tondatei reicht.
Ist der Weg also frei für speziellere Sounddesigns und kreative Klangmarken, zusammengesetzt aus aufgeschnappten Alltagsgeräuschen wie dem Zischen einer Dose?
Gesucht: der Sound fürs E-Auto
Nein, sagt Klenke. Potenziale sieht er vielmehr bei der deutschen Automobilindustrie und ihrer E-Mobilitäts-Offensive: »Bei Elektroautos fällt das prägende Motorengeräusch weg. Gleichzeitig sind die Hersteller verpflichtet, aus Gründen der Verkehrssicherheit ein Geräusch einzubauen. Wieso also keinen eigenen Sound als Klangmarke für ein Auto anmelden?« Dann würde man schon am Motorengeräusch erkennen, ob gleich ein Mercedes, ein VW oder ein Toyota um die Ecke biegt.
Dass es einmal eine Klangmarke für eine Dose geben wird, glaubt Klenke dagegen nicht. Wie die Luxemburger Richter ist er überzeugt: Das Dosenöffnen sollte freihaltebedürftig bleiben, also nicht extra geschützt werden. Zwar könne der Verpackungshersteller den Öffnungsvorgang durch Form und Größe der Dose maßgeblich beeinflussen und gestalten; aber wohl nicht derart, dass sich das beim Öffnen entstehende Geräusch eindeutig von anderen Herstellern unterscheide.
Ardagh Metal Beverage Holdings hilft das nicht. Die deutsche Verpackungsfirma kann jetzt noch Rechtsmittel zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) einlegen – oder alles daransetzen, die Getränkedose gänzlich neu zu erfinden und das Öffnen zu einem nie dagewesenen sensorischen Erlebnis zu machen.