
Draghi drängt auf Sparkurs-Lockerung Die Rückkehr der Euro-Angst
- • Nullwachstum: So gefährdet ist Europas Wirtschaft
- • Gefährlicher Preisverfall: Wie Deflation entsteht
Jackson Hole ist für Finanzexperten ein klangvoller Name. In dem Tal im US-Bundesstaat Wyoming treffen sich einmal im Jahr Notenbanker und Ökonomen, um über die aktuelle Wirtschaftslage zu diskutieren. Hier leiteten Chefs der US-Notenbank Fed wichtige Richtungswechsel ein, hier wurde frühzeitig vor der jüngsten Finanzkrise gewarnt - allerdings vergeblich.
Das jüngste Treffen in Jackson Hole sorgt derzeit an den Finanzmärkten für Aufsehen. Der Grund ist eine Rede von Mario Draghi, dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Darin warnte Draghi ungewöhnlich deutlich vor fallender Inflation, die in der Eurozone von 2,5 Prozent im Sommer 2012 auf zuletzt nur noch 0,4 Prozent zurückgegangen ist. Er habe diese Entwicklung bislang als vorübergehend bezeichnet, sagte Draghi. Im August seien aber auch längerfristige Erwartungen an die Teuerung "signifikant" zurückgegangen (siehe Grafikstrecke).
Nach Draghis Rede fiel der Euro zu Beginn dieser Woche auf ein neues Jahrestief. Die Äußerungen verstärken eine Sorge, welche bereits mit den schlechten Wachstumszahlen des zweiten Quartals aufgekommen war: Die Eurozone fällt zurück in die Krise. Ihr Wachstum könnte so schwach werden, dass sie in eine Deflationsspirale aus stetig fallenden Preisen gerät.
Ist die Eurokrise also zurück? Geht jetzt alles von vorne los?
Vieles ist anders als vor zwei Jahren
"Eine Rezessionsgefahr besteht, aber wir sind in einer ganz anderen Lage als 2012", sagt Christian Schulz, Ökonom bei der Berenberg-Bank und ehemaliger EZB-Mitarbeiter. Die größte Gefahr drohe derzeit durch die wirtschaftlichen Folgen von Sanktionen gegen Russland. Der Einbruch im zweiten Quartal sei "eher eine temporäre Delle".
Schließlich konnten bisherige Krisenbrennpunkte wie Spanien und Portugal nach schmerzhaften Sparprogrammen wieder bescheidenes Wachstum vermelden, selbst in Griechenland gibt es Hoffnungszeichen. Entsprechend sind auch die Risikoaufschläge für Staatsanleihen der Südeuropäer in den vergangen zwei Jahren deutlich zurückgegangen.
Ein Auseinanderbrechen der Eurozone erwarten Investoren also kaum noch. Doch zumindest auf eine Schwächung der Währung wetteten sie zuletzt wieder verstärkt. Spekulative US-Anleger setzen fast so häufig auf einen sinkenden Eurokurs wie im Juli 2012, als Draghi sein berühmtes Rettungsversprechen abgab (siehe Grafiken).
Damals hatte Draghi versprochen, er werde "alles Notwendige" tun, um den Euro zu retten. Das hatte die Spekulationen auf einen Zerfall der Währungsunion deutlich eingedämmt.
Draghi teilt Sorge vor zu hartem Sparkurs
Doch nun kämpfen mit Frankreich und Italien ausgerechnet zwei der größten Volkswirtschaften Europas mit Wachstumsschwächen. Hier ist der Widerstand gegen den vor allem von Deutschland verfochtenen Sparkurs ausgeprägter als in kleineren Ländern, die sich kaum gegen Reformauflagen wehren konnten. In Frankreich trat gerade erst die Regierung zurück, weil wichtige Minister die Austeritätspolitik ablehnten.
EZB-Chef Draghi, das war seine zweite wichtige Botschaft in Jackson Hole, teilt die Sorge vor einem zu harten Sparkurs. In seiner Rede forderte er "eine wachstumsfreundlichere Gestaltung der Finanzpolitik". Dazu gehörten eine flexiblere Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, eine Verringerung der Steuerlast und ein milliardenschweres Investitionsprogramm, wie es der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits angekündigt hat. "Das ist ein Novum, das hat die EZB so bisher nicht gesagt", so Ex-Notenbanker Schulz.
Doch wie viel Gewicht hat Draghis Botschaft? Zwar kann sich der EZB-Chef nicht direkt in die Tagespolitik einmischen. Er kann der Bundesregierung aber das präsentieren, was viele in Deutschland als Folterwerkzeuge empfinden.
Comeback der Kreditverbriefungen?
Denn noch hat Draghi nicht alle Mittel genutzt, die ihm zur Verfügung stehen. Zwar wurde der Leitzins auf Rekordniveau gesenkt, für Bankeinlagen gilt mittlerweile sogar ein Negativzins. Außerdem lieh die EZB den europäischen Banken insgesamt rund eine Billion Euro, um die Kreditvergabe anzukurbeln.
Die EZB könnte zusätzlich beschließen, in großem Stil Anleihen aufzukaufen, um so die Zinsen weiter zu drücken. Die Notenbanken der USA und von Großbritannien haben ihre Bilanzsummen mit dieser sogenannten quantitativen Lockerung in den vergangenen Jahren bereits gewaltig aufgebläht.
Bei der Bundesbank ist man von solchen Plänen genauso wenig begeistert wie von einem anderen Vorhaben Draghis: Der Italiener will den brachliegenden Markt für Kreditverbriefungen (ABS) wiederbeleben - obwohl ein Teil dieser Finanzinstrumente als Auslöser der jüngsten Krise gelten.
Bundesbankchef Jens Weidmann warnte bereits, ABS-Käufe durch die EZB könnten den Steuerzahlern neue Risiken aufbürden. Ungerührt erklärte Draghi in Jackson Hole jedoch, die Vorbereitungen des ABS-Kaufprogramms schritten "schnell voran". Wenn die Eurostaaten nicht handeln, handelt mal wieder ihre gemeinsame Notenbank: Angesichts dieser Aussichten könnte es auch die Bundesregierung am Ende als kleineres Übel ansehen, anderen EU-Ländern etwas mehr Zeit fürs Sparen zu geben.
Noch scheinen auch US-Anleger das Vertrauen in Europa nicht ganz verloren zu haben. Zwar wetten Hedgefonds und andere Spekulanten derzeit wieder verstärkt auf einen fallenden Euro. Berücksichtigt man jedoch alle Anleger, so setzt eine Mehrheit immer noch auf einen langfristigen Anstieg der Währung.
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Schlange vor einem Arbeitsamt in Madrid: Mit einer Rede im amerikanischen Jackson Hole hat EZB-Chef Mario Draghi die Sorgen vor einer Rückkehr der Eurokrise befeuert.
Mario Draghi: Er warnte bei dem jährlichen Treffen von Notenbankern und Ökonomen ungewöhnlich deutlich vor fallenden Preisen.
Es geht wieder bergab: Der Eurokurs ist in den vergangenen Monaten deutlich gesunken. Zuvor war es seit Juli 2012 überwiegend bergauf gegangen. Damals versprach EZB-Chef Draghi "alles Notwendige" ("whatever it takes") zur Rettung der Gemeinschaftswährung zu tun.
Doppelter Grund zur Sorge: Die Preise in der Eurozone sind seit längerer Zeit auf Talfahrt. Das ist ein Symptom für die schwächelnde Wirtschaft und könnte im schlimmsten Fall zu einer Deflationsspirale führen. EZB-Chef Draghi beunruhigt zudem, dass Anleger auch mit Blick auf die kommenden Jahre zunehmend von fallenden Preisen ausgehen.
Sie sind wieder da: Die neuen Anzeichen für Europas Schwäche rufen US-Spekulanten auf den Plan, die wieder verstärkt auf einen fallenden Euro wetten. Berücksichtigt man jedoch auch andere Anleger, rechnet eine Mehrheit immer noch mit einem Anstieg der Währung.
Dass die Lage bislang nicht annähernd so dramatisch ist wie noch vor zwei Jahren, zeigt auch der Blick auf Staatsanleihen. Die Risikoaufschläge anderer Euroländer im Vergleich zu Deutschland sind stark zurückgegangen. Das gilt auch für Länder wie Frankreich und Italien, die derzeit mit besonders großen Problemen kämpfen.
Doppelter Grund zur Sorge: Die Preise in der Eurozone sind seit längerer Zeit auf Talfahrt. Das ist ein Symptom für die schwächelnde Wirtschaft und könnte im schlimmsten Fall zu einer Deflationsspirale führen. EZB-Chef Draghi beunruhigt zudem, dass Anleger auch mit Blick auf die kommenden Jahre zunehmend von fallenden Preisen ausgehen.
Foto: SPIEGEL ONLINEDoppelter Grund zur Sorge: Die Preise in der Eurozone sind seit längerer Zeit auf Talfahrt. Das ist ein Symptom für die schwächelnde Wirtschaft und könnte im schlimmsten Fall zu einer Deflationsspirale führen. EZB-Chef Draghi beunruhigt zudem, dass Anleger auch mit Blick auf die kommenden Jahre zunehmend von fallenden Preisen ausgehen.
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