EZB-Programm für Unternehmensanleihen Draghis Milliardenspritze für die Mächtigen

EZB-Präsident Mario Draghi
Foto: © Ralph Orlowski / Reuters/ REUTERSRund 100 Milliarden Euro - diese riesige Summe könnte die Europäische Zentralbank (EZB) Schätzungen zufolge bis März 2017 in Unternehmensanleihen aus der Eurozone investieren.
An diesem Mittwoch beginnt die EZB mit dem CSPP (Corporate Sector Purchase Programme) getauften Programm.
Die erhoffte Wirkung zeigte sich bereits kurz nach der Ankündigung im März. Doch mindestens so groß ist die Kritik an dem Programm: Denn profitieren werden wohl vor allem kapitalstarke Großkonzerne, während kleine Betriebe, Pensionsfonds und Sparer zu den Verlierern gehören dürften.
Was aber hat die EZB genau vor? Welche Folgen hat das für Unternehmen, Anleger und die Konjunktur? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was plant die EZB?
Die EZB will die Wirtschaft in Europa mit billigem Geld versorgen. Weil die Kreditvergabe trotz der Niedrigzinsen nicht in Schwung kommt, kauft sie deshalb vom 8. Juni an Unternehmensanleihen, auch Bonds genannt. Anleihen sind Schuldscheine, die Betriebe (und auch Staaten) an Investoren verkaufen und dafür Zinsen versprechen. Je wackeliger ein Unternehmen dasteht, desto mehr Zinsen muss es geben und desto höher ist auch die Rendite für Investoren. Das Ziel der EZB: Die Zinsen der Anleihen drücken, damit sich die Kreditkonditionen der Unternehmen verbessern, die wiederum Investitionen tätigen und damit auch die Konjunktur ankurbeln.
Welche Anleihen werden gekauft?
Die EZB hat Bedingungen für den Kauf erstellt: Das Unternehmen (oder eine Tochterfirma) muss in der Eurozone sitzen, ein gute Bonitätsbewertung (Investment-Grade-Rating) haben, die Anleihe muss eine Restlaufzeit von 6 Monaten bis 30 Jahren haben, eine Rendite über dem EZB-Einlagenzins haben (derzeit minus 0,4 Prozent) und in Euro ausgegeben sein. Pro Anleihe darf die Euro-Notenbank bis zu 70 Prozent des Volumens halten, Bankanleihen sind ausgeschlossen.
Schon am ersten Tag hat die EZB bei Großkonzernen eingekauft: Laut Bloomberg soll die Notenbank beispielsweise Anleihen des Industriekonzerns Siemens , der belgisch-brasilianischen Brauerei AB Inbev und des französischen Autobauers Renault gekauft haben.
Wie werden die Anleihen gekauft?
Die EZB hat angekündigt, Unternehmensanleihen einerseits schon bei der Ausgabe vom Unternehmen direkt zu kaufen, am sogenannten Primärmarkt also, andererseits auch am Sekundärmarkt, wo Anleihen von Investoren gehandelt werden. Anders als bei den Staatsanleihen kaufen nicht die nationalen Notenbanken Anleihen nur aus ihren Ländern, sondern die sechs Notenbanken aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien, Finnland, Italien und sind für je mehrere Länder zuständig, die Bundesbank beispielsweise für Deutschland und die Niederlande.
Wie viel Geld wird die EZB ausgeben und wofür?
Wie viel die EZB investieren wird, hat sie nicht verraten. Die Schätzungen reichen von drei bis zehn Milliarden Euro pro Monat. Welche Unternehmen sie auswählt, gibt die EZB zunächst nicht bekannt, erst am 18. Juli wird sie eine Liste mit den Anleihen veröffentlichen, die sie im Bestand hat. Die Liste soll dann jeden Montag aktualisiert werden.
Beim Kauf wollen sich die Notenbanker am Volumen aller in Europa aufgelegten Anleihen orientieren. Wenn also beispielsweise auf Volkswagen ein halbes Prozent aller neu begebenen Anleihen entfällt, will die EZB auch ein halbes Prozent ihrer Käufe auf VW-Anleihen konzentrieren.
Was bedeutet das für Sparer?
Vor nicht allzu langer Zeit gab EZB-Präsident Mario Draghi den Bürgern einen guten Rat: "Sie müssen ihr Geld nicht nur auf dem Sparbuch anlegen, sondern haben auch andere Möglichkeiten." Damit meinte Draghi neben Aktien auch Anleihen von Unternehmen oder Staaten. Der Haken: Weil die EZB künftig Anleihen von Firmen mit gutem Rating kauft, werden die Zinsen für diese sicheren Anlagen weiter sinken - und sie wird den Markt weitgehend leerkaufen. Privatanlegern, Versicherungen oder Pensionsfonds, die eine ordentliche Verzinsung wollen, bleiben dann nur risikoreichere Investments.
Allein die Ankündigung des Anleihenkaufprogramms im März führte dazu, dass die Renditen vieler Bonds fielen. In einigen Branchen sackten die Risikoaufschläge gleich um die Hälfte ab.
Was sagen Kritiker?
Zum einen befürchten viele die schleichende Enteignung von Privatanlegern, wenn die EZB sichere Anlagen zu großen Teilen vom Markt kauft. Ökonomen kritisieren zudem, das Programm benachteilige gerade die hilfsbedürftigen kleinen und finanzschwachen Betriebe aus Südeuropa. Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) sieht auch für den deutschen Mittelstand einen Wettbewerbsnachteil im Vergleich mit Konzernen: Die Finanzierung über Anleihen sei "für 99 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen kein relevanter Finanzierungsweg", klagt der BVR.
Solvente Großkonzerne können sich dagegen noch günstiger finanzieren als jetzt schon - und damit unter Umständen noch mächtiger werden. Wenn der Pharmakonzern Bayer also Anleihen auflegt, um den US-Saatgutriesen Monsanto zu übernehmen, dürfte die EZB zugreifen. Damit finanziert die Euro-Notenbank den Kauf von Monsanto quasi mit. Für Bayer ist das angenehm - der Deal wird leichter finanzierbar.
Schon kurz nach der Ankündigung des Programms haben daher auch mehrere Konzerne reagiert: So legte auch die (europäische Tochterfirma) der Fastfood-Kette McDonald's gleich drei Anleihen über insgesamt 2,5 Milliarden Euro auf.
Ifo-Präsident Clemens Fuest hält den Direktkauf von Anleihen durch die EZB noch aus einem anderen Grund für problematisch: "Damit besteht die Gefahr, dass marode Unternehmen Anleihen emittieren und sie an die EZB verkaufen." So könnte die Notenbank mit ihrem Programm unsolide Unternehmen vorerst am Leben halten - und im Fall einer Pleite die Investition verlieren.
Eine Gruppe von Wirtschaftsprofessoren und Unternehmern hat wegen der vielen Bedenken beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage gegen das Vorhaben der EZB eingereicht. Eines ihrer Argumente: Verlierer der EZB-Politik könnten wieder einmal die Steuerzahler sein. Denn für das Anleihenkaufprogramm haften auch die nationalen Notenbanken entsprechend ihres Anteils am Kapital der EZB. Im Fall der Bundesbank sind das 27 Prozent.

