Notenbanker Asmussen "Die Zinsen in Deutschland werden steigen"

Bankenviertel in Frankfurt: "Wir stehen besser da als vor zwölf Monaten"
Foto: dapdSeit Monaten leiden die Sparer in Deutschland unter den extrem niedrigen Zinsen. Die Renditen, die die Banken versprechen, liegen meist unterhalb der Inflationsrate. Nun macht der ranghöchste deutsche Zentralbanker Hoffnung auf bessere Zeiten: Die deutschen Mini-Zinsen seien "ein unnormaler Zustand", der sich wieder normalisieren werde, sagt Asmussen im Interview mit SPIEGEL ONLINE.
Für das Gespräch ist Asmussen in den Keller hinabgestiegen - in einen ehemaligen Bunker im Schweizer Alpenort Davos. Im Kongresszentrum darüber traf sich zeitgleich die globale Elite, um beim Weltwirtschaftsforum über Wege aus der Krise zu diskutieren.
Laut Asmussen hat sich die Lage an den Finanzmärkten bereits deutlich verbessert. "Wir sind immer noch nicht wieder im Normalzustand, aber es gibt klare Fortschritte", sagt der Notenbanker. Italienische Banken zum Beispiel hätten in den ersten drei Wochen dieses Jahres in erheblichem Maß unbesicherte Anleihen begeben können. "Sie bekommen also wieder Geld von Investoren." Das sei vor einem Jahr praktisch unmöglich gewesen.
Warum sich die Deutschen laut Asmussen nicht vor der Inflation fürchten müssen und wie die Banken für ihre Abwicklung zahlen sollen, lesen Sie hier im vollständigen Interview:
SPIEGEL ONLINE: Herr Asmussen, Sie waren jahrelang Staatssekretär im Finanzministerium, seit Anfang 2012 sitzen sie nun im Direktorium der EZB. Hat der neue Job ihren Blick auf die Krise verändert?
Asmussen: Ein bisschen. Im Finanzministerium war ich ein europäischer Deutscher, jetzt bin ich eher ein deutscher Europäer. Früher habe ich in Verhandlungen mit Brüssel deutsche Interessen vertreten, heute muss ich zu einer Lösung beitragen, die für Europa passt.
SPIEGEL ONLINE: Ist es als Seitenwechsler schwerer, den alten Kollegen im Ministerium zu sagen, dass sie die Krise gefälligst selbst lösen sollen?
Asmussen: Nein, ich finde es eher leichter - weil man die Funktionsweise und die Denkweise der anderen Seite kennt.
SPIEGEL ONLINE: In den vergangenen Monaten mehren sich die positiven Nachrichten von den Finanzmärkten. Ist die Krise überstanden oder wurde sie nur mit viel Geld aus der EZB zugedeckt?
Asmussen: Wir stehen heute auf jeden Fall besser da als vor zwölf Monaten. Das größte Risiko für das laufende Jahr ist, dass sich alle zurücklehnen und nichts mehr tun.
SPIEGEL ONLINE: Seit EZB-Chef Mario Draghi verkündet hat, notfalls unbegrenzt Anleihen der Krisenländer aufzukaufen, haben sich die Finanzmärkte erholt. Aber das ist ja keine fundamentale Verbesserung, sondern lediglich die Hoffnung auf immer mehr Geld.
Asmussen: Es hat auch fundamentale Verbesserungen gegeben. Italien hat mittlerweile einen Primärüberschuss, das heißt, der Staat nimmt dort mehr ein als er ausgibt - wenn man die Zinszahlungen rausrechnet. Und Griechenland hat in den vergangenen drei Jahren sein Defizit um neun Prozentpunkte verringert.
SPIEGEL ONLINE: Die schärfste Waffe im Kampf gegen die Krise bleibt aber das Anleihenkaufprogramm. Bisher haben Sie nur damit gedroht. Werden Sie das Programm in diesem Jahr auch anwenden?
Asmussen: Wir kaufen derzeit keine Anleihen. Die Option, das Programm zu aktivieren, ist da. Doch dafür gelten Bedingungen. So muss sich ein Land einem harten Anpassungsprogramm des Rettungsfonds ESM unterwerfen.
SPIEGEL ONLINE: Die EZB finanziert durch Anleihekäufe Staatshaushalte und nimmt den Regierungen die Arbeit ab. Ist das wirklich die Aufgabe einer Notenbank?
Asmussen: Wir agieren innerhalb unseres geldpolitischen Mandats und wir finanzieren auch keine Staaten. Das Programm ist dazu da, den gestörten Geldkreislauf zu beheben. Der Leitzins, den die EZB vorgibt, kommt in den Mitgliedstaaten nicht mehr oder nur sehr unterschiedlich an.
SPIEGEL ONLINE: Ist die Lage wirklich noch so schlimm?
Asmussen: Wir sehen leichte Verbesserungen. Die Finanzmärkte waren lange Zeit stark fragmentiert. Das heißt: Anleihen bestimmter Staaten wurden oft nur noch von heimischen Banken gekauft. Das hat sich geändert. Wir sind immer noch nicht wieder im Normalzustand, aber es gibt klare Fortschritte.
SPIEGEL ONLINE: Welche?
Asmussen: Italienische Banken zum Beispiel haben in den ersten drei Wochen dieses Jahres in erheblichem Maß unbesicherte Bankanleihen begeben können. Sie bekommen also wieder Geld von Investoren - und zwar auch von außerhalb Italiens. Das war vor einem Jahr praktisch unmöglich.
SPIEGEL ONLINE: Das viele Geld, das die EZB in den Finanzmarkt pumpt, wird irgendwann auch in der Wirtschaft ankommen. Droht uns dann Inflation?
Asmussen: Nein. Alle Prognosen zeigen, dass in diesem Jahr in der Euro-Zone die Inflation unter zwei Prozent sinken wird. Und auch in den nächsten Jahren ist keine große Abweichung davon zu erwarten. Wir haben in der Tat Zentralbankgeld geschaffen, aber die Geldmenge, die wirklich in der Wirtschaft zirkuliert, wächst nur sehr langsam. Das Geld kommt dort nicht an. Und so lange das so bleibt, kann auch kein Inflationsdruck entstehen.
SPIEGEL ONLINE: Aber je mehr sich die Lage an den Finanzmärkten verbessert, desto eher wird das Geld in den Wirtschaftskreislauf gelangen.
Asmussen: Sie können sicher sein: Wenn wir auch nur Anzeichen von steigendem Inflationsdruck sehen, werden wir handeln.
SPIEGEL ONLINE: Die EZB hält die Leitzinsen seit langem extrem niedrig. Für Sparer ist das ein riesiges Problem. Sie verlieren jedes Jahr Geld, weil die Zinsen der Banken unterhalb der Inflationsrate liegen. Sehen Sie sich da als Notenbank in der Verantwortung?
Asmussen: Unser Ziel sind stabile Preise. Wir sehen die Sorge der Sparer. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Politik, indirekt dazu beiträgt, die Lage wieder zu normalisieren. Dass die Zinsen am Markt gerade in Deutschland so niedrig sind, liegt ja nicht nur am Leitzins. Es liegt auch daran, dass Kapital und Ersparnisse nach Deutschland gebracht werden, weil das Land als sicherer Hafen gilt. Je mehr es gelingt, Europa wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen, desto mehr wird sich die Situation entspannen. Und das wird sich dann auch in den Zinsen für Sparer niederschlagen.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt, die Zinsen am Markt werden steigen?
Ja. Wir haben heute die Situation, dass der Bund für eine Anleihe mit zehn Jahren Laufzeit teilweise weniger als 1,5 Prozent Zinsen zahlen muss. Das ist schon ein unnormaler Zustand. Und der wird sich wieder normalisieren.
SPIEGEL ONLINE: Ohne die Hilfen der EZB wären viele Banken in Südeuropa schnell pleite. Dennoch fehlt auch mehr als fünf Jahre nach der Finanzkrise noch immer ein funktionierendes Konzept für den Umgang mit maroden Großbanken. Warum?
Asmussen: Das Thema ist sehr komplex - insbesondere, wenn man grenzüberschreitend handeln muss.
SPIEGEL ONLINE: Was genau meinen Sie damit?
Asmussen: Es wird immer gefordert, Banken, die in Schwierigkeiten geraten sind, geordnet abzuwickeln. In der Praxis heißt das: Sie haben ein Wochenende Zeit, das zu tun. Das ist bei einem großen Institut, das grenzüberschreitend tätig ist, aber gar nicht so einfach. Die Deutsche Bank etwa besteht aus mehr als 6000 rechtlichen Einheiten. Das Beispiel zeigt: Die Aufgabe ist nicht ganz trivial. Das heißt aber nicht, dass man sie nicht angehen sollte.
SPIEGEL ONLINE: Was schlagen Sie vor?
Asmussen: Wenn wir ab dem kommenden Jahr eine europäische Bankenaufsicht haben, sollten wir auch einen europäischen Mechanismus aufbauen, mit dem wir große Banken grenzüberschreitend geordnet abwickeln können. Dazu brauchen wir einen Fonds, der durch Beiträge der Banken finanziert wird. Das gehört zusammen. Nur eine europäische Aufsicht reicht nicht aus für eine Bankenunion.
SPIEGEL ONLINE: Soll dieser Fonds beim Bankenrettungsfonds ESM angesiedelt sein?
Asmussen: Aus meiner Sicht wäre das eine gute Lösung. Der ESM ist die erste Institution, die sich die 17 Euro-Länder gemeinsam geschaffen haben. Das ist ein Quantensprung. Wenn wir die europäische Integration vorantreiben wollen, wäre es logisch, auch den ESM weiter auszubauen.
SPIEGEL ONLINE: Damit würden die Euro-Länder noch stärker von den Nicht-Euro-Ländern in der EU abkoppeln. Dem britischen Premierminister David Cameron dürfte das nicht gefallen.
Asmussen: Als Notenbanker kann ich die Äußerungen eines Regierungschefs nur sehr zurückhaltend kommentieren. Aber ich glaube, der Kern der Integration ist die Euro-Zone.
SPIEGEL ONLINE: Sollte Großbritannien aus der EU austreten?
Asmussen: Ich würde es gut finden, wenn die Briten dabeiblieben. Die EU und Großbritannien sind dann stärker. Aber Voraussetzung ist natürlich, dass man auch voll und ganz dabeibleiben will.