Facebook-Aktion nach Corona-Grenzschließung Spargelstecher fehlen? Nicht am Bodensee

Spargelstecher auf einem Feld in Süddeutschland (Archivbild): Spargelstecher werden bundesweit gesucht
Foto:CHRISTOF STACHE/ AFP
Früh in der Woche wurde klar, dass die Erntehelfer aus Polen und Rumänien auf absehbare Zeit nicht kommen würden. Die Grenzen in Österreich und Ungarn sind im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus geschlossen, ihnen ist der Weg nach Deutschland abgeschnitten. Wie lange, ist unklar.
Sorgenvoll blickten die Bodensee-Bauern auf ihre folienbedeckten Spargelfelder. Und auf ihre Erdbeerpflanzungen. Und die Hopfenfelder.
Sie wussten, es würde ungewöhnlich warm werden in diesen Tagen, 17 Grad mindestens. Der Spargel würde nur so abgehen. Und dann muss er in kurzer Zeit raus. Sonst werden erst die Spitzen blau, und schließlich verfault er.
Eine Gruppe Junglandwirte, die sich schon vor geraumer Zeit rund um Tettnang im Bodenseekreis zusammengefunden hatte, beratschlagte - und beschloss, einen Aufruf auf ihrer Facebook-Seite zu machen. Es gab ja nichts zu verlieren.
Am Dienstagmorgen posteten sie ihren Hilferuf: "Wir brauchen dich/Sie! Lust auf Kontakt mit Mutter Erde? - wir suchen dringend HELFENDE HÄNDE!"

Screenshot von der Facebook-Seite vom 18. März
Foto: Bodensee-Bauern/ FacebookDas Foto zeigt eine Spargelpflanzung, die ersten Köpfe waren bereits zu sehen. Darunter erklärten die Landwirte ihre Misere: "Unsere Erntehelfer*innen werden aufgrund der aktuellen Situation nicht in dem Umfang kommen können, wie wir sie benötigen. Das bedeutet in erster Konsequenz, dass wir unseren Spargel nicht gestochen, unsere Hopfen nicht an den Draht bekommen und unsere/Eure Erdbeeren vielleicht nicht ernten können."
Ob wohl jemand bereit sei, zu helfen? Studenten, Rentnerinnen, Hausfrauen und -männer, ob halbtags oder Vollzeit, auch stundenweise, jeder, der will, sollte sich melden, mit Angabe des Wohnortes.
P.S. Natürlich erfolge die Arbeit gegen Entlohnung.
Mehr als 17.000 Mal geteilt
Die Bauern warteten gespannt. Aber nicht lange. Dann wurden sie überrannt. Rund 700 Kommentare stehen nun unter ihrer Anzeige, mehr als 17.000 Mal wurde sie geteilt - und Hunderte von Freiwilligen meldeten sich. 24 Stunden nach Beginn der Aktion versuchten die Bauern, den Ansturm in Bahnen zu lenken. "Niemals hätten wir mit so einer Welle der Hilfsbereitschaft gerechnet. Wir können dafür gar nicht genug DANKEN!", posteten sie auf Facebook.
"Damit die Welle uns nicht wegreißt und die Vermittlung zu unseren Kolleginnen und Kollegen auch klappt, arbeiten wir gerade fieberhaft an einer Lösung, Eure Rückmeldungen zu verarbeiten. Daher die DRINGENDE BITTE: Wartet mit Euren Bewerbungen noch, bis wir den Link zur Datenbank hier einstellen."
Auf frische Erdbeeren will keiner verzichten
Deutschland ist im Corona-Fieber, aber über Rückenschmerzen macht sich offenbar kaum einer mehr Sorgen. Dem Virus scheint zu gelingen, woran bisher alle scheiterten: Die verhärteten Fronten zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft etwas aufzuweichen. Auf frische Erdbeeren will dann doch keiner verzichten.
Die große Hilfsbereitschaft freut Josef Nuber. Er ist Geschäftsführer der Selbsthilfeorganisation Maschinenring Tettnang, bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Seine Kollegen erstellen gerade ein Computerprogramm, wo sich Freiwillige eintragen können. Der Ring organisiert dann die Verteilung auf die naheliegendsten Höfe.
"Uns ist mit jeder Hand geholfen", sagt er. Denn nicht nur der Spargel muss gestochen werden, auch die Erdbeeren reifen langsam aber sicher vor sich hin. Und wenn man nicht jetzt die sieben Meter langen Drähte für den Hopfen anlegt, ist die schnellwüchsige Pflanze nicht mehr zu bändigen. "Drähte stupfen" heißt das auf Schwäbisch, und bald müssen die vielen hundert Triebe auf je drei bis vier abgeschnitten werden. Sonst wird das nichts mit dem Bier.
"Es ist zu riskant, darauf zu hoffen, dass die Fremdarbeiter wieder kommen dürfen", sagt Naber. Deshalb der Plan B. "Wir hatten gehofft, dass manche, die nicht mehr arbeiten dürfen, sich melden." Aber mit solch einem Ansturm hat niemand gerechnet.
Stundenlohn auf Mindestlohnniveau
Dabei geht es den meisten Freiwilligen nicht ums Geld verdienen. Doch das ist den Bauern wichtig: Keiner arbeitet umsonst. Mehr als der Mindestlohn ist allerdings nicht drin.
Es sind Alte und Junge, Männer und Frauen aus der Gegend und von weit weg, die sich melden. Ein Rennfahrer aus Ravensburg, eine Mutter, die ihre Kinder gleich zum Helfen mitbringen möchte. Eine arbeitslose Postbotin aus der Schweiz, die hofft, dass sie kommen kann. Ihr Großvater sei Landwirt gewesen, sie wisse, in welcher Klemme die Bauern zurzeit stecken. Und weil sie Zeit hat, will sie helfen.
Die Hilfsbereitschaft scheint nicht politisch motiviert, steht nicht im Zusammenhang mit den Bauernprotesten. Die Bodensee-Bauern haben sich zusammengeschlossen, um regional und nicht industriell zu produzieren; sie befürworten, weniger Pestizide einzusetzen und kämpfen für Artenschutz und Bienen, sind aber gegen ein Volksbegehren für Bienenschutz, wie es derzeit formuliert und in Bayern bereits durchgesetzt ist.
Auch die Bodensee-Bauern befinden sich im Umbruch, inmitten in der Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und existenziellen Produktionsbedingungen. Doch momentan spielt das keine Rolle. "Aktuell ist Politik und Meinung nicht unser Thema, sondern wir sind alle gemeinsam gefordert, die noch nie dagewesene Herausforderung solidarisch zu bewältigen und unsere Ernährung zu sichern." Für Hetze jeglicher Art sei auf dieser Plattform kein Raum.
Mit Spannung darf nun erwartet werden, wie die Aktion "Grüne Hände" von "Land schafft Verbindung" anläuft. Das ist die Graswurzelbewegung, die die bundesweiten Bauernproteste und Treckerdemos organisiert, eine heterogene Gruppe von Landwirten jeglicher Couleur, von denen viele am althergebrachten System und der Subventionierung der Landwirtschaft festhalten wollen. Sie haben am Dienstag alle Bürger aufgerufen, sich bei ihrem lokalen Landwirt zu melden und, wenn nötig, bei Einsaat und Ernte zu helfen. "Lassen Sie uns gemeinsam die Chance zum solidarischen Handeln nutzen", heißt es im Aufruf, und die persönlichen Belange hinten anstellen. Die deutschen Landwirte seien bereit dazu.