Thomas Fricke

Ifo, Wirtschaftsweise & Co. Wir leiden am Maaßen-Prinzip

Erst wackelige Thesen aufstellen - und dann prima wegkommen. Das kennen wir bisher weniger von Verfassungsschutzchefs als von Deutschlands Ökonomiepäpsten. Und das ist viel schlimmer.
Ökonom Hans-Werner Sinn

Ökonom Hans-Werner Sinn

Foto: Maxim Sergienko

Sicher kann man darüber streiten, ob das so schlimm war, was unser armer Verfassungsschutzchef kürzlich so dahingesagt hat. Die Sache mit dem gefälschten Video, das offenbar doch nicht gefälscht war. Richtig glücklich war die Äußerung nicht, eher eine ziemlich wackelige These. Jedenfalls nicht so glücklich, dass es dafür gleich eine Beförderung zum Staatssekretär hatte geben müssen.

Maaßen ist mit einer wackeligen These, die sich nicht belegen lässt, überraschend gut weggekommen. Viele finden das ärgerlich, aber das Prinzip ist gar nicht so neu. Zumindest im Berufsfeld der wirtschaftspolitischen Beratung. Da scheint das sogar üblich.

Hans-Georg Maaßen, Noch-Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz

Hans-Georg Maaßen, Noch-Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz

Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpa

Dass jemand mit wackeligen Thesen gut wegkommt, kennen wir dabei eher aus einem anderen Bereich: von unseren Ökonomen. Egal, was Päpste der vorherrschenden Wirtschaftslehre wie Hans-Werner Sinn so alles schon falsch oder zumindest wackelig diagnostiziert haben - so richtig geschadet scheint es den großen Weisen nicht zu haben. Zumindest nicht im persönlichen Werden. Im Gegenteil.

Dabei haben uns diese Auguren wegen so mancher Mutter aller Krisen, die angeblich bevorstehe, kirre gemacht, ohne dass diese Krisen dann gekommen wären. Dafür haben diese Ökonomen eigentlich keine der echten großen Krisen der vergangenen Jahrzehnte kommen sehen. Oder nennenswert dazu beigetragen, sie zu verhindern.

Überall Unsinn

Zu den großen Fehldiagnosen deutscher Mainstream-Ökonomie zählt im Rückblick das Gezeter zu Urzeiten der Agenda 2010. Damals waren die Deutschen als Exportnation angeblich existenziell bedroht, weil viel zu teuer, sozial verwöhnt und überhaupt träge - die damalige Lieblingsthese von Topkrisenprophet Sinn.

Zu der Zeit war Deutschland in Wahrheit schon wieder Exportweltmeister. Nie stiegen die deutschen Verkäufe in die Welt so stark wie zu dieser Zeit des angeblichen Niedergangs. Eine Groteske.

Kein Wunder, wenn kurz darauf auch so gut wie kein großer hiesiger Ökonomiedenker prophezeite, dass Deutschland 2006 zu einem langen Aufschwung starten würde. Das versuchten die Sinns damals noch lange kleinzunörgeln. Bis sie die Besserung nachträglich dann zum Erfolg der Agenda 2010 umdeuteten, dafür dann aber die Finanzkrise samt anschließender Eurokrise nicht kommen sahen.

Zu den weniger großen Taten gehört auch, wie lange so mancher Altökonom vor lauter Schöne-Markt-Romantik davor warnte, dass in der Eurokrise die Notenbank eingreift und die Währung sichert. Was Mario Draghi im Sommer 2012 trotzdem einfach machte. Und was mittlerweile selbst bei den Warnern hierzulande als Rettung gilt.

Was haben uns die Gelehrten des Marktes verrückt gemacht, als in Deutschland ein Mindestlohn eingeführt werden sollte. Da schien das Land wieder am Abgrund . Was sich erneut als Fehlmeldung erwies. Von Jobkrise keine Spur. Im Zweifel hat der Mindestlohn sogar zu mehr Beschäftigung geführt, da seitdem in Deutschland wieder mehr Geld zum Ausgeben da ist. Und das ist wiederum gut für die Wirtschaft.

Dagegen blieben Warnrufe aus, als sich in den vergangenen Jahren abzeichnete, dass der viel gepriesene freie Welthandel mit seiner Billigkonkurrenz eben doch gelegentlich frustrierte Verlierer mit sich bringt. Also Leute, die, wie Studien mittlerweile belegen, dann Donald Trump wählen. Oder AfD. In den Lehrbüchern steht, dass der Handel per Saldo gut ist, weil es mehr Gewinner als Verlierer gibt. Nur: Das tröstet die Verlierer ja nicht.

Jahrelang wurde uns von Meinungsführern der Zunft eingetrichtert, dass wir uns demütig verzichtbereit auf den demographischen Niedergang einrichten sollten. Jetzt müssen Wohngipfel her, weil die Propheten nicht damit gerechnet haben, dass besagter Niedergang in einer stetig wachsenden Wirtschaft nicht so schnell geht , es in besseren Zeiten total überraschend mehr Geburten gibt und mehr Leute zu uns kommen.

Eigentlich gibt es kein großes Drama dieser Tage, vor dem uns unsere Großökonomen schon Jahre vorher gewarnt hätten - weder Wohnungsnot, noch Reichtumsgefälle, noch Unmut der Mittelschicht, noch Protektionismus als Folge großer wirtschaftlich-sozialer Brüche.

Kritik an deutschen Handelsüberschüssen - eine globale Verschwörung?

Jetzt könnte man meinen, die betreffenden Auguren wären in ihren Spitzenjobs bei dieser Bilanz mal durch Leute ausgewechselt worden, die vielleicht nicht so oft daneben lagen oder lernbereiter sind.

Nicht wirklich.

  • Hans-Werner Sinn blieb trotz all der Fehldiagnosen Ifo-Chef, bis er nach Satzung altersbedingt ausschied - und gilt bei Polit-Leuten selbst zweieinhalb Jahre danach noch als zweitwichtigster Ökonom im Land, wie die "Frankfurter Allgemeine" ermittelte.
  • Der Chef der glorreichen Wirtschaftsweisen, Christoph M. Schmidt, übt sein Amt als Sachverständiger seit fast zehn Jahren aus - ohne erkennbar größere Selbstzweifel. In den Rat wurden seit der verkannten Jahrhundertkrise auch keine Leute berufen, die durch Kritik am alten Märkteglauben aufgefallen wären.
  • Sinns Nachfolger beim Ifo, Clemens Fuest, wirkt gelegentlich wie Sinn light.
  • Und wenn neue Führungsposten zur Beratung der Politik zu vergeben sind, wie jüngst der Chefsitz des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, drängt sich alles auf, nur nicht das Gefühl, dass da jetzt mal einer was ganz Neues versucht. Der Neue, Gabriel Felbermayr, kommt vom Ifo - ach! - und hat schon kundgetan, dass er Kritik an deutschen Handelsüberschüssen eher als globale Verschwörung gegen uns einstuft.

"Es ist nicht mehr zu bestreiten, dass das britische Wirtschaftsmodell ungerecht ist"

Es geht auch anders. In Großbritannien sorgte vor zwei Wochen eine Kommission für Schlagzeilen, der Zehn-Punkte-Plan einer Kommission für Schlagzeilen, in der Topvertreter etlicher gesellschaftlicher Gruppen von Akademikern über Konzernchefs bis hin zum Erzbischof für eine "neue Wirtschaft" warben. Das Ziel: weg von der Thatcher-Doktrin. "Dass das britische Wirtschaftsmodell ungerecht ist, galt kürzlich noch als radikaler Befund; heute ist das nicht mehr zu bestreiten", schrieb daraufhin der "Guardian".

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In Deutschland melden führende Ökonomen noch Zweifel an, ob es hierzulande überhaupt ungerecht zugeht - oder die Leute nicht mal bitte schön zufrieden sein müssten.

Derart wackelige Diagnosen haben das Potenzial, eine Menge Schaden anzurichten. Das Gebarme über den Exportniedergang der 2000er-Jahre dürfte stark dazu beigetragen haben, dass Deutschlands Wirtschaftspolitik viel zu lange darauf gesetzt hat, unseren Wohlstand vor allem auf Geschäfte im Ausland zu bauen. Heute hängt die Wirtschaft viel zu einseitig vom Export ab - und jetzt gibt es einen US-Präsidenten, der mit Zöllen kontert.

Der marktgläubige Widerstand gegen akute Hilfen in der Eurokrise dürfte dazu beigetragen haben, dass die Panikspirale derart eskalierte. Und ohne die altökonomischen Grundsatzbedenken hätte es in Deutschland vielleicht auch früher schon einen Mindestlohn gegeben - und weniger besorgte Bürger, die sich in ihren Jobs ausgenutzt fühlen.

Die nächste Krise kommt bestimmt. Im Moment spricht nicht viel dafür, dass die Auguren diesmal eine bessere Figur machen. Wir leiden am Maaßen-Prinzip.

Höchste Zeit für neue Denker. Es gibt genug davon.

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