Piëch vs. Winterkorn Zukunft im Zeichen der Guillotine

Piëch vs. Winterkorn: Zukunft im Zeichen der Guillotine
Foto: FABIAN BIMMER/ REUTERSBerlin - Martin Winterkorn ist nicht für seine Soft Skills bekannt. Der Volkswagen-Chef steuert den 600.000-Mitarbeiter-Konzern mit harter Hand und der Akribie des promovierten Ingenieurs. Im Jahr 2011 ließ Winterkorn sich auf der IAA dabei filmen, wie er seinen Designer Klaus Bischoff zusammenfaltete. Ihn hatte erzürnt, dass sich das Lenkrad beim Hyundai i30 leichter verstellen ließ als bei den eigenen Modellen. "Warum kann's der?", fragte Winterkorn mehrfach in vorwurfsvollem Schwäbisch.
Doch es gibt einen, der selbst den VW-Chef in Sachen Herzenswärme locker unterbietet: Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch holte Winterkorn vor Jahrzehnten als Assistenten, lange galten die beiden als Vertraute. Am Freitag aber sagte Piëch dem SPIEGEL: "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Bis dahin hatte Winterkorn als sicherer Nachfolger von Piëch als Aufsichtsratschef gegolten. Jetzt sendet Piëch die kaum verschlüsselte Botschaft: Der kann's nicht, der wird's nicht.
Nun ist der Machtkampf bei Volkswagen voll entbrannt. Wie wird er ausgehen? Drei Blicke in die Zukunft.
Szenario Eins: Piëchs letzter Triumph
Ferdinand Piëch hat in seiner Karriere jede größere Fehde gewonnen. Schon Winterkorns Vorgänger Bernd Pischetsrieder wurde von ihm demontiert. Im Zuge der VW-Affäre bezeichnete Piëch die Vertragsverlängerung des damaligen Konzernchefs in einem Interview als "offene Frage". Nachdem Pischetsrieder abtreten musste, erklärte Piëch, er habe leider "den Falschen gewählt" und diesen Fehler nun "korrigiert".
Im aktuellen Machtkampf könnte sich die Geschichte wiederholen, und so könnte es ablaufen: Die öffentliche Distanzierung beschädigt Winterkorn. Probleme des Konzerns wie das schleppende US-Geschäft oder die vergleichsweise hohen Produktionskosten werden zunehmend dem Konzernchef angelastet. Bei der Hauptversammlung kommt es am 5. Mai in Hannover zu Wortgefechten, Piëch und Winterkorn vermeiden auf dem Podium jeden Blickkontakt. Wenige Wochen später erklärt Winterkorn seinen Rücktritt.
Piëch kann nun wie angekündigt seine Erben an Vorstands- und Aufsichtsratsspitze auswählen. Im SPIEGEL hatte er bereits angekündigt, beide müssten einen Hintergrund als Techniker haben und befänden sich bereits im Konzern. Neuer VW-Chef wird der gelernte Werkzeugmacher und Informatiker Matthias Müller, bisher Chef von Porsche. Müller hatte zwar Anfang 2015 noch erklärt, er sei zu alt, um Winterkorn zu beerben. Dessen aktueller Vertrag läuft bis Ende 2016. Müller wäre dann 63.
Doch Piëch, derzeit 77, überzeugt Müller mit Verweis auf sein eigenes Alter und Winterkorns vorzeitigen Rücktritt. Neuer Aufsichtsratschef wird der langjährige Finanzvorstand und Wirtschaftsingenieur Hans Dieter Pötsch.
Weitere mögliche Kandidaten für den Vorstandsvorsitz: VW-Lkw-Chef Andreas Renschler oder der ehemalige BMW-Vorstand Herbert Diess, der vom Sommer an die Marke VW leiten soll.
Szenario Zwei: Winterkorns erfolgreicher Widerstand
Schon die ersten Reaktionen nach seiner Distanzierung von Winterkorn deuten es an: Diesmal hat sich Ferdinand Piëch womöglich verzockt. Noch am Wochenende stellten sich der Betriebsrat und das Land Niedersachsen als zweitgrößter Aktionär hinter Winterkorn. Noch gravierender: Die Familie Porsche bezeichnet Piëchs Äußerungen als nicht abgestimmte "Privatmeinung". Gegen die Porsches aber kriegt Piëch im Aufsichtsrat nichts durch, die beiden Familien Porsche und Piëch haben sich vertraglich zu einstimmigen Voten verpflichtet.
Erst recht nicht nachweisen lässt sich Winterkorn jene "grobe Pflichtverletzung" oder Unfähigkeit zur "ordnungsmäßigen Geschäftsführung", welche laut Aktiengesetz eine Abberufung ermöglichen würden.
Und so könnte es weitergehen: Piëch versucht in Reden und Hintergrundgesprächen noch einige halbherzige Sticheleien gegen Winterkorn. Doch 2017 tritt der Patriarch als Aufsichtsratschef ab und wird tatsächlich von Winterkorn beerbt. Sein einstiger Protegé habe sich "besonders in den vergangenen zwei Jahren bewährt", erklärt Piëch gönnerhaft bei seinem letzten Auftritt. Winterkorn revanchiert sich mit der Aussage, Piëchs Leistung für VW werde "niemand je überbieten können".
Szenario Drei: Peinliches Patt
In Winterkorn hat Piëch seinen Meister gefunden - und umgekehrt. Der vom VW-Patriarchen begonnene Machtkampf könnte so zum Dauerzustand werden. Die möglichen nächsten Schritte: Piëch korrigiert Winterkorn öffentlich, weil der bei einer Rede Quer- und Längsbaukasten von VW durcheinandergebracht hat. Im Gegenzug tauchen erneut Gerüchte über den Gesundheitszustand von Piëch auf. Dieser wiederholt seine frühere Drohung, den Urheber zu "guillotinieren", fügt aber hinzu, der Verantwortliche sei offenbar "zu feige fürs Schafott".
Der Streit zwischen Piëch und Winterkorn behindert wichtige strategische Entscheidungen des Konzerns, Probleme in Übersee verschärfen sich. Aktionärsschützer klagen über den fallenden Aktienkurs, was die Streithähne aber wenig zu beeindrucken scheint.
Winterkorn erfüllt seinen Vertrag zu Ende, zieht sich anschließend aber in seine Münchner Villa zurück. Piëch verzichtet angesichts des geballten Widerstands von Arbeitnehmern, dem Land Niedersachen und der Familie Porsche auf eine erneute Kandidatur. An seinem letzten Arbeitstag geht ein kollektiver Seufzer der Erleichterung durch Wolfsburg.