Finanzkrise US-Immobilienmarkt droht der nächste Schock

Die USA stecken noch mitten in der Immobilienkrise, da droht bereits die nächste: Der Kongress befürchtet ein gigantisches Schuldenloch von 1,4 Billionen Dollar bei den gewerblichen Bauten. Der kippende Markt könnte auch deutschen Banken schweren Schaden zufügen.
"Das ultimative Luftschloss": Der "One Madison Park" (Turm zwischen Statue und Gebäude mit erleuchteter Kuppel)

"Das ultimative Luftschloss": Der "One Madison Park" (Turm zwischen Statue und Gebäude mit erleuchteter Kuppel)

Foto: Mario Tama/ Getty Images

Ira Shapiro und Marc Jacobs waren mal dicke Freunde und Geschäftspartner. Dann kam die Immobilienkrise. Jetzt sind sich die beiden New Yorker gar nicht mehr freundlich gesonnen.

Ende 2005 kauften die Bauunternehmer ein Grundstück im Flatiron District Manhattans, gleich gegenüber vom Madison Square Park. Darauf errichteten sie für 200 Millionen Dollar einen schmalen, 190 Meter hohen Turm: 60 schwindelerregende Etagen, 70 Luxusapartments aus Glas. Lobby, Sportstudio, Spa, Hauskino, Restaurant, Weinkeller, alles entworfen von Stardesigner Rem Koolhaas. Verkaufsslogan: "Das ultimative Luftschloss."

Ein Luftschloss ist "One Madison Park" bis heute - zumindest für die Bauherren. Als die Krise einbrach, blieben die meisten der Wohnungen unverkauft. Die Bank verlor die Geduld, nun hat ein Konkursverwalter das Sagen. Hinzu kamen mehr als ein Dutzend Klagen. Auch Shapiro und Jacobs bekämpfen sich vor Gericht. "Es ist ein totales Desaster", sagt ein betroffener Makler zu SPIEGEL ONLINE.

Der Himmelssturm der zwei Finanzhaie ist zum "Mahnmal für die fahrlässige Hybris der großen Rezession" geworden, schreibt der "New York Observer".

Ein Mahnmal, das den New Yorkern dauerhaft erhalten bleiben wird. Nicht nur als Souvenir der Krise, sondern auch als Warnung, dass diese Krise noch nicht vorbei ist - während die nächste bereits droht. Zwar tun alle so, als sei nichts gewesen: Seit dieser Woche vermarktet die Maklerfirma Prudential Douglas Elliman das "Madison" wieder als "einmalige Chance, ein Teil der Geschichte zu werden" - als habe es die trübe, jüngste Geschichte nie gegeben.

Droht ein neuer Crash?

Doch das Schlimmste ist längst nicht überstanden, warnen Experten, weder für das "Madison" noch den Rest der Baubranche: Der US-Immobilienmarkt, der sich bis heute nicht erholt hat, stehe bereits vor den nächsten Schocks. Die Sorgen gelten dabei beiden Segmenten der Branche, Wohnimmobilien wie gewerblichen Immobilien. Beiden drohen aus verschiedenen Gründen neue, potentiell dramatische Einbrüche - womöglich auch mit Konsequenzen für Deutschland.

Zwar boomen die US-Börsen wieder, trotz des kurzen Goldman-Sachs-Knicks der vorigen Woche. Zwar machen die Wall-Street-Banken wieder Rekordgewinne: JPMorgan Chase, Bank of America, die Citigroup, die am Montag 4,4 Milliarden Dollar Quartalsgewinn vermeldete.

Aber die Anzeichen für einen neuen Crash sind da - manche versteckt unter der Oberfläche, andere offen sichtbar, wenn auch oft ignoriert.

Das beginnt bei den Banken. Die Betrugsklage der US-Börsenaufsicht SEC gegen Goldman Sachs hat neue Schatten auf die Finanzwelt geworfen, mit globalen Implikationen auch für die Immobilienmärkte. Schon ermittelt die SEC gegen weitere Großbanken. Im Visier stehen deren "exotische" Hypothekenkreditprodukte - riskante, vom Immobilienmarkt abhängige Deals, die die letzte Krise mit beflügelt hatten.

Am Immobilienmarkt hat sich wenig verändert

Trotzdem scheint sich seit dem Krisenjahr 2007 wenig geändert zu haben. Fabrice Tourre, der von der SEC mitangeklagte Goldman-Vizepräsident, arbeitete zuletzt in London. Dort soll er bis vergangene Woche - bevor er unbefristet "freigestellt" wurde - mit dem Segen des Managements ähnliche Kreditprodukte verkauft haben wie während des Boom-Wahnsinns.

Das Erschreckende daran: Die Grundlage dieser Spekulationen - der Immobilienmarkt - hat sich kaum verbessert. So bezweifelt der Immobilienunternehmer Andy Miller, der schon den letzten Crash korrekt prophezeite, dass sich die Lage entspannt hat: "Ich glaube das nicht", sagte er dem Investorenbrief "Casey Report".

Im Mustermarkt Manhattan ziehen die Preise zwar wieder leicht an. Sie liegen aber noch weit unter denen von 2008 und werden nach Ansicht von Brokern auch noch eine Weile im Keller dümpeln. Die Gründe: die nur schleppend anspringende US-Konjunktur, die anhaltende Knausrigkeit der Kreditgeber sowie das Überangebot an unverkauften Wohnungen.

In anderen Regionen erwarten Experten, dass die Preise sogar noch weiter sinken. "Wir werden keine V-förmige Erholung sehen", sagte Diane Ramirez, die Präsidentin der Maklerfirma Halstead, der "New York Times".

Staatliche Hilfen erweisen sich als Flop

Zugleich erweisen sich die staatlichen Stützen für in Finanznot geratene Wohnungsbesitzer als Flop. Das 75-Milliarden-Dollar-Hilfspaket Home Affordable Modification Program (HAMP), das Hypotheken verbilligen soll, ist nach einem Bericht des Kongresses eine "Enttäuschung". Bisher hat es nur 335.000 Hauseigentümern geholfen - ein Bruchteil der sechs Millionen, die mindestens 60 Tage im Ratenverzug sind.

Der Sonderausschuss des US-Kongresses, der das Konjunkturpaket überwacht, warnt: "Das Programm wird kein langfristiger Erfolg sein."

Die Banken sind weiter nervös, die Zahl der US-Zwangsversteigerungen steigt sogar: Im ersten Quartal 2010 lag sie landesweit mit 932.234 Versteigerungen sieben Prozent über dem vierten Quartal 2009. Spitzenreiter bleiben Nevada, Arizona und Florida. Manche Experten sehen frühestens 2017 eine Verbesserung.

Schlimmer noch: Sobald die über den Anleihenmarkt finanzierten US-Staatshilfen versiegen, rechnen Szenekenner mit neuen Problemen. Sie sehen einen Teufelskreis: "Die Regierung kann ihre Subvention des Hypothekenmarkts nicht aufrechterhalten", glaubt Miller, "ohne die Zinsen zu erhöhen."

"Beträchtliche Welle an Zahlungsausfällen"

Noch brenzliger sieht es bei den gewerblichen Immobilien aus. Dieser für Laien nur schwer verständliche Megamarkt mit einem Volumen von 6,7 Billionen Dollar - fast doppelt so viel wie der gesamte US-Haushalt für 2011 - steuert nach Einschätzung der COP-Buchprüfer ebenfalls direkt in eine neue Krise hinein.

Von 2011 bis 2014 werde sich dort ein gigantisches Schuldenloch von 1,4 Billionen Dollar auftun: "Eine beträchtliche Welle an Zahlungsausfällen bei Gewerbe-Hypotheken", hieß es kürzlich in einem COP-Bericht, "würde wirtschaftlichen Schaden auslösen, der das Leben fast jedes Amerikaners betreffen könnte." Womöglich ebenfalls im Fadenkreuz: ausländische - auch deutsche - Banken, die in diesen kippenden Markt eng verstrickt sind.

"Wir müssen sofort einen Plan ausarbeiten", forderte COP-Chefin Elizabeth Warren, "bevor das System am Rande des Untergangs steht."

Doch die Politik reagiert bisher nur langsam. "Leugnen ist weitverbreitet, vor allem in den USA", sagt Andy Miller, der den wachsenden Zahlungsverzug bei Geschäftsimmobilien "alarmierend" nennt. "Die Leute begreifen immer noch nicht, wie schwerwiegend das ist."

Keine Staatshilfen für Gewerbeimmobilien

Die Eigentümer von Gewerbeimmobilien haben ein zusätzliches Problem, anders als private Haus- und Wohnungsbesitzer: "In Washington herrscht kein politischer Wille, einen Unternehmer, der ein Einkaufszentrum baut, oder einen Bürovermieter zu subventionieren", schreibt David Kotok, der Gründer der Beratungsfirma Cumberland.

Aber auch dieser wankende Sektor stützt das komplexe Finanzgerüst der Banken mit. Die Experten der Ratingagentur Moody's werten ihn sogar als "noch riskanter" als den der hypothekengebundenen Wertpapiere, wie sie jetzt Goldman Sachs Kopfschmerzen bereiten.

Schon wird über neue Milliardengarantien der US-Regierung für Gewerbeimmobilienkredite gemunkelt. "Das wird keine wirkliche Lösung sein", bezweifelt Marktinsider Miller jedoch. "Es wird die Probleme nur noch intensivieren."

US-Präsident Barack Obama jedenfalls macht diese Woche verschärft Druck, um seine stockende Finanzmarktreform endlich durch den Kongress zu bringen - auch wegen der beharrlichen Immobilien-Notlage. Die Kernpunkte seines Pakets, etwa eine bessere Transparenz bei Hypothekenspekulationen, will Obama mit einer Rede am Donnerstag mitten in Manhattan bekannt geben.

Dort versank die Skyline am Montagabend in einem spektakulären Sonnenuntergang. Am Madison Square Park erstrahlte die Spitze des 101-jährigen Met Life Towers im Flutlicht. Auf der anderen Seite der 23rd Street ragte das "One Madison Park" in den Abendhimmel. Bis auf vier - billige - Wohnungen ganz unten lag die gesamte Stahl- und Glassäule im Dunkeln.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren