Werbespot der Luftfahrtlobby Das Märchen vom Ökofliegen
Wenn deutsche Werber besonders originell sein wollen, bedienen sie sich gerne bei Alternativkulturen. In einem LBS-Spot schwärmte eine junge Bauwagenbewohnerin zum Ärger ihres Vaters für Bausparverträge. In einer Zalando-Werbung brachten online bestellte Schuhe eine Kopie der Kommune 1 durcheinander. Der Mobilfunkanbieter Klarmobil ließ einen Punk über schlechte Empfangsqualität schimpfen. Und nun spannt der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) drei Alt-Hippies ein.
In einem kürzlich angelaufenen Kinospot will das Trio zu einem Festival nach Marseille. Doch es gibt Streit über die richtige Autoroute. "Was des erscht a Schprit koschtet", ereifert sich ein gereiftes Blumenkind in erkennbar imitiertem Schwäbisch. Die Lösung kommt von der jungen Marie. Sie schlägt kurzerhand einen Flug vor und belehrt die verblüfften Hippies: "Fliegen ist das neue Öko!"
Am Ende des Spots verweist der BDL darauf, dass die Flugzeuge seiner Mitgliedsunternehmen 2013 im Schnitt nur 3,68 Liter Treibstoff pro Passagier auf 100 Kilometer verbraucht hätten. Die vier Liter - mit denen der BDL schon länger wirbt - klingen auf Anhieb tatsächlich so, als sei Fliegen inzwischen ökologischer als andere Fortbewegungsarten. Doch das ist Unsinn.
Zwar hat die Luftfahrt in den vergangenen Jahren Fortschritte beim Kraftstoffverbrauch gemacht und damit auch den CO2-Ausstoß reduziert. Das liegt sowohl an technischen Verbesserungen als auch einer höheren Auslastung von Flugzeugen. Doch besonders ökologisch macht das die Branche noch lange nicht.
Denn beim Fliegen entstehen neben CO2 noch eine Reihe anderer Schadstoffe. Dazu zählen etwa Stickoxide, durch die das Treibhausgas Ozon gebildet wird, oder auch Kondensstreifen und Eiswolken, welche die Erderwärmung ebenfalls verstärken. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die klimaerwärmende Wirkung durch diese Emissionen mindestens doppelt so hoch liegt wie allein durch CO2. Da noch nicht alle Prozesse komplett erforscht sind, könnte die Wirkung sogar um das Fünffache höher liegen.
"Ein Vier-Liter-Flugzeug ist hinsichtlich der Klimawirkung mindestens ein Acht-Liter-Flugzeug", stellt Lars Mönch klar, Fachgebietsleiter für Schadstoffminderung beim Umweltbundesamt (UBA). Mit seiner Kampagne streue der BDL "ein bisschen Sand in die Augen".
Den Vergleich mit dem Auto verliert das Flugzeug nach Berechnungen des UBA auch weiterhin eindeutig. Während ein Fluggast pro Kilometer insgesamt durchschnittlich 211 Gramm an Treibhausgasen erzeugt, sind es beim Auto 142 Gramm, bei der Eisenbahn 41 Gramm und beim Reisebus sogar nur 32 Gramm. Bei diesen Berechnungen ist die durchschnittliche Auslastung ebenso berücksichtigt wie die heutige Fahrzeugflotte. Denn ebenso wenig wie deutsche Airlines heute kaum noch mit jahrzehntealten Benzinschluckern fliegen, fährt der Durchschnittsdeutsche einen stinkenden VW-Bus, in dem die stereotypen Hippies des Werbespots natürlich unterwegs sind.
Vergleich der Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Personenverkehr (Bezugsjahr 2014)
Pkw | Reisebus | Eisenbahn, Fernverkehr | Flugzeug | Linienbus | Eisenbahn, Nahverkehr | Straßen-, Stadt- und U-Bahn | |
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Treibhausgase (g/Pkm) | 142 | 32 | 41 | 211 | 76 | 67 | 71 |
Kohlenmonoxid (g/Pkm) | 0,66 | 0,05 | 0,03 | 0,15 | 0,07 | 0,05 | 0,04 |
Flüchtige Kohlenwasserstoffe (g/Pkm) | 0,14 | 0,02 | 0,00 | 0,04 | 0,03 | 0,01 | 0,00 |
Stickoxide (g/Pkm) | 0,31 | 0,21 | 0,06 | 0,55 | 0,41 | 0,21 | 0,07 |
Feinstaub (g/Pkm) | 0,005 | 0,004 | 0,000 | 0,005 | 0,003 | 0,002 | 0,000 |
Verbrauch Benzinäquivalent (l/Pkm) | 6,1 | 1,4 | 1,9 | 4,9 | 3,3 | 3,0 | 3,3 |
zugrunde gelegte Auslastung | 1,5 Pers./PKW | 60% | 50% | 71% | 21% | 28% | 19% |
g/Pkm= Gramm pro Personenkilometer
l/Pkm= Liter pro 100 Personenkilometer
CO2, CH4 und N2O angegeben in CO2-Äquivalenten
Auf Nachfrage geht BDL-Präsident Klaus-Peter Siegloch denn auch vorsichtig auf Distanz zur Öko-These. Er verweist darauf, dass der Spot in Zusammenarbeit mit Studenten der Filmakademie Baden-Württemberg entstanden sei. "Wir wären selbst vielleicht gar nicht auf diesen Spruch gekommen", sagte Siegloch SPIEGEL ONLINE. "Aber er ist eine erlaubte Provokation."
Offenbar hat sie funktioniert. Siegloch berichtet, sein Verband habe eine Reihe verärgerter E-Mails erhalten. "Den Absendern schicken wir unseren Energieeffizienzreport." Darin werden andere Treibhausgase zwar erwähnt, jedoch erst auf den letzten Seiten. Hinzu kommt der Hinweis, dass zu den konkreten Auswirkungen noch "weiterer Forschungsbedarf" bestehe. "Wenn die Wissenschaftler sich dann mal einig werden, dann sind es eben acht Liter", sagt Siegloch. Dabei würde eine solche Angabe noch auf konservativen Schätzungen beruhen.
Experten halten den Luftverkehr auch deshalb für eine ökologische Bedrohung, weil er in den kommenden Jahren rasant zunehmen wird. Die wachsende Reiselust in Schwellenländern beschert Flugzeugbauern volle Auftragsbücher, allein Airbus kann über die kommenden neun Jahre Aufträge im Wert von mehr als einer Billion Euro abarbeiten. "Wegen ihres starken Wachstums wird die Luftfahrtbranche mittelfristig erheblichen Einfluss aufs Klima haben", sagt UBA-Experte Mönch.
Trotz dieser Entwicklung wurde die Branche beim Klimagipfel in Paris jedoch von konkreten Emissionszielen ausgeklammert. Stattdessen laufen nun Verhandlungen auf Ebene der Uno-Luftfahrtorganisation ICAO, die bislang aber kaum Ehrgeiz in Klimafragen bewiesen hat. Der 2010 gegründete BDL ist dennoch stets bemüht, die vermeintlichen Lasten seiner Branche zu beklagen - etwa die 2011 eingeführte Luftverkehrsabgabe.
Tatsächlich genießen Fluggesellschaften trotz ihrer schlechten Klimabilanz aber bis heute enorme Vorteile, weil auf Kerosin im Gegensatz zu Benzin keine Steuern gezahlt werden muss. Nur deshalb sind Flüge so billig. Und nur deshalb können die Aussteiger am Ende - wie es sich in der deutschen Werbung gehört - als heimliche Spießbürger entlarvt werden. Schon über den Wolken und auf dem Weg nach Marseille freut sich einer der Hippies: "Do hen mer aber gscheit was gschpart!"
Zusammengefasst: Ein Kinospot des Luftfahrtverbandes BDL verkündet, Fliegen sei "das neue Öko". Diese Behauptung ist unsinnig. Zwar hat die Branche ihren Treibstoffverbrauch durch technische Verbesserungen und höhere Auslastung tatsächlich verbessert. Doch in der Luft entstehen neben CO2 noch andere Treibhausgase. Rechnet man diese mit ein, so ist das Flugzeug weiterhin mit Abstand der klimaschädlichste Verkehrsträger.