Franken-Freigabe Die Schweiz kapituliert vor dem schwachen Euro

Franken-Freigabe: Die Schweiz kapituliert vor dem schwachen Euro
Foto: ? Arnd Wiegmann / Reuters/ REUTERSHamburg - Die Mitteilung gleicht einer Kapitulationserklärung: Man sei "zum Schluss gekommen, dass die Durchsetzung und die Aufrechterhaltung des Euro-Franken-Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt" sei, ließ die Schweizer Nationalbank (SNB) die Welt am Donnerstagmorgen wissen - und stürzte die Finanzmärkte damit in Turbulenzen. Binnen Minuten schoss der Kurs des Euro zum Franken um fast 30 Prozent nach unten. Die Aktienmärkte sackten europaweit ab.
Mit dem Schritt hatte niemand gerechnet. Seit September 2011 hatte die SNB einen Mindestkurs für den Euro im Vergleich zum Schweizer Franken festgesetzt.
Weniger als 1,20 Franken sollte der Euro nicht wert sein. Oder andersherum: Stärker durfte die Schweizer Währung nicht werden. Bis zuletzt hatte die Notenbank keinen Zweifel daran gelassen, dass sie diese Grenze verteidigen werde - sie tat das, indem sie so viel Euro oder Euro-Anleihen kaufte wie nötig.

Absehbarer Absturz: Eurokurs im Verhältnis zum Schweizer Franken
Foto: SPIEGEL ONLINEDer Mindestkurs hatte immer einen klaren Zweck: Er sollte verhindern, dass der Franken zu wertvoll wird. Was zunächst paradox klingt, war durchaus sinnvoll. Die Schweiz exportiert rund 60 Prozent ihrer Ausfuhren in die Euro-Zone. Und je stärker der Franken, desto teurer werden Schweizer Produkte im Ausland - und desto schlechter lassen sie sich verkaufen. Auch der Erfolg des Tourismusgeschäfts hängt nicht unwesentlich daran, ob sich ein deutscher Urlauber auf einer Schweizer Skihütte für seine Euro ein Käsefondue leisten kann oder nur ein Gläschen Rivella.
Umso dramatischer dürfte nun das plötzliche Ende des Mindestkurses für die Schweizer Wirtschaft sein. Schon der Eurokurs von 1,20 Franken war für viele Unternehmen eine Last. Mit einem Verhältnis von eins zu eins, das viele Experten nun mittelfristig erwarten, werden die Firmen ums Überleben kämpfen müssen.
Der Schweiz droht eine Deflation
Zudem droht die gesamte Volkswirtschaft der Schweiz in eine Deflation abzugleiten. Schon Ende 2014 war die Inflationsrate in den negativen Bereich gerutscht. Im Schnitt fielen also die Verbraucherpreise. Bisher wurde der Franken durch den Mindestkurs indirekt auch im Vergleich zur Ölwährung Dollar künstlich niedrig gehalten. Dadurch ließ sich der dramatische Sturz der Heizöl- und Benzinpreise aber zumindest noch etwas abfedern. Auch das dürfte nun vorbei sein. Ab jetzt schlägt der billige, in Dollar abgerechnete Ölpreis voll auf die Preisentwicklung durch.
Selbst wenn niedrigere Preise für viele Verbraucher und Unternehmen zunächst positiv klingen mögen: Insgesamt dürfte der hohe Frankenkurs das Wirtschaftswachstum deutlich bremsen. Abzulesen ist das auch am Schweizer Aktienmarkt, der am Donnerstag zeitweise um fast 14 Prozent einbrach - so viel wie noch nie an einem Tag. "Ein Zeitraum starker Deflation ist ein ernstzunehmendes Risiko", urteilt Ökonom Christian Schulz von der Berenberg Bank über die Schweiz. Auch wenn er glaubt, dass die Schweizer damit schon irgendwie zurechtkommen werden.

Schock am Vormittag: Reaktion des Leitindexes SMI auf die SNB-Entscheidung
Foto: mm.de; vwdUnd was ist mit Deutschland und der Eurozone? Schon seit gut einem halben Jahr verliert der Euro auch gegenüber dem Dollar drastisch an Wert. Nach dem überraschenden Schritt der Schweizer Notenbank stürzte er am Donnerstag zeitweise auf den niedrigsten Stand seit 2003. Ein Grund zur Sorge?
Eher nicht. Denn der Euro-Absturz ist auch gewollt. Mit ihrer äußerst lockeren Geldpolitik versucht die Europäische Zentralbank (EZB), die Wirtschaft in der Eurozone wieder in Schwung zu bringen. Die ultraniedrigen Zinsen sollen zum einen die Kreditvergabe der Banken anregen, zum anderen aber auch den Kurs des Euro schwächen. Auf diese Weise werden Produkte aus der Eurozone weltweit billiger und damit wettbewerbsfähiger. Im Gegenzug werden zwar auch importierte Produkte teurer. Das kann der EZB aber nur recht sein: Ähnlich wie die SNB kämpft auch sie gegen eine zu niedrige Inflation. In der Eurozone waren die Preise zuletzt ebenfalls gefallen. Teurere Importe helfen, die Deflation zu bekämpfen.
Der Absturz des Euro dürfte sogar noch weitergehen. Denn während die amerikanische Notenbank Fed die Zinsen nach jahrelangen Niedrigstständen 2015 wieder langsam anheben will, plant die EZB weitere Maßnahmen, um den Preis des Geldes weiter zu drücken. Da der Leitzins praktisch schon bei null liegt, diskutieren die Notenbanken den großangelegten Aufkauf von Staatsanleihen - schon am 22. Januar könnte eine Entscheidung fallen.
All das macht Anlagen in Dollar attraktiver und solche in Euro unattraktiver - mit entsprechenden Auswirkungen auf den Wechselkurs. Die US-Investmentbank Goldman Sachs etwa erwartet, dass ein Euro bis Ende 2016 nur noch einen Dollar wert sein wird. Derzeit sind es noch etwa 1,17 Dollar, vor sieben Monaten waren es noch fast 1,40 Dollar.
Es sind solche Prognosen, die am Ende den Ausschlag für die Schweizer Notenbank gegeben haben dürften, den Franken von seiner Kopplung an den Euro zu befreien. Denn je weiter der Euro gesunken wäre, desto mehr Franken hätten die Schweizer aufwenden müssen, um Euro und Euro-Staatsanleihen zu kaufen. Die Risiken und Ungleichgewichte in ihrer Bilanz wären immer größer, und es wäre immer schwieriger geworden, die Mindestgrenze irgendwann aufzugeben. Denn eines war stets klar: Sobald die SNB den Franken freigibt, würde der Kurs des Euro abstürzen - und die Euro-Anlagen in der Bilanz der Notenbank damit an Wert verlieren.