Fotostrecke

Protest in Amiens: Ihr kommt hier nicht raus

Foto: AP/dpa

Protest in Frankreich Goodyear-Mitarbeiter nehmen Chefs als Geiseln

Sie werden ihre Jobs verlieren und sind wütend: Im französischen Amiens halten Mitarbeiter des Goodyear-Werks zwei ihrer Chefs fest, die Tür ist mit einem riesigen Reifen versperrt. Die Aktion dauert schon mehr als 24 Stunden, die Angestellten fordern Abfindungen in sechsstelliger Höhe.

Amiens - Es war kein gutes Treffen im Goodyear-Werk im nordfranzösischen Amiens. Nicht, als es am Montagmorgen begann. Und erst recht nicht am Ende - als wütende Mitarbeiter den Leiter der Fabrik und den Personalchef im Konferenzraum einsperrten. Seitdem sitzen die Männer dort fest, bewacht von ihren Angestellten, die Tür mit einem Traktorreifen blockiert.

Die Arbeiter sind sauer: Im Januar 2013 hatte der US-Reifenhersteller Goodyear angekündigt, das Werk in Amiens zu schließen. Mehr als tausend Arbeitsplätze sind bedroht. "Es war nicht möglich, weiterhin für unsere Jobs zu kämpfen", sagte Gewerkschaftschef Mickael Wamen. "Also haben wir unsere Taktik geändert. Jetzt kämpfen wir für die höchstmögliche Abfindung." Für die Freilassung ihrer Chefs verlangen die Mitarbeiter pro Person 80.000 Euro plus 2500 Euro für jedes Jahr, das sie bei Goodyear gearbeitet haben.

Das sogenannte Boss-napping hat in Frankreich fast schon Tradition. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise entführten viele Angestellte ihre Chefs. Mal für mehrere Stunden, mal für mehrere Tage. Dabei sind die Aktionen mehr Theater als Bedrohung und sollen den Demonstranten vor allem die Aufmerksamkeit der Chefetage sichern.

"Es ist eine Verzweiflungstat"

"Menschenunwürdig" und "demütigend" - so nannte einer der festgehaltenen Goodyear-Manager in Amiens die Aktion. Er werde keinerlei Erklärung unter Zwang abgeben, sagte er Journalisten. Sein Leidensgenosse fand versöhnlichere Worte: "Die Situation ist manchmal lebhaft, manchmal ruhig, aber immer harmlos."

"Es ist eine Verzweiflungstat", sagte der Anwalt Sylvain Niel, der ähnliche Fälle vor Gericht verhandelt hat. Den Arbeitern in Amiens machte er keine Hoffnung: Jede Einigung, die unter Druck zustande komme, habe vor Gericht keinen Bestand. Hinzu kommt: Boss-napping ist in Frankreich strafbar, den Verantwortlichen drohen bis zu fünf Jahren Haft und eine 75.000-Euro-Geldstrafe - sofern der Chef binnen einer Woche freigelassen wird. Üblicherweise werden die Angestellten jedoch nicht angezeigt. "Das sind grundsätzlich ehrliche Leute, die verzweifelt sind", sagte Niel.

Erst im vergangenen Februar hatte das Werk in Amiens für Schlagzeilen gesorgt: In einem Brief an die französische Regierung machte sich der Chef des US-Reifenherstellers Titan über die Arbeitsmoral der Franzosen lustig. "Ich habe diese Fabrik mehrfach besucht. Die französischen Arbeitnehmer bekommen hohe Löhne, arbeiten aber nur drei Stunden. Sie haben eine Stunde für ihre Pausen und für ihr Mittagessen, diskutieren drei Stunden lang und arbeiten drei Stunden."

Zuvor hatte Frankreichs Industrieminister Arnaud Montebourg den US-Konzern gebeten, eine Übernahme des Reifenwerks in Amiens zu prüfen. Der Titan-Chef erteilt dem Ansinnen eine unverblümte Absage: "Was glauben Sie eigentlich, wie dumm wir sind?"

aar/AP
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten