Fraunhofer-Studie Umstellung auf Elektroantriebe könnte Zehntausende Jobs kosten

Durch die zunehmende Elektroauto-Produktion könnten laut einer Studie der Fraunhofer-Gesellschaft in Deutschland etwa 75.000 Stellen wegfallen - bei einem schnelleren Umstieg wären noch mehr Jobs betroffen.
Produktion von Elektrowagen in BMW-Werk

Produktion von Elektrowagen in BMW-Werk

Foto: dpa Picture-Alliance / Jan Woitas/ picture alliance / dpa

Noch begegnet die Autonation Deutschland dem Elektromobil mit Skepsis. Die Käufer zögern, weil die geringe Reichweite den Nutzen ebenso einschränkt, wie die langen Ladezeiten. Hinzu kommt der hohe Preis, trotz staatlicher Fördergelder. Die Autobauer leisten ebenfalls eher Widerstand, denn noch besitzt niemand ein Patentrezept, wie der Strukturwandel zu bewältigen ist, der mit dem Umstieg zwangsläufig verbunden ist.

Alarmiert sind auch die Arbeitnehmer, speziell diejenigen, die bislang an der Produktion der Motoren und Getriebe mitgearbeitet haben. Denn Maschinen zu bedienen, die einen Kolben für einen Benzinmotor fräsen, ist eine ganz andere Arbeit, als feine Drähte zu Spulen zu wickeln, wie sie für E-Maschinen gebraucht werden. Außerdem besteht Letzterer gerade einmal aus rund 25 Teilen, ein Vierzylinder dagegen aus mehr als 1000, das Getriebe noch nicht mitgerechnet. Es ist also leicht vorauszusehen, dass ein Großteil der Arbeitsplätze überflüssig wird, wenn das E-Mobil zum Standard wird.

Strukturschwache Regionen besonders betroffen

Wie viele Stellen betroffen sind, darüber grübeln die Experten schon seit Längerem. Die jüngste Studie, die das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) am Montagabend in Frankfurt vorstellte (eine Neuauflage der erstmals 2012 durchgeführten Berechnungen), geht von einem Verlust von rund 75.000 Arbeitsplätzen aus, rund 25.000 neue Stellen für Komponenten wie Batterien oder Leistungselektronik schon eingerechnet.

Die Daten dafür lieferten die deutschen Autokonzerne BMW, Daimler und Volkswagen sowie die großen Zulieferer, ZF Friedrichshafen, Mahle und Schaeffler. "Je nach Betrieb und Region können die Folgen beträchtlich sein", sagte Institutschef Oliver Riedel.

Nicht unbedingt eine originelle Ergänzung: Beschäftigte von kleinen Zulieferbetrieben in strukturschwachen Regionen wären der Studie nach am schwersten betroffen.

Das Szenario legt die anhaltende Elektroauto-Skepsis zugrunde. Danach wird der Gesamtanteil bis 2030 lediglich 25 Prozent betragen (obwohl die Autobauer diese Zielmarke schon fünf Jahre früher erreichen wollen, um die strengen CO2-Vorgaben in der EU erfüllen zu können). Sollte der Umstieg tatsächlich schneller gehen, könnten demnach auch bis zu 109.000 Arbeitsplätze verloren gehen.

Umschulung und Unterstützung

Studien mit breiterem Ansatz kommen allerdings zu dem Schluss, dass der Wandel in der Autoindustrie weit mehr Chancen birgt als Risiken. Elektromobilität, mobile und digitale Dienstleistungen dürften unterm Strich viel mehr Jobs hervorbringen als vernichten. Das Problem aus Sicht der IG-Metall, die zu den Unterstützern der in Frankfurt vorgestellten Studie gehört, ist nur, dass sie in anderen Bereichen entstehen, als an den Werkbänken der Antriebsbauer. Derzeit suchen die Großen der Autobranche bereits: nach Elektrotechnikern, Elektronikspezialisten und Software-Ingenieuren.

So liegt der Verdacht nahe, dass IG-Metall-Chef Jörg Hofmann die Studie lediglich nutzen will, um seine Klientel zu schützen. Man wolle keine Angst schüren, betont der Gewerkschafter, aber Unternehmen und Politik aufrütteln, frühzeitig gegenzusteuern: "Da sind zunächst mal die Unternehmen gefordert."

Wichtig aus Sicht der IG Metall sind nicht die exakten Zahlen und abstrakte Nettoeffekte, sondern Ideen dazu, wie ein Arbeiter vom Kolbenmechaniker zum Techniker für Leistungselektronik wird. Die Unternehmen müssten deshalb eine Qualifizierungsoffensive starten, forderte Hofmann. Der Staat müsse potenzielle Arbeitslose stärker und länger finanziell bei der Neuorientierung unterstützen.

Asiaten bei Batteriezellen-Produktion vorn

Zusätzliche Jobs könnten nach Überzeugung der Arbeitnehmervertreter etwa die Fertigung von Batteriezellen bringen - statt sie Herstellern aus China, Korea oder Japan zu überlassen. Deutschland sei führend in der Batterieforschung und müsse aufpassen, dass andere sich das Know-how zu Nutze machen, erklärte Peter Cammerer vom BMW-Betriebsrat. "Wir müssen den Chinesen die Innovationen verkaufen und nicht die als Erstes uns."

"Wir müssen neue Technologien in Deutschland ansiedeln", ergänzte Hartwig Geisel, Betriebsratschef von Bosch. Er befürchtet noch "drastischere Zahlen" bei dem Zulieferer, als die in der Studie kalkulierten Effekte. Denn bei dem Stiftungskonzern hingen 30.000 Arbeitsplätze in Deutschland vom Verbrennungsmotor ab. Um das Bosch-Werk in Stuttgart mache er sich dabei weniger Sorgen als etwa um die Standorte Homburg/Saar oder Bamberg: "Für die wird die Luft extrem dünn."

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