Sorge vor Boykott Erste Lieferstopps bei Gazprom Germania – Habeck sieht Deutschland vorbereitet

Robert Habeck im Bundestag: »Wir haben uns auf die Situation vorbereitet«
Foto: Annegret Hilse / REUTERSNur einen Tag nachdem Russland gegen die Firma Gazprom Germania und andere ehemalige Tochterunternehmen seines staatlichen Gaskonzerns Sanktionen verhängt hat, machen sich die Maßnahmen schon bemerkbar. Denn die Sanktionen Moskaus gegen westliche Energieunternehmen treffen laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auch Deutschland.
Einige Tochterunternehmen von Gazprom Germania würden nicht mehr mit Gas beliefert, sagte der Grünenpolitiker im Bundestag.
Es gebe aber Alternativen für die Belieferung, sagte er – ohne zunächst Details zu nennen. »Wir haben uns auf die Situation vorbereitet«, sagte Habeck. Der Markt könne den Gasausfall aus Russland kompensieren.
Das Ministerium werde im Laufe des Tages darüber informieren.
Die Entwicklungen zeigten, dass Energie als Waffe genutzt werden könne, sagte Habeck. Die Voraussetzung dafür, dass Deutschland in Zukunft sicher sei, sei der Ausbau der erneuerbaren Energien, um den sich die Bundesregierung bemühe.
Sorge um Befüllung von Gasspeichern
Gazprom Germania steht unter staatlicher deutscher Kontrolle, nachdem der russische Energieriese Gazprom das Unternehmen verkaufen wollte.
Unter anderem gehört auch der größte deutsche Gasspeicher zu Gazprom Germania. Der Speicher befindet sich im niedersächsischen Rehden. Auf ihn entfällt rund ein Fünftel der deutschen Kapazität. Zuletzt war in dem Rehdener Speicher allerdings kaum Gas gelagert.
In Deutschland gibt es 47 Untertagespeicher an 33 Standorten, die von rund 25 Firmen betrieben werden. Auf den Energiekonzern Uniper entfällt rund ein Viertel der deutschen Speicherkapazität.
Von Uniper hieß es, man erörtere die Konsequenzen der russischen Sanktionen gegen Gazprom Germania und andere ehemalige Tochterunternehmen. »Wir prüfen das im Detail«, sagte ein Unternehmenssprecher am Donnerstag. Unklar seien insbesondere Einzelheiten zum Verbot der Befüllung der Gasspeicher.
Nach Angaben der russischen Agentur Interfax ist das Anlegen von Vorräten mit russischem Gas in den Speichern Europas künftig verboten. Unklar war zunächst, wie ein solches Verbot durchzusetzen wäre.
Gasspeicher gleichen Schwankungen beim Gasverbrauch aus und bilden damit eine Art Puffersystem für den Gasmarkt. Für gewöhnlich sind die Speicher mit Beginn der Heizperiode im Herbst gut gefüllt, bis zum Frühjahr nehmen die Füllstände dann ab. An kalten Wintertagen werden bis zu 60 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus deutschen Speichern abgedeckt. Laut dem neuen Speichergesetz sollen sie am 1. November zu 90 Prozent gefüllt sein. Am vergangenen Montag waren die Speicher zu knapp 39 Prozent gefüllt – mit steigender Tendenz.
Die russische Regierung hatte am Mittwoch eine Verfügung veröffentlicht, nach der mit insgesamt 31 aufgelisteten Firmen von russischer Seite keine Geschäfte mehr gemacht werden dürfen.
Demnach treten die Handelsverbote im Auftrag von Kremlchef Wladimir Putin in Kraft.
Gazprom Germania war Anfang April unter staatliche deutsche Kontrolle gestellt worden. Das Unternehmen ist Eigentümer weiterer wichtiger Firmen der deutschen Gaswirtschaft.
Auch beim Transit durch die Ukraine gibt es Ausfälle
Die Lieferstopps bei Gazprom Germania sind nicht die einzigen Unregelmäßigkeiten im Pokerspiel auf dem europäischen Gasmarkt.
Der Transit von russischem Gas durch die Ukraine nach Europa ist zurückgegangen – allerdings ist unklar, ob es einen Zusammenhang mit den Sanktionen gibt. Es gibt ohnehin teilweise deutliche Schwankungen beim Transit. Das Auftragsvolumen für die Durchleitung russischen Gases lag nach Angaben des ukrainischen Netzbetreibers OGTSU am Donnerstag bei nur noch 53,2 Millionen Kubikmetern.
Laut dem aktuellen Transitvertrag können täglich maximal 110 Millionen Kubikmeter russisches Gas durch die Ukraine nach Europa gepumpt werden. Am Dienstag lag das Auftragsvolumen nach russischen Angaben noch bei 95,8 Millionen Kubikmetern. Am Mittwoch war die Gasmenge auf 72 Millionen Kubikmeter gefallen. Nun ist sie noch einmal um mehr als ein Viertel gefallen. In den vergangenen Wochen wurden aber mehrfach vergleichbare Mengen durch das ukrainische Pipelinesystem geleitet. Zuletzt war die Transitmenge am 24. April mit 53 Millionen Kubikmetern ähnlich niedrig.
In der Nacht zum Mittwoch hatte die Ukraine angekündigt, den Transit von russischem Gas nach Europa teilweise einzustellen.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat nun Russland für die Lieferkürzungen von Gas nach Westeuropa verantwortlich gemacht. »Nicht wir haben die Lieferungen eingeschränkt, sondern Russland hat wichtige Infrastrukturobjekte der Gasleitungen in Besitz genommen«, sagte Kuleba am Donnerstag in der ARD. »Jetzt sind wir nicht in der Lage, diesen Transfer vollkommen zu kontrollieren.«
Kuleba fügte hinzu, dass die Ukraine als Transitland jahrelang ein verlässlicher Lieferant für russisches Gas war. »Wir sind zuverlässig«, betonte er.
Ein Gazprom-Sprecher erklärte am Donnerstag, ein Antrag, weitere Mengen über die im Grenzgebiet zu Luhansk liegende Gasmessstation Sochraniwka einzuspeisen, sei von der Ukraine abgelehnt worden.
Der russische Gazprom-Konzern hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass er zwar weiterhin Gas über die Ukraine in Richtung Westen liefere, allerdings weniger als zuletzt.
Zuvor wiederum hatte der ukrainische Netzbetreiber GTSOU angekündigt, er könne eine Verdichterstation wegen des Krieges in der Region Luhansk in der Ostukraine nicht mehr betreiben. Daher werde der Gasfluss über diese Route eingestellt.
Es handle sich um »höhere Gewalt«, hatte GTSOU die Ausfälle begründet. Die Russen hatten das prompt dementiert.
Die genauen Hintergründe für die Ausfälle sind schwer zu durchschauen. Die Folgen für Deutschland sind aber nach ersten Einschätzungen nicht gravierend. (Mehr dazu lesen Sie in dieser Analyse .)
Habeck macht Mut – und ermahnt
Deutschland ist stark von russischem Gas abhängig. Forderungen etwa nach einem Gasembargo sind daher umstritten.
Jüngsten Angaben des Wirtschaftsministeriums zufolge sank die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas seit Kriegsbeginn immerhin von zuvor 55 Prozent auf etwa 35 Prozent. Bis Sommer 2024 ist demnach eine schrittweise Verringerung auf zehn Prozent des Gasverbrauchs möglich.
Habeck hält es für möglich, dass Deutschland schon im kommenden Winter einen russischen Gasboykott verkraften könnte. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen – und wenn die Verbraucher mithelfen.
»Wenn wir zum Jahreswechsel volle Speicher haben, wenn zwei der vier von uns angemieteten schwimmenden LNG-Tanker schon am Netz angeschlossen sind und wenn wir deutlich an Energie sparen, können wir im Fall eines Abrisses der russischen Gaslieferungen einigermaßen über den Winter kommen«, sagte Habeck der »Wirtschaftswoche«.
Zugleich plädierte der Grünenpolitiker fürs Energiesparen. »Weniger Verbrauch ist das A und O beim Gas.« Wenn es gelinge, zehn Prozent einzusparen über die nächsten zwei Jahre in der Industrie und bei privaten Haushalten, so der Minister, »dann sind das die entscheidenden Prozente, um nicht in eine Notlage zu geraten. Da sollten alle mitmachen. Mehr Effizienz ist ein wesentlicher Hebel gegen Putin«, sagte er.