Russischer Strohmann Wie ein Moskauer DJ plötzlich Gazprom Deutschland kontrollierte
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Die Vorgänge um den Verkauf des Deutschlandgeschäfts des russischen Gasriesen Gazprom werden immer skurriler. Nach Informationen des SPIEGEL hat der Konzern die Kontrolle an Gazprom Germania über Zwischenschritte offenbar an einen Mann übertragen, der in Moskauer Clubs Progressive House auflegt und als Geschäftsmann bislang eher im Autohandel aufgefallen war.
Gazprom Germania hatte zuletzt einen zweistelligen Milliardenumsatz erzielt. Doch in der vergangenen Woche entschied sich die russische Muttergesellschaft plötzlich, sich über Umschichtungen in der Eigentümerstruktur von dem Tochterunternehmen zu trennen.
Im Zentrum der verschachtelten Unternehmenskonstruktion steht eine Aktiengesellschaft in Moskau. Ihr Name lautet Palmary, sie residiert – trotz des Milliardenbusiness, das sie nun kontrollieren soll – eher bescheiden im Südwesten der russischen Hauptstadt. Im russischen Unternehmensregister ist ein einzelnes Zimmer in einem Bürokomplex als Firmensitz angegeben. Als Geschäftsgegenstand werden Immobiliendeals genannt.
Neuer Chef: ein Musiker und Pkw-Unternehmer?
Laut russischem Handelsregister wurde am 31. März 2022 ein neuer Geschäftsführer der Firma Palmary bestellt. Sein Name lautet Dmitrij Z. Vieles deutet darauf hin, dass Z. als Strohmann fungiert. So wird er zwar im russischen Unternehmerregister geführt, hat dort aber eine für den Energiesektor eher ungewöhnliche Vita. So betrieb Z. in der Vergangenheit eine Firma, deren Geschäftszweck mit »Einzelhandel mit elektrischen Haushaltsgeräten in Fachgeschäften« angegeben wird. Wieder eine andere widmete sich dem »Großhandel mit Pkw«. Ebenfalls aufgeführt wird ein Betrieb zur Autoreparatur.
Hinterlegt ist im russischen Handelsregister auch eine persönliche E-Mail-Adresse, ein Account bei Google. Das Profilbild zeigt einen Mann bei einem Auftritt als DJ . Ähnliche Aufnahmen finden sich auf einem Facebook-Account, der auf den gleichen Namen registriert ist. Dort sieht man Z. im Blitzlichtgewitter von Diskotheken oder die Jazznummer »Georgia on my mind« auf dem Klavier spielend. Anfragen des SPIEGEL per Mail, Telefon und in sozialen Medien ließ Z. bislang unbeantwortet.
100 Rubel für 100 Prozent Stimmrecht
Sein Fall ist nicht die einzige Ungereimtheit im Verkauf von Gazprom Germania. Die aktuelle Anteilseignerin von Gazprom Germania, eine Firma namens Gazprom Export Business Services (GPEBS) in Sankt Petersburg, war lange selbst Teil der Gazprom Holding – die wiederum mehrheitlich dem russischen Staat gehört.
Doch laut der russischen Nachrichtenagentur Tass veräußerte die Gazprom Holding die GPEBS am 31. März. Im russischen Handelsregister ist an diesem Tag tatsächlich ein Eigentümerwechsel vermerkt. 0,1 Prozent der Anteile gingen demnach an Palmary – die Firma des DJs und Autohändlers. Die übrigen 99,9 Prozent soll laut Registerauszug GPEBS selbst übernommen haben. Die Petersburger Firma würde demnach nun mehrheitlich sich selbst gehören.
Palmarys Anteil beträgt auf dem Papier gerade einmal 100 Rubel, umgerechnet einen Euro. Trotzdem übertrug GPEBS 100 Prozent der Stimmrechte an Palmary. Sprich: Ein Ein-Euro-Anteil beschert einem DJ pro Forma die alleinige Macht über ein deutsches Unternehmen, das 2020 rund 12,7 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete und in der Bundesrepublik kritische Infrastruktur wie Gasspeicher kontrolliert. Wobei zu vermuten ist, dass es in Wahrheit eben nicht Z. ist, der hier irgendwelche unternehmerische Entscheidungen fällt.
Eine Entscheidung jedenfalls wurde schon kurz nach dem Gesellschafterwechsel gefällt. Und was für eine! Palmary und GPEBS kündigten die Liquidation der Gazprom Germania an. Das Unternehmen sollte aufhören zu existieren. Und mit ihm viele günstige Gaslieferverträge, die Töchter von Gazprom Germania mit deutschen Stadtwerken abgeschlossen hatten.
Treuhänder statt Strohmann
Laut Bundeswirtschaftsministerium verstößt der Eigentümerwechsel aber gegen das deutsche Außenwirtschaftsgesetz. Die Umschichtung der Gesellschafteranteile hätte offiziell gemeldet werden müssen.
Das Ministerium hat die neuen Eigentümer der Gazprom Germania daher nicht anerkannt. Und Moskaus DJ-Pläne mit einer spektakulären Hauruckaktion vorerst durchkreuzt.
Das Ministerium hat die deutsche Tochter bis Ende September unter die Fittiche der staatlichen Bundesnetzagentur gestellt. Deren neuer Chef, Klaus Müller, ist nun plötzlich Treuhänder von Gazprom Germania. Die geplante Liquidation der Firma ist damit vorerst hinfällig.