Sanierungsplan für Opel Sparen, schließen, schnorren

So ruiniert man ein Traditionsunternehmen: Statt kreativer Ideen regiert bei der Sanierung von Opel der Rotstift. Mutterkonzern GM hat sich von einer Vorwärtsstrategie verabschiedet, nun werden Subventionen abgegriffen und Löhne gedrückt.
Defektes Warnschild bei Opel: Der Konzern wird kaputtgespart

Defektes Warnschild bei Opel: Der Konzern wird kaputtgespart

Foto: INA FASSBENDER/ REUTERS

Berlin - Dan Akerson weiß jetzt, wie er den Rekordgewinn von General Motors verwenden will. Von den 8,3 Milliarden Dollar, die der US-Autoriese im vergangenen Jahr erwirtschaftete, sollen knapp zwei Milliarden für Opel reserviert werden. Doch der GM-Boss denkt dabei weniger an die Modernisierung der Werke oder die Entwicklung neuer Autos. Das Geld dient vielmehr der Finanzierung von Sozialplänen und dem Rückbau zweier Werke - Unternehmertum nach General-Motors-Art.

Noch hat der Betriebsrat die Entscheidung nicht offiziell abgesegnet, doch Beobachter zweifeln kaum noch, dass die Standorte Bochum und Ellesmere Port in der Nähe von Liverpool vor dem Aus stehen. Insgesamt 5300 Arbeiter müssen um ihre Jobs bangen. Nach Informationen des "Handelsblatts" soll Opel-Chef Karl-Friedrich Stracke bereits im Kanzleramt nachgefragt haben, ob man wohl beim Erhalt helfen wolle. Doch anders als 2009, als Opel vor dem Untergang stand, ist die Bereitschaft dafür diesmal wohl gering.

Nach Wochen der Unsicherheit herrscht bei den Opel-Werkern jetzt die blanke Wut. Der Betriebsrat wirft dem Management Erpressung vor: Man habe die einzelnen Werke gegeneinander ausgespielt und die Arbeitnehmervertreter brutal unter Druck gesetzt. GM produziere in puncto Opel seit Jahren Fehlentscheidungen in Serie, schimpfte der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Oliver Burkhard.

Anstatt sich um neue Produkte zu kümmern, die am Markt konkurrenzfähig sind, verlassen sich die Bosse in Detroit offenbar lieber auf den Rotstift - und streichen so lange Stellen und Fertigungskapazitäten zusammen, bis nur noch ein Torso übrig bleibt, der kaum Überlebensperspektiven besitzt. Ihre Kasse füllen sie trotzdem, auch auf Kosten anderer. Das Insolvenzverfahren im Jahr 2009 entlastete GM mit tatkräftiger Unterstützung der US-Regierung nach Expertenschätzungen um insgesamt knapp 100 Milliarden Euro. Die deutsche Regierung steuerte rund 1,8 Milliarden Euro zur Rettung von Opel bei. Auch in Australien greift die Regierung jetzt tief in die Tasche. Das Land zahlt 219 Millionen Euro, damit General Motors   den Bestand seiner beiden australischen Werke garantiert.

Weitere Einschnitte sind absehbar

Bei den beiden Werkschließungen von Bochum und Ellesmere wird es wohl kaum bleiben. Die Firmenleitung fordere von der Belegschaft den Verzicht auf Tariferhöhungen und Teile des Weihnachts- und Urlaubsgelds, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". So sollen die Opel-Beschäftigten flexibleren Arbeitszeiten zustimmen und auf Wochenendzuschläge verzichten. Außerdem soll der Anteil der Leiharbeiter deutlich steigen, Dienstleistungsarbeiten wie Kantine oder Wachdienst sollen nach einem niedrigeren Tarif bezahlt werden. Auch Teile der Komponentenproduktion stehen zur Disposition.

Dabei haben die Beschäftigten aus ihrer Sicht bereits einen großen Beitrag zur Sanierung von Opel geleistet. Sie ließen sich auf Lohnkürzungen, Entlassungen und Werksschließungen ein, die dem Unternehmen insgesamt rund eine Milliarde Euro Entlastung bringen.

Sicher, auch andere Unternehmen versuchen mit bisweilen rauen Methoden ihre Personalkosten zu drücken. Auch andere Unternehmen greifen Subventionen ab, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet. Doch vor allem GM fiel in den vergangenen Jahren durch eine Unternehmenspolitik auf, die in erster Linie auf finanzielle Zuwendungen baut - in welcher Form und von wem auch immer.

Die Autos des Konzerns hingegen haben gegen die Konkurrenz kaum noch eine Chance - vor allem die der von Einschnitten gezeichneten Marke Opel. In Europa ging deren Absatz im vergangenen Jahr um 20 Prozent zurück. Hauptgrund: Es fehlt die klar umrissene Zielgruppe. Astra und Co. kommen in Tests zwar inzwischen gut weg, was ihnen wenigstens noch die Aufmerksamkeit von Flottenbetreibern und Car-Sharing-Organisationen einbringt. Was fehlt, ist einfach das gewisse Etwas, das die Autos zum must have macht. Für einen Volkswagen-Golf bezahlen die Kunden einen oder zwei Tausender mehr, den Astra muss Opel mit bis zu 30 Prozent Nachlass in den Markt drücken, wie eine Rabattstudie erst jüngst aufdeckte.

Aufgepeppte Verkaufsstatistik

Nach Berechnungen von Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte und Professor an der Universität Duisburg-Essen, sind die Opel-Werke derzeit zu maximal 75 Prozent ausgelastet. Genau gerechnet ist die Situation bei Opel sogar noch dramatischer, als es die offiziellen Verkaufszahlen vermuten lassen. Denn laut Dudenhöffer wurden 42 Prozent der produzierten Autos zunächst auf die Händler oder Opel selbst zugelassen und anschließend als Gebrauchtwagen mit hohen Abschlägen verkauft. Mit dem Trick schönen zwar auch die Konkurrenten ihre Verkaufszahlen, keiner jedoch so stark wie Opel.

Mit anderen Worten: Das Unternehmen baut Autos, die niemand wirklich haben will, und dem Management scheinen sowohl der Willen als auch die Ideen zu fehlen, um daran etwas zu ändern. Stattdessen verlegt die Opel-Muttergesellschaft GM offenbar ihre Energie darauf, Mitarbeitern und Regierungen das Geld aus dem Kreuz zu leiern, das sich mit den eigenen Autos nicht mehr verdienen lässt.

Diese Mentalität hinterlässt ihre Spuren nicht nur bei Entwicklung und Marketing, sondern auch in der Fertigung. Während andere Autobauer wie Volkswagen  , BMW   oder Daimler   ihre Werke je nach Bedarf mit der Montage von verschiedenen Modellen auslasten können, herrscht bei Opel ein nahezu starres System. Dabei böte die Schwestermarke Chevrolet die Möglichkeit, die Lücken auf den Bändern in Bochum oder Rüsselsheim zu füllen. Die Chevrolet-Bestseller Orlando und Cruze, die sich auch in Europa gut verkaufen, nutzen die gleiche Plattform wie Astra und Co. Die Arbeitnehmervertreter werben seit langem für eine solche Lösung. Doch offensichtlich fehlt den Opelanern dafür die Lobby innerhalb des Top-Managements.

Dabei hätten sie eine bessere Behandlung verdient: Immerhin nutzt General Motors die Kreativität der Rüsselsheimer Ingenieure nach Kräften. So entstand im Opel-Entwicklungszentrum in Rüsselsheim die globale Kompaktklassen-Architektur, auf der nicht nur Opel Astra und Zafira basieren, sondern auch Chevrolet Cruze und Buick Excelle. Die globale Mittelklasse-Architektur von GM basiert auf dem Opel Insignia und wird auch für den Chevrolet Malibu und den Buick Regal eingesetzt. GM braucht also die Opel-Ingenieure, sollte man meinen. Doch welche Rolle bleibt Ingenieuren in einem Autokonzern, in dem längst nicht mehr Autos die Hauptrolle spielen, sondern kurzfristige Finanzkennzahlen?

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