Griechenland und der Euro Rausschmiss ist keine Lösung

Grieche mit Nationalflagge: Alles Memmen in Berlin und Brüssel?
Foto: YANNIS BEHRAKIS/ REUTERS"Call it a Day", macht endlich Feierabend, fordert mein Kollege Nikolaus Blome in Bezug auf Griechenland. Dass es von Europas Spitzenpolitikern keiner wagt, das Land aus dem Euro zu schmeißen, erklärt er schlicht mit Feigheit: "Kanzlerin Merkel, EZB-Präsident Draghi, EU-Kommissionschef Juncker - keiner will es hinterher gewesen sein. Keiner will sich hinterher öffentlich vorwerfen lassen, sein letztes Votum hätte ein ganzes Land aus dem Euro katapultiert."
Und wie zur Bestätigung meldet die "Zeit", dass die Bundesregierung an Plänen arbeitet, wie Griechenland selbst dann im Euro gehalten werden kann, wenn das Land in den kommenden Wochen in eine erneute Staatspleite rutscht.
Also alles Memmen in Berlin und Brüssel?
Wenn Probleme so richtig vertrackt erscheinen, wenn sich der Knoten einfach nicht aufschnüren lässt, dann wächst die Sehnsucht nach der einfachen, radikalen Lösung: Haut den Knoten einfach durch, schmeißt die Griechen raus.
Doch ein genauerer Blick zeigt: Der Euro-Rausschmiss der Griechen würde kaum eines der Probleme lösen, mit denen wir uns 'rumärgern. Und er wäre auch zutiefst ungerecht, denn an der griechischen Misere trägt die verkorkste "Rettungspolitik" der übrigen Eurostaaten einen ähnlich hohen Anteil wie die verkommene politische Elite in Griechenland.
Die vier wichtigsten Argumente, warum wir Griechenland im Euro halten sollten:
1. Das gibt Tote
Was Stammtisch und Boulevard gemeinhin unter einem Griechen-Rausschmiss verstehen, ist folgendes: Die Europäische Zentralbank (EZB) stellt die Geldversorgung der griechischen Banken ein. Die Banken könnten sich keine Euro mehr bei der EZB leihen und keine Kredite mehr vergeben.
Von der Geldversorgung abgeschnitten zu sein, bedeutet für jede Volkswirtschaft die ultimative Katastrophe. Das Wirtschaftsleben in Griechenland würde binnen kurzer Zeit zusammenbrechen, die Zahl der Arbeitslosen noch einmal rapide steigen. Wahrscheinlich würden die Griechen sich mit einer Art von handelbaren Schuldscheinen über die größte Geldnot hinweghelfen. Doch selbst dann wäre Griechenland formal noch immer Mitglied der Währungsunion. Ein freiwilliger Austritt, das hat die griechische Regierung immer wieder erklärt, kommt nicht infrage. Eine rechtliche Grundlage für einen Rausschmiss gibt es nicht.
Letztlich müssten die übrigen Euromitglieder Griechenland in einem monatelangen Prozess aus der Währungsunion hinausekeln, indem die EZB das Land immer tiefer in die Rezession treibt. Dieser Schritt wird ganz konkret Menschenleben kosten - durch mehr Selbsttötungen und einen Zusammenbruch der medizinischen Versorgung. Mir ist jeder Politiker und Notenbanker sympathisch, der diese Schuld nicht leichtfertig auf sich laden will.
2. Das wird teuer
Die rund 227 Milliarden Euro, die bisher an Hilfsgeldern nach Griechenland geflossen sind, wären dann natürlich komplett verloren. Schon jetzt kann Griechenland seine Schulden kaum begleichen. Ist die Wirtschaft erst zusammengebrochen, wird jeder Gedanke an Rückzahlung endgültig illusorisch. Zumal eine neue griechische Währung gegenüber Euro und Dollar kräftig abwerten würde, was die in diesen Währungen aufgenommenen Kredite für Athen noch teurer macht.
All das ist den meisten Feierabend-Verfechtern wahrscheinlich auch klar - sie argumentieren, dass nach einem Rausschmiss wenigstens dem schlechten Geld kein gutes mehr hinterher geworfen würde. Aber auch dieser Schluss greift zu kurz. Griechenland wäre ja weiterhin Mitglied der Europäischen Union und hätte über die diversen Struktur- und Regionalfonds weiterhin Anspruch auf Unterstützung. Ein auf Jahrzehnte hinaus verarmtes Griechenland am Rande Europas würde uns daher auch auf Jahrzehnte hinaus Geld kosten. Von der dann wahrscheinlich noch größeren politischen Unberechenbarkeit des Landes ganz zu schweigen.
3. Das kommt zu spät
Tatsächlich hätte es durchaus einen Zeitpunkt gegeben, an dem ein freiwilliger Euro-Austritt Griechenland geholfen hätte. Zeitgleich mit dem ersten Schuldenschnitt 2012 hätte das Land vorübergehend zur Drachme zurückkehren können. Die hätte dann gegenüber dem Euro kräftig abgewertet, was die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands schlagartig verbessert hätte. Die Rezession in Griechenland wäre deutlich flacher ausgefallen. Für diesen Schritt ist es inzwischen zu spät. Griechenland hat den gleichen Prozess durch eine ungleich schwierigere innere Abwertung vollzogen, vor allem durch den jahrelangen Verzicht auf Lohnerhöhungen und einen harten Sparkurs. Inzwischen sind nicht mehr die hohen Arbeitskosten das Problem der griechischen Wirtschaft, sondern die fehlende Nachfrage im Land selbst und die noch immer ausufernde Bürokratie.
4. Das ist ungerecht
Keine Frage: Die Irrlichterei der Syriza-Regierung ist schwer zu ertragen. Aber auch die vorherige konservative Regierung war in Sachen echte Reformen ein Totalausfall. Das hat im Rest der Eurozone allerdings niemanden gestört, solange die Truppe um Antonis Samaras nur den Sparkurs durchgezogen und zu allen Forderungen der Troika brav genickt hat, bevor man sie dann meist ignorierte.
In Wahrheit haben in der Griechenlandkrise alle Seiten versagt: Die linke wie rechte politische Elite in Athen. Aber auch die übrigen Euro-Partner. Die haben sich von der Bankenlobby ins Bockshorn jagen lassen - und es so überhaupt erst zugelassen, dass nun die Interessen deutscher Steuerzahler gegen die von griechischen Steuerzahlern stehen. Beim ersten Schuldenschnitt des Landes wurde die Schuldenlast Griechenlands um nominal gut 50 Prozent reduziert. Jedem, der rechnen kann, war schon damals klar: Das reicht nie, um das Land finanziell wieder lebensfähig zu machen. Im Gegenzug für den Teilverzicht konnten Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften das Risiko ihrer wackeligen Griechenland-Papiere auch noch auf öffentliche Institutionen abwälzen - und betrachten das Griechenland-Desaster seither gelassen von der Zuschauertribüne.
Der richtige Weg hätte damals darin bestanden, Griechenland von allen Staatsschulden zu befreien und die Finanzindustrie vollständig auf ihren Verlusten sitzenzulassen. Hätte das tatsächlich die eine oder andere Bank ins Wanken gebracht, hätten die Eurostaaten diesen Instituten immer noch mit Bürgschaften oder Kapitalspritzen helfen können. Aber dafür fehlte den Politikern damals tatsächlich der Mut.
Hätte, hätte ... die verpassten Chancen zeigen: Die übrigen Eurostaaten sind durchaus auch selbst daran schuld, dass nun 227 Milliarden Steuergeld im griechischen Feuer stehen. Auch der Wahlsieg des Linkspopulisten Alexis Tsipras kommt nicht ganz überraschend. Eine jahrelange Rezession befördert nun einmal die politischen Extreme. Das sollte gerade in Deutschland kein Geheimnis sein.
Und wie soll es nun weitergehen? Vielleicht brauchen wir eine andere Art von Schlussstrich. Vielleicht ist es an der Zeit, Griechenland noch einmal so viel Geld zur Verfügung zu stellen, dass das Land seine Schulden gegenüber Internationalem Währungsfonds und EZB begleichen kann - und das Land dann einfach mal in Ruhe seinen Weg finden zu lassen.
Die klugen Ratschläge aus dem Rest Europas haben den Griechen jedenfalls wenig Glück gebracht.