Gefälschter Haarwuchsmittel-Test "Der Kunde KOCHT!!!"

Studien deutscher Marktforscher sind nach SPIEGEL-Informationen bisweilen gefälscht: Tests, für die angeblich Menschen befragt wurden, sind zu großen Teilen ausgedacht. Zum Beispiel bei einem Haarwuchsmittel.
Foto: Max Heber/DER SPIEGEL
Die Akte Marktforschung
Foto: Max Heber/DER SPIEGEL

Dieser Artikel ist Teil der Serie "Die Akte Marktforschung". Tricksen, täuschen, manipulieren: Bei Umfragen in Deutschland wird geschummelt. Eine SPIEGEL-Recherche deckt Betrug in der Branche auf. Lesen Sie alle Texte dazu auf unserer Themenseite. 

Eine beliebte Art von Marktforschung ist der Test von Produkten, die künftig verkauft werden sollen. Dazu werden im ersten Schritt passende Probanden gesucht, denen dann die Artikel, seien es Duschgels, Überraschungseierfiguren, Cremes oder Nudelsoßen übergeben oder zugeschickt werden. Die Testpersonen dürfen das Produkt ausprobieren und werden anschließend einmal oder mehrfach zu ihren Erfahrungen befragt.

Eigentlich. Denn der Aufwand ist im Verhältnis zum Honorar von 20 Euro pro Interview offenbar viel zu hoch. Wie es anders geht, zeigt ein Beispiel, in dem ein Haarwuchsmittel getestet werden sollte.

"Mit diesen Quoten ausfüllen"

Die Marktforscher von CSI International suchten im Kundenauftrag Probanden mit unterschiedlichen Haarlängen (sehr kurz, kurz, mittlere Länge, lang, sehr lang), zu gleichen Teilen Frauen und Männer, die an Haarausfall leiden. Die werden dann, so das offizielle Vorgehen "gebeten über einen Zeitraum von 84 Tagen insgesamt 60 Ampullen eines Produktes zu testen. Dazu findet dann immer alle 14 bzw. 28 Tage eine Nachbefragung statt. Am Ende des Testes werden die Produkte, welche noch übrig sind wieder eingesammelt".

Statt mühsam Probanden zu suchen, lautete die Anweisung an die Interviewer, sich welche auszudenken. Die Aufforderung scheint unmissverständlich: "Wir haben heute die Rekrutierungsfragebögen verschickt. Die entsprechende Quote dazu befindet sich im Anhang! Also die Rekrutierungsfragebögen mit diesen Quoten ausfüllen." Die "Quote" bezeichnet in der Marktforschung den Anteil der jeweils gesuchten Personen, etwa 50 Prozent Frauen oder 25 Prozent mit starkem Haarausfall oder zehn Prozent mit fettiger Kopfhaut.

Video: Der Umfragen-Lüge auf der Spur

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Weil da einiges schiefgehen kann, sind die Anweisungen sehr detailliert. So müssen für unterschiedliche Orte unterschiedliche Interviewer angegeben werden, da es sich nicht um Telefoninterviews handeln soll. "Bei Allerweltsnamen wie Müller, Meier, Schulze - vom Interviewer - bitte auch einen Vornamen dazu schreiben!!"

Dann noch der hilfreiche Hinweis "Unterschiedliche Schriften sind jedoch NICHT nötig!!" Die Papierfassungen sollen verhindern, dass "ihr bei der nächsten Nachbefragung nicht mehr wisst, was ihr vorher geantwortet habt". Die Vornamen für die Testpersonen werden offenbar frei vergeben ("Dieser muss bei jeder einzelnen Befragung übereinstimmen, genauso wie eine Testpersonennummer - diese bitte dem Quotenplan entnehmen!").

Peinliche Pannen

So ganz einfach ist das aber nicht. Erst müssen die "Interviewer" Fragebögen auf Papier ausfüllen, um anschließend die Daten in einen Computer einzugeben. Der Kunde will die Fragebögen zusätzlich zum Datensatz bekommen, vielleicht zur Kontrolle. Damit die Ergebnisse einen Sinn ergeben, sind die Vorgaben sehr genau: "Es gibt mehrere Fragen, wo eine Zahl eingegeben werden soll. Gemeint sind die Fragen 7 und 8. Diese Fragen sind gedacht, sogenannte 'Incidenzen' zu zählen. Ihr müsst euch gar keinen Kopf machen, warum das so ist. Einfach nur folgendermaßen ausfüllen: Im Papierfragebogen: wenn in eurem Quotenplan z. B. im Feld Frage 7 eine '7' steht, dann bitte die 1,2,3,4,5,6 und 7 ankreuzen."

Diese Angaben ergeben eigentlich nur dann einen Sinn, wenn keine wirklichen Interviews geführt werden.

Animation: So funktioniert Betrug in der Marktforschung

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Im zweiten Schritt werden dann die Ergebnisse der "Nachbefragungen" eingegeben, auch hier hat CSI International wieder einige Probleme: "Ich habe hier zwei Interviews, bei denen bereits der 2. Recall eingegeben wurde! Wie kann das bitteschön sein? Ich bitte um sofortige Klärung, der Kunde KOCHT!!!"

Auch diese peinliche Panne wird irgendwie erklärt, so dass der Test weiterlaufen kann.

Die größte Schwierigkeit kommt zum Schluss: "Der Endkunde hätte gern gehabt, dass alle Teilnehmer ein Selfie machen, auf dem man den Haarverlust erkennen kann. Das bekomme ich natürlich nicht von euch! Aber vielleicht könnt ihr in den nächsten Tagen einfach mal euch selbst, eure Partner, Nachbarn, Freunde usw. fotografieren und mir die Fotos zusenden." Beispiele schickt CSI gleich mit - und warnt schon mal vor: "Bitte damit rechnen, dass wir auch am Ende eventuell nochmals Fotos machen sollen!"

Nächster Auftrag: Deos

Ob der Kunde mit den Ergebnissen wirklich etwas anfangen kann, ist unklar. Die Interviewer jedenfalls haben an den Produkten wohl eher keine Freude ("Bitte die Flaschen einsammeln, leeren und schnellstmöglich an mich zurückschicken!"), aber dafür gleich den nächsten Auftrag im Postfach: "Im Paket sind im Übrigen außerdem Deodorants und Fragebögen für Deodorants, die weiteren Infos dazu kommen noch im Laufe dieser Woche!"

Auf die SPIEGEL-Anfrage zu den Manipulationsvorwürfen reagiert CSI-Geschäftsführer Henning Eichholz zurückhaltend: "Die Vorwürfe, wegen derer Sie recherchieren, sind weitreichend und betreffen möglicherweise lange Zeit zurückliegende Projekte", schreibt Eichholz. Er hoffe auf Verständnis, dass das Unternehmen "die Situation und Abläufe zunächst intern zu recherchieren haben".

Mehr dazu im SPIEGEL TV Magazin Sonntag, 4. Februar, um 22.30 Uhr auf RTL
Recherche: Peter Maxwill, Philipp Seibt, Ansgar Siemens. Redaktion: Jörg Diehl
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