Münchhausen-Check Zwei Meinungen, ein Nobelpreis

Bekanntgabe des Wirtschaftsnobelpreises: "Überraschend und widersprüchlich"
Foto: JONATHAN NACKSTRAND/ AFPDer schwedische Industrielle und Erfinder Alfred Nobel (1833-1896) bestimmte, dass nach seinem Tod die Zinsen aus seinem Vermögen an diejenigen gehen sollen, "die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben". Das Geld sollte alljährlich zu gleichen Teilen auf Preisträger aus den Gebieten Physik, Chemie, Medizin, Literatur und "Frieden" verteilt werden .
Erstmals 1901 verliehen, sorgte die Entscheidung der Akademie sogleich für Diskussion, als bekannt wurde, dass die Wahl im Fach Literatur auf Sully Prudhomme und nicht auf Leo Tolstoi gefallen war.
Seither werden Listen obskurer Preisträger erstellt oder Listen derer, die den Nobelpreis eigentlich verdient hätten, ihn aber nie bekamen .
In den Wirtschaftswissenschaften ist sogar der Preis an sich umstritten: Der sogenannte Wirtschaftsnobelpreis wurde nämlich erst nachträglich, im Jahr 1968, von der schwedischen Reichsbank gestiftet und wird seitdem von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften lediglich in Erinnerung an Alfred Nobel verliehen .
Das hält mancher für unstatthaft: "Ich habe keine Wirtschaftsausbildung und hasse sie von Herzen", zitierten Nachfahren ihren Ururgroßonkel Alfred Nobel und forderten, die Ökonomen aus der Familie der Nobelpreisträger wieder auszusondern .
Wirtschaftler haben ein eher schlechtes Image: Während Naturwissenschaftler eine Sonnenfinsternis auf Ewigkeiten im Voraus exakt berechnen können, gehen bei den Wirtschaftsweisen selbst Prognosen auf ein Jahr daneben .
Auch präsentiert sich die Disziplin zutiefst gespalten. Ein Spott besagt, dass es nur bei den Wirtschaftswissenschaften möglich ist, dass zwei Leute zugleich den Nobelpreis gewinnen, die exakt gegenteiliger Ansicht sind. So geschah es 1974, als Gunnar Myrdal und Friedrich A. Hayek den Preis zusammen überreicht bekamen, der eine Erfinder des schwedischen Wohlfahrtsstaates, der andere ein radikaler Neoliberaler - und so ist es heute wieder .
Der Chicagoer Professor Eugene Fama gilt als Erfinder der "Efficient Market Hypothesis" (EMH), jedenfalls prägte er 1970 den Begriff. Seine Effizienzmarkthypothese besagt, dass der Preis eines Gutes das Ergebnis aller für die Markteilnehmer erreichbaren Informationen ist und somit die bestmögliche Schätzung des immanenten Wertes dieses Gutes.
Wie in der Ökonomie üblich, geht die Hypothese von rationalem Verhalten der Marktteilnehmer aus.
Der beste Markt im Sinne dieser Hypothese ist die Börse. Hier hört man das Gras wachsen, und hier ist das verfügbare Wissen in ultrakurzer Zeit eingepreist. Keiner weiß mehr, und niemand kann also den Preis von morgen vorhersagen. Folglich schwanken die Kurse rein zufällig um den immanenten Wert - "wander randomly about its intrinsic value", so Fama 1965 in einem mittlerweile berühmten Satz .
Einer der schönsten und treffendsten Beweise für die Richtigkeit dieser Hypothese geht wie folgt: Ein Affe, der mit verbundenen Augen Pfeile auf den Kursteil einer Zeitung wirft, wird das Portfolio nicht schlechter managen als der Bankberater an ihrer Seite. Heißt: Die Marktpreise sind immer richtig; die Börse hat immer recht.
Diese Einschätzung hält wiederum Robert Shiller für einen der "bemerkenswertesten Irrtümer in der Geschichte des ökonomischen Denkens". Shiller wurde einem größeren Publikum mit seinem Buch "Irrational Exuberance" ("Irrationaler Überschwang") bekannt. Sein Ruhm gründet nicht zuletzt darauf, dass er die Finanzkrise rechtzeitig vorhergesagt hat .
Shillers empirische Untersuchungen ergaben, dass Kursprognosen sehr wohl möglich seien. Denn langfristig besteht ein Zusammenhang zwischen den Gewinnen einer Firma und der Kursentwicklung ihrer Aktien. Steigen die Papiere über ein historisch normales Kurs-Gewinn-Verhältnis hinaus, wird sich irgendwann eine Korrektur einstellen, und zwar desto stärker, je größer die Abweichung zuvor ausgefallen war.
Die Kurse erreichen immer wieder Höhen, die schließlich ökonomisch und rational als absurd erscheinen. Der Finanzmarkt ist also laut Shiller nicht von Effizienz, sondern von Irrationalität geprägt.
Die Königlich Schwedische Akademie versuchte nun in der Begründung ihrer Entscheidung, beide Arbeitsergebnisse, die man, wie die Juroren einräumten, als "ü berraschend und widerspr ü chlich " verstehen kann, als gegenseitige Ergänzung zu verkaufen: Fama hätte gezeigt, dass es keinen Weg gäbe, bei Aktien und Anleihen vorherzusagen, ob es die nächsten Tage oder Wochen mit den Kursen nach oben oder unten gehe. Aber das sei, wie wir bei Shiller lernten, für längere Perioden von etwa drei bis fünf Jahren gut möglich .
Das kann man auch weniger harmonisch ausdrücken. Paul Krugman, selbst Ökonomie-Nobelpreisträger, urteilt: Famas Arbeit habe eine Benchmark gesetzt. Shiller habe dann gezeigt, dass die EMH in der Praxis versagt. Dennoch, so Krugman weiter, habe Fama den Preis verdient - für seinen Umgang mit bestimmten ökonometrischen Methoden, den Experten für großartig hielten.
Richtig daran ist: Die Entscheidung der Akademie hebt nicht auf die inhaltlichen Ergebnisse der jeweiligen Studien Famas und Shillers ab, sondern auf die methodisch-instrumentelle Leistung beider: Fama wie Shiller hätten sich, so heißt es zur Begründung, um die "empirische Analyse von Wertpapierpreisen" verdient gemacht .
Die Akademie habe so einen bewundernswerten Weg gefunden, kommentiert Krugman, Fama die lang erwartete Ehre zuteilwerden zu lassen, ohne den Anschein zu erwecken, man habe nun völlig den Kontakt mit der Außenwelt verloren .
Fazit: Die Akademie wusste, was sie tat, aber man muss wohl Ökonom sein, um die Entscheidung teilen zu können. Wer dagegen im Zuge der Finanzkrise 2008/09 im Vertrauen auf die Effizienz der Märkte sein Geld verlor, dürfte kaum Verständnis aufbringen.
Note: Null Punkte für die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften
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