Nur noch geimpft oder genesen Was die neuen Coronaregeln für Geschäfte und Restaurants bedeuten

Hinweis auf 2G-Regel in einem Geschäft: Die Regeln müssen auch kontrolliert werden
Foto:Robert Michael / dpa
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Bei Christian Krömer wurden diese Woche Erinnerungen an den 16. März 2020 wach. Seine Geschäfte und fast alle anderen Läden bundesweit mussten damals wegen der Pandemie zum ersten Mal komplett schließen.
Ganz so schlimm ist es nach der jüngsten Schalte zwischen Bundes- und Ländervertretern nicht gekommen – doch deutschlandweit soll in der Gastronomie und im Einzelhandel künftig 2G gelten: Zutritt also nur noch für Geimpfte und Genesene, Ausnahmen sind lediglich für Geschäfte des täglichen Bedarfs vorgesehen. Diskotheken müssen bei Inzidenzen über 350 komplett schließen.
Mit der Einigung auf 2G werden für Krömer die Probleme mit der Pandemie wieder größer.
Krömer ist 38 Jahre alt und Chef einer Spielwarenkette in Bayern: 24 Filialen, etwa neun Millionen Euro Umsatz und rund 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die neue Regel trifft ihn ausgerechnet im wichtigen Weihnachtsgeschäft.
»Wir rechnen mit weniger Frequenz in den Läden, wegen der Unsicherheit der Menschen – und weil ein bestimmter Teil nicht mehr kommen darf«, sagt Krömer. »Am meisten könnte uns im Weihnachtsgeschäft jedoch der zusätzliche Aufwand zu schaffen machen, diese Regeln auch zu kontrollieren.«
Kontrollen, aber wie?
Denn trotz Einigung auf die 2G-Regel sind wichtige Fragen noch ungeklärt: Wie müssen die Nachweise kontrolliert werden? »Wenn das erst stichprobenartig an der Kasse passiert, ist das Kind ja schon in den Brunnen gefallen«, sagt Krömer.
Was ist, wenn sich vor den Eingängen Schlangen bilden? »Montag ist Nikolaus, das ist einer der umsatzstärksten Tage des Jahres für uns. Wenn dann die Menschen vor den Geschäften warten müssen, können wir auch nicht immer genau kontrollieren, ob auch die Abstände eingehalten werden.«
Die Kontrollen und der Ausschluss Ungeimpfter treffen Geschäfte und Gastronomie in einer heiklen Phase. Vielen stecken noch die vergangenen Shutdowns in den Knochen, und in den Wochen vor Weihnachten machen viele Händler und Gastwirte den meisten Umsatz, mit Geschenken oder Weihnachtsfeiern. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) rechnet durch die 2G-Regelung allein im stationären Einzelhandel mit Einbußen von etwa 5,3 Milliarden Euro im Dezember.
Branchenvertreter hatten deshalb bis zuletzt alles versucht, die flächendeckende Einführung von 2G abzuwenden.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) ließ von der renommierten Kanzlei Noerr ein Gutachten erstellen , wonach die nun beschlossenen Einschränkungen verfassungswidrig seien. In einem Brief an Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren designierten Nachfolger Olaf Scholz (SPD) schrieb Verbandspräsident Josef Sanktjohanser, 2G verletze die Berufsfreiheit der Einzelhändler und verstoße gegen Gleichheitsrechte.
Doch der Widerstand half nicht.
Spielwarenhändler Krömer befürchtet nun eine Situation wie in den vergangenen Shutdowns: dass Supermärkte und Drogeriemärkte, die von 2G ausgenommen sind, plötzlich wieder Modeaktionen machen, in großem Stil Blumen – oder eben Spielwaren – verkaufen. Das ärgert den Chef des Familienbetriebs. Doch er sagt auch: »Bei allem Ärger über 2G, das ist mir hundertmal lieber als geschlossen.« Schließlich seien die Regale und Lager voll bis obenhin: »Wir haben uns wegen der coronabedingten Lieferengpässe ja frühzeitig mit Ware eindecken müssen.«
Hauptsache offen. Damit, so hofft Krömer, wird er auch auf die nun ebenfalls verlängerten Überbrückungshilfen verzichten können. Bei besonders betroffenen Betrieben sollen sie nun bis Ende März 2022 helfen, Fixkosten aufzufangen. »Ich will keine Hilfe, sondern mein Geld selbst verdienen«, sagt Krömer. Für andere, stärker betroffene Händler fordert HDE-Geschäftsführer Stefan Genth leichteren Zugang zu Überbrückungshilfen. Bislang müssen die Geschäfte mindestens 30 Prozent Umsatzrückgang im Vergleich zu 2019 nachweisen, um Hilfen zu erhalten. Der Handel solle nicht für die Versäumnisse der staatlichen Impfkampagne einstehen müssen, schimpft Genth.
Unsicherheit für die Gastronomie
In der Gastronomie beobachtet man die jüngsten Beschlüsse vielerorts ebenfalls mit Sorge. Vorerst ist zwar zumindest in Gaststätten eine flächendeckende 2G-plus-Regel vom Tisch, Geimpfte und Genesene müssen also nicht grundsätzlich noch zusätzlich einen aktuellen negativen Test vorweisen. Allerdings soll laut dem Papier ergänzend ein zusätzlicher Test eingeführt werden können, wenn dies bei hohen Fallzahlen nötig wird.
Hinzu kommt: Länder und Regionen sollen wieder zeitlich befristet Gaststätten schließen und Hotelübernachtungen einschränken können. So zumindest die Bitte der Länderchefs an den Gesetzgeber, der das neue Infektionsschutzgesetz nachschärfen soll. Was davon in den nächsten Tagen umgesetzt wird? Offen. Die Runde hat sich um eine einheitliche Position gedrückt.

Weihnachtsmarktbuden im Innenhof des Regensburger Schlosses von Thurn und Taxis – sie bleiben nun dicht
Foto: Armin Weigel / dpa»2G plus wäre für viele Betriebe ein Quasi-Lockdown«, warnt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), angesichts dieser Optionen. »Spontane Cafébesuche, wenn man sich etwa auf der Straße trifft, wären so gut wie nicht mehr möglich, weil auch keine ausreichenden Testkapazitäten vorhanden sind«, sagte sie dem SPIEGEL. Sie hält es für falsch, nun verstärkt wieder die Geimpften in den Fokus zu nehmen. »Stattdessen muss jetzt 2G konsequent umgesetzt werden.«
Überhaupt leide die Branche seit Pandemiebeginn stark – und die Lage verschlechtere sich »von Tag zu Tag«. Wenn sich die Bundesregierung nicht darauf einige, das Kurzarbeitergeld, welches bis Ende März erleichtert bezogen werden kann, weiterhin aufzustocken, drohten erneut zahlreiche Menschen die Branche ganz zu verlassen.
Spielwarenhändler Christian Krömer
Schon jetzt geht es vielen Betrieben schlecht – vor allem im Osten und Süden der Republik, wo die Coronazahlen besonders hoch sind. So brachen die Umsätze von Hotels und Gaststätten laut Dehoga im November im Vergleich zum Vor-Corona-November 2019 bundesweit um mehr als 30 Prozent ein, heißt es unter Berufung auf eine Umfrage.
Bei der Umsatzentwicklung gibt es demnach große regionale Unterschiede: Besonders heftig sind die Verluste von Gastronomen und Hoteliers in Bayern und Sachsen, wo sich Betriebe bereits in einem regionalen Lockdown befinden – und das Geschäft um mehr als die Hälfte zurückging. Weniger stark sind die Einbußen bisher etwa in Schleswig-Holstein. Hier beträgt der Rückgang gerade mal rund 15 Prozent.
Im Einzelhandel sind ebenfalls noch vor den neuen Regeln die Umsätze unerwartet stark zurückgegangen. »Wenn Weihnachtsmärkte wegfallen und mehr Menschen im Homeoffice sind, trifft uns das auch, dann ist auch bei uns weniger los«, erzählt Spielwarenhändler Krömer.
Die Politik versucht, den ganz großen Knall noch mit Verlängerungen der Überbrückungshilfen abzuwenden. Zusätzlich zur Fixkostenerstattung sollen Unternehmen, die »besonders schwer und von Schließungen betroffen sind«, einen zusätzlichen Eigenkapitalzuschuss erhalten, wie es in einer Mitteilung von Finanz- und Wirtschaftsministerium heißt. Davon dürften besonders Advents- und Weihnachtsmärkte profitieren.