Kreativboom in der Ökobranche Von Biokohle bis Drachen-Power

Riesige Drachen kreisen am Himmel und erzeugen Strom, Maschinen pressen Gartenabfälle zu Kohle: Die Energiewende befeuert die Kreativität von Deutschlands Tüftlern. Auf der Hannover Messe präsentieren Ingenieure ihre besten Ideen. Fünf Konzepte im Überblick - von smart bis schräg.
Drachen-Kraftwerk: Kreativ-Boom in der Ökoszene

Drachen-Kraftwerk: Kreativ-Boom in der Ökoszene

Foto: Siegmund/BSR

Unter Deutschlands Erfindern herrscht Aufbruchstimmung. Seit die Bundesregierung die Energiewende eingeläutet hat, scheint keine Idee mehr zu schräg, um den Atomausstieg zu schaffen und den CO2-Ausstoß zu begrenzen. Die Umstellung der Strom- und Wärmeversorgung auf regenerative Quellen hat die Kreativität von Ingenieuren und findigen Geschäftsleuten beflügelt.

Auf der Hannover Messe präsentieren die Unternehmer der Energiewende nun ihre Konzepte. Es sind kleine und große Bausteine für das Zeitalter der erneuerbaren Energien - Vorschläge, die von einer neuen, besonders platzsparenden Geothermieheizung für Häuslebauer bis zur schwimmenden, 15.000 Tonnen schweren Offshore-Windplattform reichen.

SPIEGEL ONLINE stellt fünf vielversprechende Ideen vor.

Das Drachen-Kraftwerk

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Energie: Power aus dem Drachen-Kraftwerk

Foto: NTS

Es ist eine Energievision, die den Traum von der CO2-freien Stromerzeugung mit dem Traum vom Fliegen verbindet: Bunte Drachen ziehen am Himmel ihre Bahnen - und auf der Erde ein Fahrzeug. Es rollt über eine runde Schienenstrecke und treibt über eine Schnur einen Generator an. Der erzeugt Ökostrom. Drachen-Kraftwerk könnte man das nennen, vielleicht auch: DraKW.

Klingt schräg und ergibt doch Sinn: Deutschlands Ökobranche zieht es hinaus aufs Meer, weil dort der Wind stetiger weht als an der Küste. Der Luft- und Raumfahrtingenieur Uwe Ahrens dagegen strebt mit seiner Nature Technology Systems (NTS) in schwindelnde Höhen. Bis zu 500 Meter hoch sollen seine Drachen steigen, weil die Windverhältnisse dort noch besser sind als draußen auf dem Meer.

Wetterstatistiken zufolge könnten die bis zu 160 Quadratmeter großen Drachen an rund 330 Tagen im Jahr in der Luft sein. Ein entsprechendes Anlage würde fast so zuverlässig Strom produzieren wie ein Atomkraftwerk. Aber wie soll das eigentlich technisch funktionieren?

Auf der Hannover Messe posiert NTS-Mitarbeiter Martin Klaus vor einem klobigen Schienenfahrzeug, wie es derzeit schon über eine Teststrecke nahe der Stadt Friedland in Mecklenburg-Vorpommern rollt. Es ein Gefährt wie aus einem japanischen Robotermärchen: chromglänzend und klobig, rosa Kordeln schlängeln sich durch ein Wirrwarr aus Metallwinden. Klaus zieht an der Kordel, um zu demonstrieren, wie man den Drachen lenkt. Gesteuert wird er vollautomatisch per Software. "Ich wollte immer etwas bauen, das fliegt", sagt der junge Mann, der wie sein Chef Luft- und Raumfahrtingenieur ist. "Doch ein Flugzeug war mir zu langweilig."

Noch befindet sich das sogenannte Projekt X-Wind  im Anfangsstadium, noch hakt es an vielen Stellen. Doch das Interesse ist groß, zumal auch US-Firmen wie Makani Power  an einer ähnlichen Technik forschen. Der Bundesverband der Windenergie unterstützt die Tüftler finanziell. NTS muss allerdings erst noch beweisen, dass Drachen-Power eine rentable Form der Stromerzeugung ist und kein Hirngespinst der Energiewenden-Euphorie.

Biokohle

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Fotostrecke: Biokohle

Foto: SunCoal Industries / Paul-Langrock.de

Die schwarzen Stäbe in dem Glas könnten Lakritz-Dragees sein; sie riechen allerdings ziemlich streng nach Dung. In dem Glas befinden sich Pellets aus gepressten Pflanzenresten, sogenannte Biokohle. Deren energetische Ausbeute ist enorm hoch, sie übertrifft gar die von Braunkohle. Allerdings ist Biokohle CO2-neutral. Sie gibt beim Verheizen genau so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre ab, wie die Pflanzen, aus der die Biokohle besteht, zuvor durch Photosynthese gebunden haben.

Hergestellt wird die Biokohle in einem mehrstufigen Verfahren. Reststoffe wie Gras, Laub, Gärreste oder Inhalte der Biotonne werden zusammengepresst und entwässert - bei einer Temperatur von rund 200 Grad und einem Druck, wie er 200 Meter unter dem Wasser herrscht. Was in der Natur Millionen von Jahren dauert, schafft die Firma SunCoal in wenigen Stunden.

Das Verfahren zur Schnellherstellung von Kohle ist Wissenschaftlern lange bekannt. Schon 1913 hat es Friedrich Bergius in einem Aufsatz beschrieben. Nun, fast hundert Jahre später, will Friedrich von Ploetz, Geschäftsführer der Firma SunCoal , die Biokohle am Markt etablieren. Dafür hat der Diplomkaufmann sogar seinen gut bezahlten Job bei der Unternehmensberatung Roland Berger aufgegeben.

Die Herstellung von Biokohle ist aufwendig. Die Energie, die man zur Erzeugung braucht, entspricht rund 20 Prozent der in den Bioabfällen gespeicherten Energie. Gleichzeitig hat die Umwandlung Vorteile: Es werden Abfälle energetisch nutzbar, die zuvor nur verbrannt oder kompostiert wurden. Biokohle lässt sich zudem gut lagern und transportieren, und sie kann in regulären Kraftwerken verfeuert werden. Energiekonzerne können so die CO2-Bilanz ihrer Stein- und Braunkohlemeiler verbessern - ganz ohne teure Kraftwerksneubauten.

Bislang produziert die Firma SunCoal ihre Biokohle nur zu Testzwecken, in einer Anlage nahe Ludwigsfelde. Bescheidene 200 Kilo entstehen hier pro Stunde. Doch das soll sich bald ändern. Neben SunCoal setzen bereits andere Unternehmen auf die Technologie, unter anderem die Schweizer Firma AVA-CO2 . Ploetz will in den kommenden Jahren rund 20 Anlagen bauen. Zielgruppe sind vor allem die Kommunen. Die müssen für die Entsorgung von Grünabfällen derzeit zwischen 20 und 50 Euro pro Tonne zahlen - künftig sollen sie mit dem Biomüll Geld verdienen.

Die schwimmende Windkraft-Plattform

Modell einer schwimmenden Offshore-Plattform: Plug and play auf dem Meer

Modell einer schwimmenden Offshore-Plattform: Plug and play auf dem Meer

Foto: ABB

Der Bau von Hochsee-Windparks ist einer der wichtigsten Bausteine der Energiewende. Doch die Entwicklung geht nur sehr schleppend voran - nicht zuletzt wegen des unbeständigen Wetters.

Oft haben Ingenieure folgendes Problem: Eine Offshore-Windplattform soll aufgestellt werden. Der schwimmende Spezialkran ist extra zu hohen Kosten zur Baustelle auf dem Meer geschleppt worden. Doch dann spielt das Wetter nicht mit. Der Wind bläst zu stark, die Wellen schlagen zu hoch, der Kran kann nicht arbeiten. Die Aussichten für die kommenden Tage: ebenfalls schlecht. Üblicher Kommentar des Kranführers: "Tut mir leid, ich glaube, das wird nichts. Ich könnte in einem halben Jahr wiederkommen, da habe ich noch einen Termin."

Der Konzern ABB präsentiert nun eine Lösung für dieses Problem. Gemeinsam mit der norwegischen Aibel-Werft hat er eine schwimmende Windkraft-Plattform  entwickelt, für deren Installation keine Spezialkräne mehr benötigt werden. "Die gesamte Plattform kann an Land gefertigt und getestet werden", erläutert der Ingenieur Henning Wahlers. "Dann wird sie mit Schleppern zum Installationsort in der Nähe der Windparks hinausgezogen. Dort wird der Schwimmkörper mit Ballast versehen. Die Plattform sinkt auf den Meeresgrund ab und steht dort stabil." Um sie abzubauen, wird einfach der Ballast entfernt und die Plattform wieder an Land gezogen.

Diese "plug and play"-Lösung für die Offshore-Branche soll die Energiewende beschleunigen - und immer größere Hochsee-Windkraftwerke ermöglichen. Erstmals zum Einsatz kommt die 15.000 Tonnen schwere Schwimmplattform bei DolWin2, einem Projekt, bei dem mehrere Windparks in der Nordsee ans deutsche Übertragungsnetz angeschlossen werden. Ziel ist ein Hochsee-Kraftwerk mit einer Leistung von 900 Megawatt - so viel Power wie ein kleines Atomkraftwerk.

Erdwärmeheizung für Jedermann

Erd-Wärmepumpe von Wätas: Die Heizung wird zur autonomen Region

Erd-Wärmepumpe von Wätas: Die Heizung wird zur autonomen Region

Foto: WÄTAS

Die Heizkosten sind in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Hausbesitzer, die sich darüber ärgern, haben nun Chancen, der Preisrallye zu entgehen. Einen intelligenten Ansatz bietet die Firma Wätas an. Deren Chef, Torsten Enders, erinnert an einen Physiklehrer aus der Feuerzangenbowle. Er hat ein System entwickelt, mit dem sich das Eigenheim völlig autark heizen lässt.

Die Anlage funktioniert mit Erdwärme, sogenannter Geothermie. Sie besteht aus einem Tank und einigen hohlen, gewölbten Plastikplatten, in denen zwei Rohre stecken. Der Tank leitet ein sehr kaltes Wasser-Salz-Gemisch hinein, die Erde erwärmt das Gemisch, dann wird es in eine Wärmepumpe geleitet. Diese erhitzt das Wasser-Salz-Gemisch weiter, ähnlich wie ein Kühlschrank, der auf der Rückseite immer heißer wird, je stärker er arbeitet. Dadurch wird das Wasser-Salz-Gemisch bis zu 60 Grad warm und kann zum Heizen verwendet werden.

Solche Lösungen sind schon jetzt im Einsatz, oft für große, moderne Bürogebäude. Enders Angebot hat allerdings den Vorteil, dass es sehr platzsparend ist. Es genügt, gut 15 Meter lange Platten 1,50 Meter tief im Erdreich zu vergraben, um ein Einfamilienhaus zu beheizen. Rund 10.000 Euro kostet eine solche Anlage inklusive Installation. Dafür ist man künftig immun gegen die regelmäßigen Preiserhöhungen der Energieversorger.

Blitz-Schutz für Windmasten

Lightning Monitoring System von Phoenix Contact: Kontrollsystem bei Blitzeinschlägen

Lightning Monitoring System von Phoenix Contact: Kontrollsystem bei Blitzeinschlägen

Foto: Phoenix Contact

Windmasten ragen in Deutschland immer höher in den Himmel. An Land drehen sich die Windräder teils in 80 Metern Höhe, auf dem Meer befinden sie sich sogar bis zu 90 Meter über dem Meeresspiegel. Das mag die Windausbeute verbessern, gleichzeitig ziehen die Masten aber Blitze magisch an. Überdurchschnittlich oft schlagen sie in Windmasten ein.

Betreiber von Offshore-Windparks stellt das vor ein Problem. Bei jedem Blitzschlag muss ein Techniker im Hubschrauber aufs Meer hinausfliegen, um zu prüfen, wie groß der Schaden ist. Ist das Windrad schwer beschädigt? Läuft es zwar noch, hat aber eine Blessur davongetragen, die teure Folgeschäden anrichtet? Oder ist alles heil geblieben und der Hubschrauber umsonst aufgestiegen?

Die Firma Phoenix Contact hat dafür eine Lösung gefunden : Sie hat einen Sensor entwickelt, der aussieht wie ein Fahrradsattel. Er kann genau überwachen, welche Schäden bei einem Blitzeinschlag entstehen. Der Sensor funktioniert mit optischen Signalen, ist also selbst gegen die stärksten Stromstöße immun. Er ist mit einer kleinen Box verbunden, die die erhobenen Daten bei Bedarf an Land sendet. Das soll die Wartungskosten für Offshore-Windanlagen deutlich reduzieren.

In der Branche findet das Konzept offenbar Anklang. Das Lightning Monitoring System wurde mit dem Hermes-Award ausgezeichnet, dem Forschungspreis der Hannover Messe.

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