Berliner Flughafengesellschaft Controller außer Kontrolle

Grüße von Deutschlands peinlichster Baustelle: Zwei neue Bücher widmen sich dem Berliner Airport BER. Architekt von Gerkan erklärt, was schieflief - und warum ihn keine Schuld trifft. Erhellender ist jedoch ein anderes Werk über das absurde Innenleben der Flughafengesellschaft.
Flughafen Berlin Brandenburg: Absehbare Katastrophe

Flughafen Berlin Brandenburg: Absehbare Katastrophe

Foto: Patrick Pleul/ dpa

Berlin - Seit der spektakulären Absage des Eröffnungstermins für den Berliner Hauptstadtflughafen rätselt die Öffentlichkeit, wie es zu dem Desaster kommen konnte. Beinahe im Wochenrhythmus liefern Zeitungen neue Enthüllungen, im Berliner Abgeordnetenhaus durchforsten die Mitglieder eines Untersuchungsausschusses Aktenberge, und Großkanzleien suchen nach Belegen, die ihre Mandanten von Schadenersatzansprüchen freisprechen - oder einen Anspruch gegen andere begründen.

Von den direkt Beteiligten meldet sich jetzt erstmals Meinhard von Gerkan ausführlich zu Wort. In einem kleinen Bändchen mit dem Titel "Blackbox BER" legt der Flughafen-Architekt detailreich dar, wie politische Großmannssucht und ein chaotisches Management das Prestigeprojekt an die Wand fuhren. Über den Anteil seines Büros an dem Desaster schweigt er sich allerdings aus, was den Ausführungen ein wenig die Glaubwürdigkeit raubt.

Im Grunde ist es ein Glück für den angesehenen Architekten, dass nun ein zweites Buch erscheint, das zumindest indirekt Einblicke liefert, die Gerkans Perspektive plausibel erscheinen lassen. Obwohl Autor Matthias Roth es als Tagebuch angelegt hat, erfüllt es die Rolle eines Schlüsselromans: Die Figuren sind aus mehreren Charakteren zusammengesetzt, Orte und Zeiten verändert. Doch schon der Titel, "Der Hauptstadtflughafen", lässt keinen Zweifel übrig, um welches Unternehmen es sich handelt: die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg. Trotz der Veränderungen basiere die Schilderung auf der Wirklichkeit, versichert Roth gegenüber SPIEGEL ONLINE.

Studium des Organigramms

Der Job, den Roth 18 Monate lang bei der Flughafengesellschaft ausübte, gibt auf den ersten Blick wenig Anlass, um darüber Tagebuch zu führen. Er ist in der Abteilung zentrales Controlling angestellt. Doch anders als es zunächst den Anschein hat, handelt das Buch nicht von Zahlenkolonnen und Power-Point-Referaten, sondern von den brutalen Auswirkungen auf die persönliche Befindlichkeit, wenn man nichts zu tun hat.

Bereits das Pensum der ersten Woche lässt den Leser staunen: Es erschöpft sich im Studium eines Organigramms und dem vergeblichen Warten auf den einen Zugang zum firmeninternen Computernetzwerk. Und noch bevor der Autor mit seinem direkten Vorgesetzten ausführlich über seine Aufgaben sprechen kann, verabschiedet sich dieser in den Urlaub. Solch eine lasche Personalführung ließe sich in Bereichen verschmerzen, wo die Arbeitskraft nicht so hoch bezahlt ist. Doch im Controlling beginnen die Jahresgehälter bei knapp 50.000 Euro - eigentlich Grund genug, den Neuling schnell in den Betriebsablauf einzugliedern.

An der Situation ändert sich auch nach der Rückkehr des Vorgesetzten nichts. Wiederholte Versuche, Arbeitsaufträge an Land zu ziehen, scheitern. Die wöchentlichen Konferenzen der Abteilung erschöpfen sich in weitgehend sinnfreien Redebeiträgen ohne Tagesordnung und Protokoll. Das Nichtstun zeitigt schnell Wirkungen: Ausgelaugt, leer und frustriert verlässt der Autor abends das Büro.

Die immer wiederkehrenden Beschreibungen der alltäglichen Monotonie machen das Buch stellenweise etwas langatmig, gleichzeitig lassen sie die Unerträglichkeit der Situation regelrecht spürbar werden. Doch das Buch liefert noch weitere Erkenntnisse über die psychologische Fallstudie hinaus. Es verschafft dem Leser einen Einblick, wie desolat die Flughafengesellschaft organisiert ist. So hat das zentrale Controlling zwar die Aufgabe, die Ergebnisse der einzelnen Abteilungen zusammenzuführen, doch die Rolle einer übergeordneten Kontrollinstanz erfüllt sie nicht. Kritische Nachfragen sind unerwünscht. Ohne Controlling aber arbeitet ein Vorstand wie im Nebel.

Alltägliche Monotonie

Mehr noch: Der in dem Buch "Nummer 1" genannte Geschäftsführer - gemeint ist wohl der ehemalige Flughafenchef Rainer Schwarz - interessiert sich nicht im Geringsten für mehr Transparenz. Besonders deutlich bekommt der Autor das zu spüren, nachdem er - beneidet von befreundeten und ebenfalls gelangweilten Kollegen - den Auftrag für eine Risikobewertung an Land gezogen hat. Nach Vorgaben der Geschäftsführung ist der Bericht dreigeteilt. Ein Teil behandelt die Risiken für den Alltagsbetrieb der Flughafengesellschaft (für den Roth zuständig ist), ein anderer die Baustelle des Hauptstadtflughafens. Der dritte, für den Aufsichtsrat gedachte Teil schließlich beschreibt lediglich die Risiken, die die Geschäftsführung preisgeben will - ebenfalls ein Verstoß gegen die Grundregeln einer guten Unternehmensführung.

Die Schlüsselszene des Buchs ist eine Konferenz mit dem Geschäftsführer. Es geht um die Schwierigkeiten der Fluggesellschaft Air Berlin, die in dieser Zeit breit in der Tagespresse diskutiert werden. Roth will sie in den Risikobericht aufnehmen, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Doch Air Berlin ist einer der wichtigsten Kunden der Flughafengesellschaft, Probleme würden schnell auch den Hauptstadtflughafen betreffen. Sein Chef sieht mit der Erwähnung des Risikos gleich das gesamte Projekt Flughafenneubau in Gefahr. Der Aufsichtsrat soll deshalb nichts davon erfahren.

Interessant wäre es noch gewesen, was denn die Verantwortlichen der Flughafengesellschaft dazu sagen. Doch deren Sprecher, Ralf Kunkel, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Mehrmalige Anfragen blieben bis zum Freitagabend unbeantwortet.

So fügt "Der Hauptstadtflughafen" den Enthüllungen, den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus und dem Buch von Gerkan einen neuen Aspekt hinzu. Offensichtlich ist die Flughafengesellschaft gegen alle Regeln der Controlling-Kunst geführt worden. Mit der Baustelle hatte der Autor nach eigener Aussage zwar nichts zu tun. Doch es gibt wenig Anlass zu der Vermutung, dass dieser Bereich besser organisiert war. Das Chaos muss sich schon früh für alle Beteiligten - Manager, Architekten und Politiker - abgezeichnet haben. Und trotzdem zog niemand die Reißleine.

"Der Hauptstadtflughafen, Politik und Missmanagement" von Matthias Roth, zu Klampen Verlag 2013

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