ThyssenKrupp-Chef Hiesinger Retter mangels Alternative

Heinrich Hiesinger: Am ThyssenKrupp-Chef führt kein Weg vorbei
Foto: INA FASSBENDER/ REUTERSBochum - Kriegerische Bilder könnte man bei ThyssenKrupp für angemessen halten. Die alte Waffenschmiede hat sich an etlichen Fronten aufgerieben, die Festung der Krupp-Stiftung bröckelt. In Gestalt des Finanzinvestors Cevian sickern Truppen ein, die noch nicht klar zu erkennen geben, ob sie Freund oder Feind sind.
Heinrich Hiesinger, der seit drei Jahren den Ruhr-Konzern führt, trägt in diesem Sinn den Beinamen "Heinrich der Löwe". Hiesinger, ein ritterlicher Held. Er hat alte Seilschaften aufgelöst, mit Korruption und Kartellen aufgeräumt, einen Kulturwandel ausgerufen und versucht, alte Führungsfehler zu korrigieren.
Den Beinamen verliehen hat ihm ein Kleinaktionär, der nun aber schon wieder an den Vorschusslorbeeren zweifelt. "Hoffentlich enden Sie nicht als Bettvorleger", sagt er auf der Hauptversammlung am Freitag.
Die Geschäftszahlen sind ein Debakel. Im abgelaufenen Geschäftsjahr hat ThyssenKrupp erneut einen Milliardenverlust verbucht, den dritten in Folge. Auch nach einer Kapitalerhöhung, die den Anteil der Alteigner verwässert, bleiben die Nettoschulden auf absehbare Zeit größer als das Eigenkapital.
Immer wieder in den Abgrund geblickt
In dramatischen Verhandlungen hat das Management immer wieder in den Abgrund geblickt - die Banken dazu bewegt, trotz verletzter Kreditklauseln keine Darlehen zu kündigen, die Verbindung zum pleitebedrohten finnischen Edelstahlkonzern Outokumpu gekappt, und eine Teillösung für die amerikanischen Stahlwerke gefunden, die bisher zwölf Milliarden Euro Verlust eingefahren haben.
Hiesinger selbst erzählt das nicht als Heldenepos. Dazu bestünde auch kein Grund. Die Deals bringen hohe Lasten mit sich, die Existenzkrise ist längst nicht beendet, eine klare Perspektive für das Herzstück der deutschen Schwerindustrie fehlt. Entsprechend reichlich wird die Kritik auch auf der Hauptversammlung geäußert.
Doch Hiesinger entwaffnet die Kritiker, indem er Selbstkritik übt, "taktische Fehler" einräumt und ansonsten darauf verweist, ein von ihm ebenso gewünschter "Befreiungsschlag" sei unter den gegebenen Bedingungen nicht möglich gewesen.
Mit seiner Art bietet er keine Angriffspunkte wie sein Vorgänger Ekkehard Schulz oder der langjährige, vor einem knappen Jahr gegangene Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Im Vergleich zum turbulenten Aktionärstreffen vor einem Jahr ist Frieden eingekehrt.
Großaktionär Cevian hält sich bedeckt
Unter den Aktionären herrscht die Stimmung vor, Hiesinger die Zukunft des Konzerns anzuvertrauen - wie auch immer diese aussehen mag. Ob in einem, zwei, drei oder mehr Jahren: Sie träumen von einer Dividende. Selbst diejenigen, die dieses Vertrauen nicht mehr aufbringen mögen, sehen keine Alternative.
Zu groß ist die Hausmacht der Konzernführung, auch dank der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die zwar den für eine Sperrminorität nötigen Aktienanteil von 25 Prozent verloren hat, doch immer noch an ihrem Vorrecht festhält, drei Aufsichtsräte allein zu bestimmen.
Der schwedische Fonds Cevian, der als neuer Großaktionär Anspruch auf Vertretung hätte, hält sich bedeckt. So ist auch möglich, dass Aufsichtsratschef Ulrich Lehner zusammen mit Finanzchef Guido Kerkhoff und Neukontrolleur René Obermann ein "Telekom-Triumvirat" bildet.
Erfolgreich oder nicht, an Heinrich Hiesinger scheint kein Weg vorbeizuführen. Mit dem neuen Rechtsvorstand Donatus Kaufmann wächst das Führungsgremium wieder etwas, von drei auf vier Mitglieder - ein Schritt zurück zur Normalität. Ob deshalb der Aktienkurs am Tag der Hauptversammlung um bis zu vier Prozent steigt? Die 20-Euro-Marke rückt wieder in den Blick. Die Aktionäre zeigen einen starken Willen, in Heinrich Hiesinger den "Turnaround Chief" ("New York Times") zu sehen.
Nun muss er zeigen, dass er tatsächlich das Schicksal des Konzerns drehen kann.