Megaprojekt zwischen Helsinki und Tallinn Wie der Angry-Birds-Macher den längsten Tunnel der Welt bauen will

Ein Modell des geplanten Tunnels: "2024 nicht realistisch"
Foto: Finestbay AreaPeter Vesterbacka hat Angry Birds zur Weltmarke gemacht, als Kopf des Studios Rovio Entertainment. Ein überaus einträglicher Hype, mit dem es viele bewenden lassen würden. Doch nicht Vesterbacka. Jahrelang schon sucht er auf seinen "Slush"-Kongressen die Unternehmer von Morgen. Und nebenbei eine Aufgabe, die noch größer ist als sein Vogel-Franchise.
Gefunden hat er das: Er will einen Tunnel unter dem finnischen Meerbusen bohren lassen, zwischen Helsinki und Tallin, 103 Kilometer lang, der größte Tunnel der Welt. Aus Schutt, den die Arbeiter aus der Röhre holen, soll eine künstliche Insel entstehen. So groß, dass sie einst Heimat für 50.000 Menschen sein soll.
Ein Dekadenprojekt: Der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal hatte enorme Planungsschwierigkeiten, brauchte nach dem Abschluss der Vorbereitungen sieben Jahre Bauzeit und misst nur 50 Kilometer. Also gerade mal knapp die Hälfte von Vesterbackas Projekt.
Der Finne hat noch von keiner beteiligten Institution eine Zusage. Aber man kann schon Zugtickets für die Tunneldurchfahrt bestellen: für Dezember 2024.
"Wir haben uns andere Projekte angeschaut, um aus ihren Fehlern zu lernen", sagt Vesterbacka dem SPIEGEL. Zum Beispiel Helsinki, die Stadt verlängerte ihre Metro in das benachbarte Espoo. Es gab Lieferprobleme bei der Technik, Espoo verlangte verkürzte Bahnsteige, statt im Herbst 2013 war die Eröffnung im November 2017. "Das ist praktisch unser Berliner Flughafen", sagt Vesterbacka.

Peter Vesterbacka: "Wir haben uns andere Projekte angeschaut"
Foto: Finestbay AreaEin Tunnel ergäbe an und für sich Sinn. Die bisherige anderthalbstündige Schiffsquerung zwischen Helsinki und Tallinn könnte man sich sparen, der Zug soll nur 25 Minuten brauchen.
Es gibt auch eine staatliche Machbarkeitsstudie, die einen Tunnel befürwortet. Sie sieht allerdings einen Bau bis 2040 vor. Ende 2018 trafen sich zuständige Politiker aus beiden Ländern in Helsinki und vereinbarten, dass ein Tunnelprojekt "sorgfältig geplant" werden müsse - und damit wohl eher nicht binnen fünf Jahren fertig wäre.
Laut der staatlichen Machbarkeitsstudie sei eine Voraussetzung, dass die EU den Tunnel zu 40 Prozent finanziert. Tatsächlich kommen solche Projekte praktisch nie ohne kräftige EU-Förderung aus. Und im Prinzip gibt die EU gern, wenn es darum geht, die Verbindungen zwischen den Mitgliedsstaaten zu stärken. Doch bisher hält sie sich zurück.
Informelle Treffen zwischen Estland, Finnland und der EU
2019 trat Finnland dem Rail Baltica bei, ein EU-Projekt, das Zentral- und Nordeuropa bis 2026 besser anbinden soll. Knapp sechs Milliarden Euro EU-Mittel stehen dafür bereit, vor allen Dingen soll eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Lettland, Litauen und Estland entstehen. Doch beim Beitritt Finnlands war keine Rede vom Tunnel - auch wenn dieser eine logische Norderweiterung darstellten würde.

Rail Baltica: Logische Norderweiterung
Foto: SPIEGEL ONLINE, OpenStreetMapVon der EU-Kommission heißt es, die gute Fähranbindung zwischen Estland und Finnland wolle man ausbauen. Kustaa Valtonen, Projektmanager für Vesterbackas Planungsgesellschaft FinEstBay Area Development (FEB), deutet an, dass man sich noch dieses Jahr für Rail Baltica bewerben werde. Aus Kreisen der EU-Kommission heißt es, es habe schon informelle Treffen zwischen Estland, Finnland und der EU gegeben. Den Tunnel in das neue Netz integrieren müsse jedoch die nächste Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU), die Ende des Jahres antritt. Kein Grund zur Eile also.
Auf EU-Gelder ist Vesterbacka momentan ohnehin nicht angewiesen. Stattdessen beteiligt sich ein chinesischer Investor mit 15 Milliarden Euro, der wiederum mit dem drittgrößten Baukonzern weltweit kooperiert, der chinesischen CREC. "Ob FEB das Geld tatsächlich erhält und zu welchen Bedingungen, ist unklar", sagt Eva Killar vom estnischen Wirtschaftsministerium. Angry Birds wurde auch dank chinesischen Geldes und Marketing weltberühmt, die Kontakte helfen bis heute.
"China vertritt seine Interessen beinhart"
Gerade mit solchen Partnern könnte er aber in Europa auf Widerstand stoßen. 2013 hat China "One Belt One Road" gestartet, bekannt als Neue Seidenstraße. In Anlehnung an die alte Handelsroute spannt sich das billionenschwere Infrastrukturprojekt vom Fernen Osten bis nach Europa. Den Ländern entlang der Handelswege sollen bessere Transportwege zugutekommen, im Gegenzug will China ihre Absatzmärkte stärker an sich binden. So gehört der Hafen im griechischen Piräus mehrheitlich mittlerweile einer chinesischen Firma, zuletzt schloss sich Italien im März als erstes G7-Land an.
In Europa aber fürchten viele Politiker den chinesischen Einfluss. "Die Volksrepublik vertritt ihre eigenen Interessen global beinhart", sagte Außenminister Heiko Maas der "Welt am Sonntag": Wer clevere Geschäfte mit den Chinesen mache, wache irgendwann in Abhängigkeiten auf.
Peter Vesterbacka sieht China schlicht als Geschäftspartner. Politisches Kalkül fürchte er nicht, auch wenn das Land eine wichtige Verkehrsverbindung Nordeuropas komplett finanzieren würde.
"Ungewöhnliche politische Unsicherheit"
Doch Vesterbackas Plan endet nicht beim Tunnel: Er will auch eine Insel aufschütten - eine Stadt im Meer, 15 Kilometer vor Helsinki. Der Unternehmer träumt von einem neuen Wirtschaftsraum voller Start-ups, der sich von Stockholm bis St. Petersburg erstreckt. Der soll auch durch die schnelle Tunnelverbindung attraktiver werden. Laut eigener Aussage warb Vesterbacka dafür schon auf russischen TV-Sendern - mit den Behörden in St. Petersburg hat er aber noch nicht gesprochen.
Aleksi Randell, Vertreter der finnischen Bauindustrie, findet die Idee von Tunnel und Insel an sich charmant: "In erster Linie würden Finnen, Esten sowie der Rest Europas von einem derart großen Infrastrukturprojekt profitieren." Aber er sieht auch eine "ungewöhnliche politische Unsicherheit" und sagt: "Es ist schwer abzuschätzen, wie realistisch die Pläne sind."
Das zeigt etwa die Umweltverträglichkeitsprüfung. Ende 2018 schickte die Projektgesellschaft FEB dem finnischen Umweltministerium 200 Seiten Dokumentation. Ende Juni antwortete das Ministerium und monierte veraltete Informationen, der Robbenbestand müsse berücksichtigt werden, dazu Lärm, Staub und "die Auswirkung von Explosivstoffen auf das Grundwasser". Zudem sei der Zeitplan bis 2024 unrealistisch. Erst wenn Vesterbackas Leute die Prüfunterlagen ergänzen, sollen sie an Estland geleitet werden - die ein kompliziertes Planungsverfahren haben.
Bis 2020 soll die Umweltverträglichkeit geprüft sein, sagen die finnischen Behörden. Dann blieben noch knapp fünf Jahre für den längsten Tunnel der Welt. "In Gesprächen haben wir deutlich gemacht, dass wir das 2024-Ziel für unrealistisch halten", sagt Liivar Luts vom estnischen Transportministerium.
Vesterbacka selbst schert sich weniger um solche Details. Für ihn ist ein straffer Zeitplan auch ein Instrument der Disziplinierung: "Wenn man 2030 anpeilt, beendet man den Bau 2040."