Abrechnung Hiesinger sagt ThyssenKrupp-Seilschaften den Kampf an

Eine solch schonungslose Abrechnung eines Vorstandschefs hört man selten: Bei ThyssenKrupp seien Seilschaften und blinde Loyalität oft wichtiger gewesen als unternehmerischer Erfolg, kritisiert Konzernchef Hiesinger das alte Management. Er verspricht einen radikalen Neuanfang.
ThyssenKrupp-Chef Hiesinger: Ab nun gilt das Leistungsprinzip

ThyssenKrupp-Chef Hiesinger: Ab nun gilt das Leistungsprinzip

Foto: Roland Weihrauch/ dpa

Essen - Poltern und markige Worte kennt man von ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger eigentlich nicht. Doch nun hat der sonst so zurückhaltende Manager ungewohnt offen mit der alten Garde des Stahlkonzerns abgerechnet. Er will den angeschlagenen Technologiekonzern umkrempeln und so aus der Krise führen.

Das Unternehmen verkündete für das vergangene Geschäftsjahr einen Verlust von fünf Milliarden Euro, Korruptions- und Kartellaffären belasten den Konzern. Hiesinger machte dafür das alte Management verantwortlich. "Es gab bisher ein Führungsverständnis, in dem Seilschaften und blinde Loyalität oft wichtiger waren als unternehmerischer Erfolg", sagte er.

Hiesinger selbst kam vor zwei Jahren von Siemens zu ThyssenKrupp. Er versprach nun, Seilschaften und verkrusteten Strukturen im Konzern ein Ende zu bereiten. "Wir müssen und wir werden unsere Führungskultur grundlegend verändern, um wieder erfolgreich zu sein", sagte er. Wer dabei nicht mitziehe, habe im Konzern nichts mehr zu suchen.

Fehlentwicklungen seien in der Vergangenheit lieber verschwiegen als aktiv korrigiert worden. Außerdem habe offenbar bei einigen die Ansicht vorgeherrscht, dass Regeln, Vorschriften und Gesetze nicht für alle gelten. "Wir mauscheln nicht, sondern bohren nach", kündigte Hiesinger an.

Anleger schöpfen Hoffnung

An der Börse kamen die Versprechungen gut an. Die ThyssenKrupp  -Aktie gewann zeitweise rund sieben Prozent an Wert. Als Eckpfeiler für die neue Unternehmenskultur nannte der Vorstandschef null Toleranz bei Verstößen gegen Gesetze oder interne Regelungen und das Leistungsprinzip.

Vergangene Woche hatte ThyssenKrupp verkündet, dass drei der sechs Vorstandsmitglieder den Konzern zum Jahresende verlassen müssen. Dies sei ein deutliches Zeichen für den Neuanfang, sagte Hiesinger. Entscheidende Fehler im verlustreichen USA-Geschäft seien vom damaligen Vorstand gemacht worden. Fehlplanungen bei Stahlwerksprojekten in den USA und Brasilien kosten ThyssenKrupp Milliarden.

Untersuchungen hätten gezeigt, dass viele Annahmen, die dem Aufsichtsrat präsentiert wurden, "deutlich zu optimistisch waren oder sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben", sagte Hiesinger. Er nahm damit Aufsichtsratschef Gerhard Cromme gegen Vorwürfe in Schutz, seine Kontrollfunktion nicht erfüllt zu haben. Cromme hatte Hiesinger vor zwei Jahren von Siemens zu ThyssenKrupp geholt.

Aktionärsschützer erklärten jedoch, ohne eine offene Diskussion über die Rolle von Cromme, werde der Kulturwandel nicht funktionieren. "Bislang ist der Neuanfang offenbar auf den Vorstand beschränkt", kritisierte der Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz Thomas Hechtfischer.

"Nicht ThyssenKrupp ist das Maß aller Dinge"

Hiesinger will mit einem Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprogramm in den kommenden Jahren Einsparungen von zwei Milliarden Euro erreichen. Spekulationen über eine Trennung vom europäischen Stahlgeschäft erteilte der Manager eine Absage. "Es gibt weder Planungen noch Entscheidungen, Steel Europe wegzugeben", sagte er.

Zugleich räumte Hiesinger ein, das Ausmaß der Probleme bei seinem Amtsantritt 2011 unterschätzt zu haben. "Ich gebe zu, dass mir damals nicht bewusst war, wie tiefgreifend dieser Veränderungsprozess sein würde", sagte Hiesinger.

Der 52-Jährige machte deutlich, dass er auf die Eitelkeit der "Ruhrbarone" keine Rücksicht nehmen will. "Nicht ThyssenKrupp ist das Maß aller Dinge, wie früher der ein oder andere gedacht haben mag. Sondern der Markt und der Wettbewerb."

Hiesinger soll ThyssenKrupp gründlich umbauen - weg vom konjunkturanfälligen Stahlgeschäft, hin zum wachstumsträchtigeren Industriegeschäft. Das Unternehmen beschäftigt weltweit knapp 160.000 Mitarbeiter.

mmq/dapd/dpa
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