Internet-Start-ups Angriff auf die Samwer-Brüder

Aus Vertrauten werden Rivalen: Zahlreiche Top-Manager kündigen den Samwer-Brüdern die Partnerschaft und bauen nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen einen Konkurrenten auf - mit potenter Unterstützung der Otto Group.

Hamburg - Deutschlands Internet-Szene bietet derzeit Stoff für ein großes Drama. Es geht um einen jungen Mann, in dessen Händen alles zu Gold zu werden scheint. Der aber über seinen Erfolg offenbar nicht merkte, wie er sich von langjährigen Freunden entfremdete. Jetzt sind aus den Vertrauten plötzlich Rivalen geworden.

Die Hauptrolle in diesem Drama spielt Deutschland bekanntester Internet-Investor: Oliver Samwer, Ex-Jamba-Gründer, Ex-StudiVZ- und Facebook-Investor, heute Geldgeber und Coach Dutzender Start-ups. Lange Zeit gab es niemanden, der in der Gründer-Szene erfolgreicher war als er und seine Brüder Marc und Alexander. Wobei Oliver eindeutig der Boss ist unter den dreien.

Nun bekommt das Trio Probleme. Seit Mitte Dezember haben zahlreiche Top-Talente die Samwer-Firma Rocket Internet AG verlassen. Oliver Samwer selbst spricht von 18 Abgängen; ehemalige Mitarbeiter sagen, es seien rund 30 gewesen. Zu den Abtrünnigen gehören die Rocket-Mitgründer Christian Weiß und Uwe Horstmann sowie hochrangige Mitarbeiter aus dem Marketing, der Produktentwicklung und dem Personal-Management. Florian Heinemann, ein weiterer Rocket-Mitgründer, soll bald folgen. Gemeinsam bauen sie einen direkten Konkurrenten zur Samwer-Firma auf.

Bei Rocket Internet ziehen Dutzende von Programmierern und Jungkaufleuten Internet-Start-ups wie am Fließband hoch. Das Kapital dafür kommt zum Teil von Investoren und zum Teil aus dem Vermögen der Samwers, das das manager magazin auf 350 Millionen Euro schätzt. Diese Erfolgsgeschichte wollen die neuen Rivalen nun offenbar wiederholen.

Otto investiert hohen zweistelligen Millionenbetrag

Weiß, Hostmann & Co haben sich provisorisch in einem Büro in Berlin Mitte eingemietet, nur ein paar Minuten Fußweg von dem Gebäude entfernt, in das Rocket bald ziehen will. "Es fühlt sich gut an, noch einmal ganz von vorn zu beginnen", sagt Weiß.

In dem Behelfsbüro stapeln sich noch die Umzugskisten. Und statt eines Firmennamens gibt es bislang nur einen Arbeitstitel: The Oryx Project. Doch damit endet auch schon die Start-up-Folklore. Denn tatsächlich ist das Oryx Project weit weniger provisorisch als es scheint.

Einen potenten Geldgeber jedenfalls haben die neuen Samwer-Konkurrenten schon. Die Otto Group pumpt nach Informationen von SPIEGEL ONLINE einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in das Projekt. Es ist genau die Art von Investor, die die Samwers auch gerne bei Rocket sehen. Oryx selbst will Details zur Finanzierung des Projekts auf Anfrage nicht kommentieren. Die Otto-Group bestätigte das Investment bei Oryx, machte aber keine genauen Angaben zur Höhe des Engagements.

Das Oryx-Konzept ähnelt sehr dem von Rocket. "Wir werden in eine Reihe vielversprechender Start-ups investieren und sie bei Marketing, Produktentwicklung und anderen wichtigen Fragen beraten", sagt Weiß.

Auch die Marketing-Maschine läuft schon an. Seit Montagnacht ist eine Web-Seite  im Netz, auf der es heißt: "Wir stellen ein". Im Hintergrund ist eine Oryxantilope zu sehen, die sich laut Wikipedia  mit ihren Hörnern sogar gegen Löwen verteidigen kann - was die neuen Rocket-Rivalen offenbar als recht passend empfinden.

"Druck und Angst"

Denn manche von ihnen waren von ihrem alten Arbeitgeber zuletzt gefrustet. Er schätze Oliver Samwers Fachkompetenz und seinen Riecher für gute Geschäftsideen, berichtet einer, der gegangen ist. Doch bei Rocket und bei vielen Start-ups, in die Rocket investiere, herrsche ein Klima von "Druck und Angst". Samwers Sprachstil sei "bisweilen vulgär". Es komme vor, dass er Mitarbeiter anschreie oder beleidige.

Dass Oliver Samwer bei Rocket wie ein Alleinherrscher regiert, sagen in der deutschen Start-up-Szene viele, und immer wieder wenden sich solche Kritiker an die Presse. Das manager magazin widmete dem ruppigen Führungsstil und dem rüden Umgang mit Geschäftspartnern im vergangenen Jahr eine lange Geschichte. Das Internet-Blog "Techcrunch" veröffentlichte kürzlich eine E-Mail , in der Oliver Samwer beschreibt, wie er per "Blitzkrieg-Strategie" neue Märkte erobern will.

Später entschuldigte sich Samwer für seine Wortwahl. Doch auch inhaltlich distanzieren sich viele von der Samwer-Strategie. Ziel von Rocket sei es, "jedes erfolgreiche amerikanische Start-up zu klonen" und die Märkte außerhalb der USA blitzschnell zu besetzen, ätzte "Techcrunch"  kürzlich. Einem Ex-Mitarbeiter zufolge werden die Qualitätsstandards dabei immer weiter heruntergeschraubt - was in der Rocket-Führungsriege als Problem wahrgenommen werde.

"Microsoft oder SAP hatten auch immer neue Führungskräfte"

Oliver Samwer weist die Kritik zurück - und vergleicht sich mit den ganz Großen der Szene. "Microsoft oder SAP hatten im Laufe ihrer Entwicklung auch immer neue Führungskräfte", sagt er. Natürlich bedaure er, auf einen Schlag mehrere Vertraute verloren zu haben. Andererseits sei es "normal, dass sich Top-Talente weiterentwickeln wollen und in manchen Fällen eine eigene Firma gründen. Dass das möglich ist - auch dafür steht Rocket", sagt Samwer. Qualitäts- oder Führungsprobleme sieht er in seinem Unternehmen nicht. "Wir hätten nicht so viele gute Leute, wenn das wahr wäre."

Experten schätzen den Umbruch im Samwer-Imperium kritischer ein. "Das reißt schon eine große Lücke", sagte einer, der die Branche seit vielen Jahren beobachtet. Das Unternehmen habe einige seiner engsten Vertrauten verloren. "Die lassen sich nicht mal eben so ersetzen."

Derzeit versuchen die Samwer-Brüder bei Wagniskapitalgebern rund eine Milliarde Dollar einzusammeln, um mit ihren Start-ups in Schwellenländer wie Russland, Brasilien, Argentinien oder die Türkei zu expandieren. Kein guter Zeitpunkt, um einen wichtigen Teil der Führungsriege zu verlieren.

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