Ex-BayernLB-Wohnungen Zehntausende Mieter klagen über Ausverkauf

GBW-Hochhaus in München: Mehr als 4000 Euro pro Quadratmeter
Foto: Sven Hoppe/ dpaMünchen - Es war ein großes Versprechen, das Bayerns Finanzminister Markus Söder im Jahr 2012 den Mietern der damals noch im Besitz der Bayerischen Landesbank befindlichen 32.000 GBW-Wohnungen gab: "Mieterschutz geht vor Maximierung des Gewinns." Auch als im April dieses Jahres die Patrizia AG für fast 2,5 Milliarden Euro den Zuschlag für 92 Prozent der GBW-Aktien bekam, gab sich der CSU-Mann überzeugt, das Augsburger Unternehmen gewährleiste "ein Höchstmaß an Sicherheit für die Mieter".
Doch nur wenige Monate nach dem Mega-Deal scheint das Gegenteil wahr zu werden: "Ich bin stinksauer. Kaum ist die Landtagswahl vorbei, offenbart sich, dass Söders Versprechen von einem effektiven Mieterschutz nur ein schlechter Witz sind", sagte Monika Schmid-Balzert, Geschäftsführerin des Mieterbunds Bayern, SPIEGEL ONLINE. Die Patrizia unterscheide sich nicht von anderen "Immobilienhaien".
Schmid-Balzert berichtet von zahlreichen Wohnblocks in ganz Bayern, in denen die GBW unlängst die Mieten erhöht haben wollte: "In der Regel wurde die Miete gleich um 15 und, wo zulässig und möglich, sogar um 20 Prozent angehoben." Recherchen von SPIEGEL ONLINE bestätigen das für viele GBW-Wohnungen in Oberbayern und Mittelfranken. In Herzogenaurach beispielsweise zahlen die Bewohner von mehr als 130 GBW-Wohnungen seit Juli fast 20 Prozent mehr.
Auch im Landkreis Fürstenfeldbruck erhielten viele Mieter deutliche Erhöhungen: der Puchheimer Jean-Marie Leone zum Beispiel, der mit seiner vierköpfigen Familie in einer GBW-Wohnanlage lebt und wie die meisten seiner Nachbarn von Januar nächsten Jahres an 15 Prozent mehr bezahlen muss. Künftig muss er für seine 78 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung rund tausend Euro aufbringen: "Das war schon ein Schock", sagt er. Viele Bewohner hätten jetzt Angst, sich ihre Wohnung bald nicht mehr leisten zu können.
"Wir überprüfen regelmäßig unsere Mieten und passen diese den Marktgegebenheiten an", begründete eine GBW-Sprecherin die Erhöhungen. Zum Gesamtumfang der derzeitigen Mietsteigerungen äußerte sich die Firma allerdings nicht.
Mieter dürfen kaufen - für mehr als 4000 Euro pro Quadratmeter
Außer den Mieterhöhungen sorgt die Verkaufspolitik der GBW für Unmut. Seit der Übernahme durch die Patrizia hat das Unternehmen in Bayern bereits mindestens 220 Wohnungen weiterverkauft, etwa im unterfränkischen Amorbach, in Puchheim und in München. Mieterschützer fürchten nun den großen Ausverkauf. "Wir haben jede Menge Anfragen von besorgten Mietern, denen die GBW mitgeteilt hat, dass sie den Verkauf ihrer Wohnung prüft", sagt Schmid-Balzert.
In dem SPIEGEL ONLINE vorliegenden Schreiben räumt der Konzern den Bewohnern zwar ein Vorkaufsrecht für ihre Wohnungen ein: "Doch das wird sich vermutlich fast keiner leisten können", sagt Schmid-Balzert. Denn häufig wohnten in den GBW-Wohnungen Geringverdiener und Rentner, und die Verkaufspreise sind hoch: In Milbertshofen etwa sollen die Preise bei rund 4000 Euro pro Quadratmeter liegen, in der Münchner Innenstadt noch deutlich höher.

Extreme Mieterhöhungen: 15 ist das neue 20
Der Münchner Mieterverein rechnet mit dem Schlimmsten: Der Stadt München liegen bereits Verkaufsangebote von 360 Wohnungen vor, der Mieterverein geht davon aus, dass die GBW bereits in den kommenden Wochen und Monaten erneut Hunderte Wohnungen veräußern wird, die bisherigen Verkäufe seinen "nur der Beginn einer beispiellosen Verkaufswelle". Es sei voraussehbar, dass die Patrizia in den kommenden Jahren sämtliche Münchner GBW-Wohnungen verkaufen werde. Auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) fürchtet, dass nun auf dem Rücken der GBW-Mieter "Kasse gemacht wird".
Eine GBW-Sprecherin sagte dagegen, der An- und Verkauf gehöre "seit vielen Jahren zum aktiven Portfoliomanagement der GBW". Wie viele Wohnungen das Unternehmen in welcher Stadt verkaufen möchte, wollte sie allerdings nicht sagen. Bei der Patrizia heißt es, die Kritik an der GBW sei unbegründet und spekulativ: "Tatsache ist, dass die Bestandsmieter in den früheren Landesbank-Wohnungen zu den bestgeschützten Mietern in Deutschland gehören und beispielsweise von strengen Reglementierungen zu Mietanpassungen und Instandhaltungsaufwendungen gemäß der jeweiligen Sozialcharta profitieren", sagte ein Sprecher.
Die Mieterschützer halten dagegen, die Charta sei "nicht das Papier wert, auf dem sie steht". So nütze etwa der in der Sozialcharta enthaltene Kündigungsschutz von mindestens zehn Jahren den Bewohnern nichts, wenn sie ihre Mieten nicht mehr bezahlen könnten. Denn um die Immobilien für Käufer aufzuhübschen und die Mieter loszuwerden, werde die Patrizia "vielerorts kräftig modernisieren". Zwar sind Luxussanierungen laut Sozialcharta für fünf Jahre untersagt. Doch dem Mieterbund zufolge kann die GBW problemlos energetisch modernisieren, einen Lift einbauen oder die Wohnung um einen Balkon zu erweitern und eine Kaltmiete von 400 Euro so innerhalb von vier Jahren auf 770 Euro anzuheben - ohne gegen die Sozialcharta zu verstoßen. Für die Patrizia sei das "ein einfacher Weg, um die bisherigen Mieter rauszubekommen". Das für die Sozialcharta zuständige bayerische Finanzministerium äußert sich auf Anfrage nicht.
Negativbeispiel Baden-Württemberg
Kritik an der Geschäftspolitik der Patrizia kommt auch aus Baden-Württemberg, wo die Augsburger Firma im Februar vergangenen Jahres 21.000 Wohnungen der Landesbank-Tochter Südewo für 1,4 Milliarden Euro übernommen hat - und wo bereits geschieht, was in Bayern befürchtet wird. Zwar bietet die dort vereinbarte Sozialcharta Mieterschützern zufolge weniger Schlupflöcher als das bayerische Pendant, aber die Südewo bestätigte Informationen von SPIEGEL ONLINE, dass sie seit dem Frühjahr 2012 deutlich mehr als 1000 Wohnungen weiterverkauft hat. Der Mieterbund Baden-Württemberg kritisiert zudem, dass die Südewo seit der Übernahme durch die Patrizia die Mieten vielerorts "massiv erhöht hat". Tatsächlich stiegen die Mieten beispielsweise in Stuttgart und in einem Südewo-Komplex am Karlsruher Hauptbahnhof sogar um bis zu 20 Prozent.
Bei der Südewo heißt es dagegen, von "flächendeckenden, drastischen Mieterhöhungen" könne keine Rede sein: "Im Durchschnitt stieg die Miete aller Bestandsmieter des Wohnungsbestands der Südewo in den nicht preisgebundenen circa 12.000 Wohnungen im Geschäftsjahr 2012 lediglich um 3,64 Prozent." Laut Sozialcharta hätte die Südewo diese Mieten im vergangenen Jahr sogar um fünf Prozent erhöhen können. In sämtlichen Südewo-Wohnungen, darunter auch Tausende Sozialwohnungen, stiegen die Mieten 2012 um knapp drei Prozent. Nicht eingerechnet sind dabei jedoch die auf dem freien Markt nicht selten mit kräftigen Mietsteigerungen verbundenen Neuvermietungen.
In Bayern wird der Verkauf der Landesbank-Wohnungen derweil zunehmend zum Politikum: Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger kann sich sogar einen GBW-Untersuchungsausschuss vorstellen. Zeuge wäre dann wohl auch Finanzminister Söder.