Atomabkommen mit Iran Deutsche Industrie lauert auf Milliardenaufträge

Der Westen und Iran stehen vor einer historischen Annäherung. Die deutsche Industrie könnte davon besonders stark profitieren: Kaum etwas braucht die Wirtschaft der Islamischen Republik dringender als neue Maschinen und Technik.
Warmwalzwerk von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt: Genügend Geld vorhanden

Warmwalzwerk von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt: Genügend Geld vorhanden

Foto: Patrick Pleul/ dpa

Chasab hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Drehscheibe für Gebrauchsgüter aller Art entwickelt. Der einst abgeschiedene Ort liegt gegenüber der iranischen Küste, in einer Enklave des Oman in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Seinen Aufstieg verdankt Chasab dem blühenden Handel mit Schmugglern, die nachts über die Straße von Hormus kommen und alles kaufen, was sich im isolierten Iran zu Geld machen lässt.

Jetzt aber besteht durchaus die Gefahr, dass Chasab wieder in sein früheres Dornröschendasein zurückgeworfen wird. Denn das Ringen um eine Lösung des Atomkonflikts mit Iran geht in die entscheidende Runde. Im schweizerischen Lausanne sind am Montag erstmals die Außenminister aller sieben beteiligten Länder zusammengekommen.

Zuletzt hatten die Unterhändler zwar vom guten Willen aller Länder, aber auch von noch erheblichen Differenzen gesprochen. Ein Sprecher des deutschen Außenministeriums teilte mit, es seien weiterhin "schwierige Fragen" zu klären, die Chancen auf eine Einigung seien aber noch nie so groß gewesen. Ein Rahmenabkommen soll bis zum Dienstag stehen.

Bis Ende Juni erwarten Beobachter dann einen komplett ausgearbeiteten Vertrag. Die Kurzformel für das Geschäft lautet: Iran verzichtet auf den Bau von Atomwaffen, dafür fallen Handelssanktionen. Damit aber wäre den Schmugglern und auch Chasab als Drehscheibe des illegalen Handels die Geschäftsgrundlage weitgehend entzogen.

Exportzuwachs bereits zu spüren

Andere hätten dafür umso mehr Grund zur Freude. Die deutsche Industrie zum Beispiel. Viele Unternehmen aus der Petrochemie, dem Maschinenbau, der Energietechnik oder der Autoindustrie verfügen traditionell über gute Beziehungen zu iranischen Geschäftspartnern. Durch das lang andauernde Handelsembargo waren sie nur unterbrochen, davon ist Michael Tockuss, Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Handelskammer, überzeugt. "Sie wiederzubeleben, wird den Beteiligten ein Leichtes sein."

Zum Teil ist das im vergangenen Jahr schon geschehen. Im Zuge des Tauwetters zwischen Iran und den Uno-Vetomächten haben etliche Unternehmen bereits wieder Verträge geschlossen. Meistens auf Geschäftsfeldern, die ohnehin nie vom Handelsembargo erfasst waren, aber dennoch unter dem feindseligen Klima litten. Nach Zahlen des europäischen Statistikamts wurden 2014 Waren im Wert von 2,38 Milliarden Euro exportiert - eine Steigerung um knapp 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Wenn es zu einem Abkommen käme, ließe sich dieser Wert leicht auf fünf bis sechs Milliarden Euro steigern, ist Tockuss überzeugt. Beim Deutschen Industrie und Handelskammertag geht man sogar von bis zu zwölf Milliarden Euro in den kommenden Jahren aus. Und das, obwohl Konkurrenten aus China, Russland und der Türkei in den Jahres des Embargos mit großer Energie versucht haben, den Markt für sich zu erschließen. "Man kann sagen, dass sich der Ruf der Deutschen in diesen Jahren eher noch verbessert hat", sagt Tockuss dazu. Iranische Firmen erinnerten sich genau an die Vertragstreue der Deutschen und an die Zuverlässigkeit ihrer Maschinen.

Überfällige Investitionen

Offiziell halten sich die Unternehmen noch bedeckt. Zu tief sitzt die Angst, dass Geschäftsbeziehungen mit Iran an anderer Stelle zu Nachteilen führen könnten. Außerdem ist die Frage noch nicht geklärt, welche Sanktionen am Ende tatsächlich aufgehoben werden. Der Westen, so heißt es, wolle in diesem Punkt zunächst behutsam vorgehen. Es gelte erst abzuwarten, was das Abkommen im Detail regle, heißt es unisono aus den angesprochenen Konzernzentralen. Und: Doch, die Möglichkeiten seien schon verlockend.

Die "verlockenden Möglichkeiten" ergeben sich unter anderem aus dem Nachholbedarf, den die iranische Industrie inzwischen hat. Viele Fabriken und Fertigungsstraßen mussten ihre Produktion stilllegen, weil in den Zeiten des Embargos kaum noch Teile ins Land gelangten, die für die Montage oder zur Instandhaltung der Anlagen nötig waren. Betroffen davon ist auch die zivile Flugzeugflotte des Landes.

Genügend Geld, um die überfälligen Investitionen zu bezahlen, wäre vorhanden. Auf 100 Milliarden Dollar werden Irans Währungsreserven geschätzt. Zudem verfügt das Land über riesige Erdöl- und Erdgasvorkommen sowie über wertvolle Rohstoffe wie Kupfer und Zink. Und auch Irans Landwirtschaft produziert weltweit gefragte Produkte wie Reis, Zuckerrohr, Baumwolle oder Nüsse.

Zusammengefasst: Wenn es bei den Atomverhandlungen zu einer Einigung kommt, lockert der Westen die Sanktionen gegen Iran. Deutschlands Industrie könnte besonders davon profitieren, sie genießt in Iran einen sehr guten Ruf. Zudem dürften gerade ihre Produkte in Iran gefragt sein, da die Infrastruktur durch die Jahre des Embargos in einem schlechten Zustand ist.

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